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Am 26.November wurden im Literatur¬
haus Wien die Bücher präsentiert:

Jura Soyfer: Sturmzeit. Briefe 1931-1939.
Hg. von Horst Jarka. 255 Seiten, öS 228, -.
Zwischenwelt 2 - Jahrbuch der Theodor
Kramer Gesellschaft. Die Welt des Jura
Soyfer. Hg. von der Jura Soyfer Gesell¬
schaft. 259 Seiten, öS 180,-.

Dieser Band enthält die Beiträge zum
Jura Soyfer-Symposium 1989, neuent¬
deckte Texte von Jura Soyfer und Zeich¬
nungen, Berichte und Gedichte von
Leon Askin, Alfredo Bauer, John
Lehmann, Bil Spira u.a.

Beide Bücher sind im Verlag für Gesell¬
schaftskritik (Wien) erschienen.

Jura Soyfer in Saarbrücken

Vom 3.-5. Dezember 1991 fand an der
Universität des Saarlandes ein interna¬
tionales Kolloquium “Jura Soyfer,
Europa, mulitkulturelle Existenz” statt.
Veranstalter waren die Jura Soyfer Ge¬
sellschaft, das Institut für Theaterwis¬
senschaft (Wien) und die Arbeitsstelle
für Robert-Musil-Forschung (Saar¬
brücken), deren Leiterin Marie-Louise
Roth zusammen mit dem saarländi¬
schen Wissenschaftsminister Diether
Breitenbach und Christa Sauer, Kultur¬
rat der österreichischen Botschaft in
Bonn, die Tagung eröffnete.

Trotz einiger Absagen im Vorfeld (Fritz
Hackert, Thomas Rothschild, Ian
Huish, Edward Timms, Uwe Naumann,
Manfred Diersch, Wolfgang Greiseneg¬
ger) standen alle Vorträge auf hohem
Niveau und führten zu lebhaften Dis¬
kussionen. Leider machten sehr wenige
Interessierte aus Saarbrücken Ge¬
brauch von der Gelegenheit, Jura
Soyfer näher kennenzulernen. Nicht
alle Referenten kannten die Ergebnisse
des 1. Internationalen Soyfer-Symposi¬
umsin Wien (veröffentlicht in “Die Welt

Das war die Stadt, in der Lu Hsün das letzte Jahrzehnt seines Lebens verbrachte

Lu Hsün war ein Pseudonym von vielen, dessen sich der Schriftsteller, der einst
technische Fächer und Medizin studiert hatte, bedienen mußte, um seinen
Verfolgern ein Schnippchen zu schlagen. In meinem Besitz ist ein vor kurzem
herausgegebener, fein ausgestatteter Band mit Siegeln der 156 Pseudonyme und
der darunter veröffentlichen Schriften Dschou Schu-jens ...

Ich lernte Lu Hsün durch die amerikanische Schriftstellerin Agnes Smedley
kennen, die 1928 als Korrespondentin der “Frankfurter Rundschau” nach
Schanghai gekommen war. Lu Hsün hatte in seiner Jugend das Deutsche und
Japanische erlernt, die beiden Sprachen dienten ihm als Vermittler für seine
zahlreichen Übersetzungen aus der Weltliteratur, besonders der fortschrittli¬
chen. Agnes Smedley war in Deutschland mit der Grafikerin Käthe Kollwitz
befreundet gewesen, und Lu Hsün ließ deshalb Agnes eine Einführung zu dem
Band von Koliwitz-Blättern schreiben, den er, auf feinstem Reispapier gedruckt,
herausbrachte.

Der politische Terror verbot es, daß Agnes mich persönlich bei Lu Hsün einführ¬
te. Ein chinesischer “unbescholtener” Freund brachte mich zu ihm. Um Lu Hsün
zu besuchen, mußten verschiedene Vorsichtsmaßregeln beachtet werden,
ebenso wenn man Agnes besuchte. Ob man dabei wirklich unbeachtet blieb, sei
dahingestellt. Photokameras konnten leicht in den gegenüberliegenden Ge¬
schäftslokalen oder getarnten Wohnhäusern eingebaut werden...

Da ich nur geringe Kenntnisse der chinesischen Sprache und schon gar keine der
chinesischen Literatur besaß, war mir damals die Größe Lu Hsüns nur unzurei¬
chend verständlich. Aber deutlich ist mir noch in Erinnerung, wie er auf eine
erstaunte Bemerkung meinerseits, daß der Band von Kollwitz-Graphiken bloß
zwei mexikanische Dollar (die damalige Währung Chinas) kostete, mit einem
wehmiitigen Seufzer und den Worten reagierte: “Für unsere Freunde sind zwei
Dollar viel Geld!” Eine Kluft im Lebensstandard tat sich da auf, wie sie eben nur
im damaligen Schanghai vorhanden war, wo schreiende Extravaganz achtlos an
tiefstem Elend vorüberschritt. Und es waren nicht nur die Ausländer, die den
chinesischen Werktätigen das Mark aussogen; die chinesische Oberschicht war
vielleicht noch schlimmer! Der Sekretär der “Bank of China” konnte, ohne mit
der Wimper zu zucken, berichten, er habe am Abend vorher hundert oder mehr
Dollar beim Pokerspiel gewonnen (oder verloren), während für einen Werktä¬
tigen tatsächlich die Ernährung eines Monats mit zwei Dollar bestritten werden
mußte.

Viel ließe sich noch über die alte Gesellschaft in China berichten, doch heute soll
die Betonung auf Beziehungen der Freundschaft zwischen den beiden Ländern
gelegt werden, Beziehungen, bei denen ein Land von den Vorzügen des anderen
zu lernen bemüht ist.

Mit Lu Hsün als Vermittler läßt sich leicht bei Völkerfreundschaft und gegensei¬
tigem Verständnis einhaken, denn kein anderer in China schenkte der Kultur
Europas so viel Aufmerksamkeit wie er.

China selbst ist erst heute imstande, seine ganze Größe einzuschätzen. Erst jetzt
lassen sich die Wurzeln des heutigen China in der halb-kolonialen, halb-feudalen
Gesellschaft der Dreißigerjahre verstehen. Für meine eigene Entwicklung sind
die heutigen historischen Rückblicke überaus wertvoll — dadurch begreife ich,
welche Wegstrecke ich zurückgelegt habe.

Während Mao Tsetung schon 1940 Lu Hsün als überragenden Denker bewertete
und Lu Hsün den von Mao Tsetung geführten Kräften seine volle Unterstützung
ausgesprochen hatte, machten die Ereignisse während der Kulturrevolution
unserer Tage als Schlußpunkt einer Ära und als Bindeglied zur Kulturrevolution
von 1919, der “Bewegung des 4. Mai”, das eingehende Studium Lu Hsüns
notwendig.

Lu Hsün war für den Fortschritt, gegen jedes Dunkelmännertum, besonders
gegen den Konfuzianismus, der mehr als 2500 Jahre lang China in Banden hielt,
Denn unter Tschiang Kai-scheks Regime bleiben “die Riten” bis zur Befreiung
im Jahre 1949 gültig, und das alte Denken hat sich auch nach der Befreiung noch
erhalten - siehe die Kaiserinträume einer Djiang Tjing!

Lu Hsün machte kein Hehl aus seiner patriotischen Gesinnung, aus seinem