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Ruth Weiß Erinnerungen an Lu Hsün Gruß aus der Ferne an meine Geburtsstadt Wien Als ich im September 1933 meine Reise nach China antrat, basierten meine Kenntnisse über dieses Land auf Impressionen mehr als auf konkreten Fakten. In einer chinesischen Ausstellung war einmal u.a. eine Bildrolle von einem einzigen blühenden Zweig zu sehen gewesen, und doch drückte sich darin der ganze Frühling aus. Während meiner Studienzeit hatte ich einige Chinesen kennengelernt, die mir überaus sympathisch schienen. Ich hatte auch eine Aufführung des Bühnenstückes “Brülle, China!” von Tretjakow erlebt, das die Revolte chinesischer Kulis gegen ausländische Übergriffe schilderte. Zumeinem philosophischen Rigorosum an der Universität hatte ich mir die chinesische Philosophie gewählt; ich las natürlich nur auszugsweise in deutscher Sprache darüber. An der Konsularakademie hatte ich das Studium der chinesischen Sprache begonnen, der Lehrer war an der k. und k. österreichischen Botschaft in Peking seinerzeit Kartograph gewesen. Ich hörte auch Vorlesungen unter Freiherr von Rosthorn, der über seine diplomatische Tätigkeit im alten China sagte: “Das China, dasich liebte, ist 1911 gestorben!” Und im Schloß Schönbrunn hatte ich oft die reizvollen Kunstgegenstände aus China bestaunt, ohne genau zu wissen, daß das alles Raubgut war - aus der Zeit eben, da Österreich eine der Mächte war, die 1900 während des Boxeraufstands Peking brandschatzten. Die Dreißigerjahre in China waren voller Unruhe. Das imperialistische Japan hatte 1931 die (Mandschurei genannten) Nordostprovinzen besetzt und drang Schritt für Schritt immer weiter vor, während die “Nationalregierung” unter Tschiang Kai-schek diesen Aggressionen kaum Aufmerksamkeit schenkte, dafür aber umso mehr der Unterdrückung der “Roten” in ihrem Stützpunkt in der Provinz Kiangsi. Das chinesische Volk machte sich Gedanken über dieses zwiespältige Verhalten, besonders die Jugend. Da ich das Glück hatte, bald nach meiner Ankunft die wenigen fortschrittlich gesinnten Ausländer in Schanghai kennenzulernen, wurde es mir leichter gemacht zu entscheiden, welches China mein “Lebensraum” sein sollte — das China, das in Schanghai sich mit den ausländischen Niederlassungen zum Paradies der Abenteurer und Spekulanten entwickelt hatte, oder das China der Werktätigen, die von den eigenen wie von den fremdländischen Reaktionären geknechtet wurden. Mit Professor Tandler, Professor der Anatomie an der Wiener Universität und Leiter des Gesundheitswesens in der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung, der auf dem gleichen Schiff wie ich nach Schanghai gekommen war, als Berater des chinesischen Gesundheitswesens, hatte ich Gelegenheit, einen Rundgang durch die “Fabriken” Schanghais zu machen - feuergefährliche Gefängnisse in verwahrlosten Häusern für die durch Hungersnöte in die Stadt verschlagenen Unglücklichen. Und weil ich gerade von “Gefängnis” spreche, muß ich über einen weiteren schreckensvollen Eindruck berichten. Ein Mann, wegen Diebstahl meiner Handtasche zu mehrmonatigen Gefängnis verurteilt, kam danach rosig und gesund heraus, denn im Gefängnis hatte er doch wenigstens ein Dach über dem Kopf und täglich zu essen! Das war Schanghai in diesen Tagen, wo die Hütten der Werktätigen neben Palästen von Multimillionären Anschauungsunterricht in den Klassenunterschieden gaben... Bezug auf Österreich hat eine andere Erinnerung aus jener Zeit. Die Frau eines bekannten Arztes war gerade vom Heimurlaub in Wien nach Schanghai zurückgekehrt. Während sie mich in ihrem eigenen Kabriolett spazierenfuhr, erklärte sie, es wäre besser, in Wien Fußböden aufzureiben, als in Schanghai zu leben! Natürlich wurde ich nie mehr eingeladen, als ich lächelnd bemerkte, ich verstünde nicht, warum sie dann noch nach Schanghai zurückgekehrt war... Der Arzt und die Familie hatten ein ganzes Haus für sich und eine Schar von Dienern. Es gab auch Leute, die sich noch weit verächtlicher über China ausließen, das ihnen ein so überaus bequemes Leben ermöglichte. 1881-1936 aha im Kampt [a RICO und soziale Be „Eng die Brauen zusammengezogen, kalt und voller Verachtung trotz ich tausend Herren, die mit Fingern auf mich zeigen. Willig wie ein Buffel beug’ mein Haupt ich vor den Kindern." Plakatentwurf von Willy Pechtl (die angekündigte Lu Hsün-Ausstellung hat in Österreich nie stattgefunden). Lu Hsün (in heute gültiger Transkription: Lu Xun) wurde am 25. 9. 1881 in Shaoxing (Provinz Zheijiang) in China geboren (sein eigentlicher Familienname war Zhou). Er studierte Bergbau, Eisenbahnwesen und Medizin in Nanjing, Tokio und Sendai (Japan); Übersetzungen aus dem Deutschen und Japanischen. 1909 Rückkehr nach China, ab 1912 Leiter der Abteilung fiir gesellschaftliche Erziehung im Erziehungsministerium in Bejing (Peking); Rücktritt 1917. 1918 “Tagebuch eines Wahnsinnigen”, Publikationen in der Zeitschrift “Neue Jugend”. 1923 erster Prosaband “Aufruf zum Kampf”. 1926 Flucht an die Universität in Amoy. 1927 Dekan der Sektion Literatur der Sun-Yatsen-Universität in Kanton. Im Oktober Flucht nach Shanghai. Mitbegründer der Chinesischen Liga linker Schriftsteller, Zusammenarbeit mit der Chinesischen Liga zum Schutz der Menschenrechte. Ermutigt chinesische Künstler, nach dem Vorbild von Käthe Kollwitz u.a. zu arbeiten (Holzschneider-Bewegung). Arbeitet zunehmend unter Bedingungen einer dem Faschismus in Europa ähnlichen Kuomintang-Terrorherrschaft. Am 19.10. 1936 stirbt er in Shanghai an Tuberkulose. Der österreichische Exilschriftsteller Joseph Kalmer war einer seiner ersten Ubersetzer ins Deutsche.