OCR
2 LITERATUR - EXIL WIDERSTAND Bericht über das Symposium in Graz vom 24. bis 26.Oktober In den barocken Räumen des romantisch klingenden aber ungeheizten Meerscheinschlößls in Graz fand das Symposium statt, zu dem das Germanistik-Institut der Grazer Universität, das dortige Franz-Nabl-Institut, die Jugendzeitschrift “Perplex” und die Theodor Kramer Gesellschaft eingeladen hatten. Nach den Eröffnungsreden von Uwe Baur und Willy Verkauf-Verlon, die in dieser Nummer der Ziehharmonika abgedruckt sind, lag der Themenschwerpunkt des ersten Tages auf Graz — mit Ausnahme des ersten Vortrags von Mirko Krizman aus Maribor, der einige linguistische Uberlegungen zu zwei Gedichten Kramers machte. Christian Hawle hielt einen bemerkenswerten Vortrag iiber den Grazer Lyriker und Widerstandskämpfer Richard Zach, den er unterbrach, um die im Publikum anwesenden Angehörigen und Freunde Zachs zu begrüßen. Jürgen Egyptien aus Aachen gelang es in seinen Ausführungen über Ernst Fischers Grazer Jahre überzeugend, die messianischen Ausgangspunkte von Fischers Weltanschauung freizulegen, Konstantin Kaiser berichtete in einem den ersten Tag abschließenden Referat von den komplizierten Beziehungen des Kabarettautors Rudolf Weys zu Graz. Am zweiten Tag des Symposiums stand zunächst der 40. Todestag Hermynia Zur Mühlens im Mittelpunkt. Beate Frakele referierte über die Rezeptionssituation, Walter Grünzweig warf einige Schlaglichter auf das Verhältnis von Politik und Literatur, indem er über den Briefwechsel zwischen Upton Sinclair und seiner Übersetzerin Zur Mühlen informierte. Im Vortrag von Eva-Maria Siegel aus Berlin wurde der Roman “Unsere Töchter, die Nazinen” einer kritischen Würdigung unterzogen, Elisabeth Steffen-Platzer berichtete daraufhin über den Umgang von Schülern und Schülerinnen mit den proletarischen Märchen Zur Mühlens. Manfred Altner, der ebenfalls über Hermynia Zur Mühlen sprechen wollte, Konnte wegen eines Autounfalls an der Tagung nicht teilnehmen. Am folgenden Nachmittag waren die Themen breit gestreut: Gerhard Scheit Fortsetzung auf Seite 3 Willy Verkauf-Verlon Worte zur Eröffnung der Tagung “Literatur, Exil, Widerstand” Graz, 24. Oktober 1991 In diesem Symposium, mit dem Titel LITERATUR - EXIL - WIDERSTAND, werden wir uns mit dem Werk einiger österreichischer Dichter- und SchriftstellerInnen befassen, die vor 50 Jahren gegen die größten Menschenfeinde unseres Jahrhunderts in der Heimat oder im Exil Widerstand leisteten. Wenn wir uns mit Vergangenem befassen, besteht damit aber auch die Absicht, aus dem Erfahrenen für die Gegenwart und Zukunft Konsequenzen zu ziehen. Wir sind am Ende unseres Jahrhunderts in eine Situation geraten, die eine eingehende, weltweite und tiefreichende Beschäftigung mit den Problemen des Widerstands herausfordert. Die Erkenntnis wächst, daß Ideologien wenig oder gar nicht beigetragen haben, den Humanismus, um den es uns letztendlich geht, zu fördern. Schlimmer noch, für Ideologien verletzte man immer wieder die elementarsten Menschenrechte, mordete man, mordet man noch immer unter dem Banner “pour le bien de la cause”, für das “Gute” ihrer Sache, ihrer Ziele. Welche Konsequenzen können wir aus dieser Erkenntnis ziehen? Vor allem, daß der Humanismus in unserer Zeit ein tragischer, manipulierter Humanismus ist, denn nichts was antihuman ist, blieb diesem Jahrhundert erspart. Langsam beginnen wir zu erkennen, daß es eigentlich zwei Arten von Humanismus gibt: einen, der an das Gute glaubt, und einen anderen, der dem Bösen widersteht - der real-soziale Humanismus. Das Böse ist zu erkennen, zu durchschauen, vorauszusehen und berechenbar. Und man kann beizeiten entgegenwirken, Widerstand leisten. In diesem Widerstand haben diejenigen, die sich der Print- und audiovisuellen Medien bedienen, eine verantwortungsvolle Aufgabe. Univ.Prof. Dr. Uwe Baur Worte zur Eröffnung des Symposiums “Literatur, Exil, Widerstand” Ich begrüße alle, die sich hier versammelt finden - Referenten, Schriftsteller und Interessierte —, und freue mich über das trotz allem zustandengekommene Symposion, aus mehreren Gründen: 1. Auf Grazer Boden ist es die erste Veranstaltung, die sich mit dem Thema literarisches Exil und Widerstand beschäftigt. Immerhin hat es fast ein halbes Jahrhundert gedauert, bis sich die Wissenschaft dieser Frage hier öffentlich besinnt. Es gibt da einiges für Graz zu entdecken. 2. Ich sehe das Symposion als Weiterführung des Gedenkjahres 1988 und möchte an die Lesung aus Werken von Richard Zach und Gustav Erich Herbert Schneider im Schauspielhaus erinnern (19.6. 1988) sowie an die Ausstellung der Stadt Graz im Stadtmuseum. Der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker meinte vor kurzem anläßlich seines Besuches in der CSFR, Versöhnung sei nur möglich, wenn beide Seiten die volle Wahrheit sehen wollen und sie auch anerkennen. Erinnern ist die Voraussetzung für Versöhnung — das Verschweigen und Vergessen des Nationalsozialismus trägt auf keinen Fall dazu bei. Ich habe den Eindruck, daß unter jenen, die an Veranstaltungen des Gedenkjahres teilgenommen haben, das Bewußtsein klarer geworden ist, wie es damals im Jahr 1938 dazu gekommen ist. Es läßt sich aber nicht ausschließen, daß damit lediglich eine Pflichtübung absolviert wurde. Mit dem bloßen, beruhigenden Wissen, “wie es gewesen ist”, setzt sich Verdrängung nur fort.