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Das heutige Symposium will einen Schritt konstruktiv weiter gehen. Fünfzig Jahre mußten vergehen, bis man sich in der Steiermark die Frage stellte, ob es nicht 1938 auch Opfer gegeben hatte unter den Schriftstellern. Bis weit in die siebziger Jahre hatte es die Kulturpolitik hier vor allem mit den Tätern bzw. Mitläufern dieser Zeit zu tun (ich denke etwa an die repräsentativen Landesliteraturpreise), daneben sehr zaghaft auch mit dem Ausbau eines literarischen Lebens, das sich nicht ins Regionale einigeln wollte und das seinen ersten Kristallisationspunkt im Forum Stadtpark 1960 gefunden hatte. Es gibt eine Fülle von Indizien dafür, daß die Steiermark nach wie vor ein etwas gestörtes Verhältnis zu ihrer kritischen literarischen Tradition hat. Lassen Sie mich ein frühes Beispiel geben. 1813 schrieb Erzherzog Johann an den um die Förderung der Hochliteratur bemühten Johann Ritter von Kalchberg. Gerne hätte ich ihrem Vorschlage beygepflichtet, wenn er für ein anderes Locale als für die bisher vergessene, ich möchte fast sagen verwahrloste Steiermark wäre. - Ich glaube, daß itzt darauf nur gesehen werden muß, das Nützliche zu bewirken, daß das Angenehme eine secundaire Sache ist und daß belletristische Gegenstände wenig Anwerth finden." Bereits mit dem Exil des liberalen Historikers und literarischen Anregers Julius Schneller (1823) wird tatkräftig eine literaturpolitische Richtung eingeschlagen, die 150 Jahre bis in die Nachkriegszeit beherrschend blieb: die Festlegung der Literatur auf das “Nützliche”, auf das “Heimatliche” i.S. der Bewahrung volkstümlicher Traditionen und der Bildung einer spezifisch “steirischen Identität”. Der Erste Weltkrieg mit der politischen Trennung von Slowenen und Deutschen bewirkte hier nicht nur eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise, sondern auch einen traumatischen Einschnitt in der “steirischen Identität”. Unter verstärktem Konformitätsdruck legte sich Literatur nostalgisch auf Heimatkunst fest und verblieb politisch im Rahmen der Rückgewinnung des ehemaligen Unterlandes. Paul Anton Keller, der Landesleiter der Reichsschrifttumskammer im Gau Steiermark, hatte ungewollt recht, als er 1976 beteuerte, es hätte im Bereich der Literatur 1938 keine Volkserhebung gegeben.? Sie war hier nicht mehr notwendig. Wenn die Autoren von der Menschheit oder dem Menschen schrieben, so dachten sie längst vor allem an die Steirer. Es geht heute um einen weiteren konstruktiven Schritt: um die Revision einer literarischen Traditionsbildung in der Steiermark, die noch 1976 in der Landesliteraturausstellung im Zeichen einer halbherzigen und verschweigenden Geschichtsschreibung stand, die der “Republik des Vergessens” alle Ehre erwiesen hatte *, Wir können uns nicht mehr um das Faktum herumdrücken, daß spätestens im Jahre 1938 nahezu alle Schriftsteller der Steiermark ihr Ja gesagt haben zur Beseitigung Österreichs, zu einem radikalen Faschismus und damit zur gewaltsamen Lösung politischer und kultureller Konflikte. Dieses Ja schloß auch die Unterdrückung der Andersdenkenden ein: die Verhaftung von Gustav Herbert Schneider und Richard Zach in Graz, die Austreibung des Ausseer Kulturkreises, der seit dem 19. Jhdt. zu einer Begegnungsstätte internationaler Art geworden war, die Verhaftung von Hermann Broch dreißig Kilometer entfernt von Paula Grogger. Die angedeutete Revision unserer literarischen Traditionsbildung sollte - wie ich meine — nicht bedeuten, daß wir bloß an die Stelle der heimattümlichen die kritische, demokratische Tradition setzen: nicht ersetzen, sondern in Beziehung setzen, in Beziehung zueinander, etwa in dem Sinne, daß wir - um das prominenteste Beispiel zu nennen - Peter Rosegger lesen als einen Menschen, der sich für das, was im Lande geschah, verantwortlich fühlte, der spontan für ein ökumenisches Christentum eintrat, für Toleranz und soziale Gleichstellung der Slowenen und Juden plädierte; zugleich aber sollten wir diese Seite in Beziehung bringen zu seiner praktischen Unterstützung antislowenischer Aktionen, zu seinem mangelnden Verständnis der industriellen Arbeitswelt, die er als negative Folie für die Feier seiner agraren Fluchtwelt einsetzte; wissend auch, daß er den Weg liberalen Denkens in die nationale Verengung mit- und vorgezeichnet hat. Im Verständnis und bewußten Erinnern dessen, daß es auch 1938 zwei Wege gegeben hat, könnte das Symposium heute eine Möglichkeit zur Versöhnung anbieten. Ich wünsche der Veranstaltung den Erfolg, daß sie Folgen haben wird. Fortsetzung von Seite 2 folgte den Spuren des aus Graz stammenden, jung verstorbenen Germanisten Friedrich Achberger (Abdruck des Referats in diesem Heft), dessen Eltern und Geschwister waren anwesend; Armin A. Wallas gestaltete ein nuanciertes Portrait von Simon Kronberg; Dora Müller vom Kulturverein Brünn berichtete über die Emigration österreichischer SchriftstellerInnen nach Brünn, Primus-Heinz Kucher führte in seinem Vortrag behutsam zu Werk und Persönlichkeit Stella Rotenbergs hin, Ilse Pollack verstand es, eine geheimnisumwobene Beziehung des Triestiner Schriftstellers Girgio Voghera zu Graz anregend und unterhaltsam zu schildern und damit das Gesichtsfeld über Österreich hinaus auszudehnen. Am Abend folgte eine Lesung: Konstantin Kaiser gab einige Kostproben seiner Prosa und Lyrik, bei denen man sich wieder einmal fragen konnte, warum sie noch nicht längst publiziert sind (das Gedicht “Richards Asche” ist in dieser Nummer der Ziehharmonika abgedruckt); Stella Rotenberg las aus ihren zart gefügten und so eindringlich nachklingenden Gedichten und Prosastücken. Die Vorträge des letzten Tages waren zwei wichtigen Neuerscheinungen dieses Herbstes gewidmet: Siglinde Bolbecher näherte sich auf verschiedenen Wegen den autobiographischen Fragmenten Berthold Viertels und Horst Jarka stellte die Briefe Jura Soyfers vor. Mit einer kleinen Lesung aus den Werken Viertels und Zachs endete das Symposium. Seinen Teilnehmern hatte es einen intensiven Gedankenaustausch ermöglicht und eine gute Atmosphäre der Vermittlung, die durch manche Unregelmäßigkeit in der Planung und Durchführung der Termine nicht gefährdet wurde. Schade nur, daß so wenige Grazer Studenten teilnahmen, schade auch, daß das Engagement der Grazer Germanistik sich auf das Offiziöse der Eröffnung beschränkte. G.S, Anmerkungen Baur 1 Zitiert nach Anton Schlossar: Erzherzog Johann von Österreich und sein Einfluß auf das Culturleben der Steiermark. Originalbriefe des Erzherzogs aus den Jahren 1810 — 1825. Wien 1878, S. 88f. 2 Paul Anton Keller: Schrifttum in der Steiermark in den Jahren 1938-45. In: Literatur in der Steiermark. Hg. von der Steiermärkischen Landesregierung. Graz 1976, S. 421. 3 Dokumentiert ebenda.