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Abscheu gegen das verräterische Kriechertum den Aggressoren gegenüber, während der “innere Feind”, der China aus seinem Siechtum herausführen wollte, mit Feuer und Schwert ausgerottet werden sollte. Gerade dieser Mut machte Lu Hsün zum Idol der Jugendlichen, die nicht heimatlose Sklaven bleiben wollten und denen seine große Fürsorge galt. Aber eben weil Lu Hsün die jungen Leute wie ein Magnet anzog, denn auch als Lehrer brachte er Themen zur Sprache, die dem reaktionären Klüngel verhaßt waren, wurde der an Tbe leidende zur “Gefahr” für die herrschenden Klassen. Leider ist in deutscher Sprache noch viel weniger von Lu Hsüns Werk erhältlich als in englischer. In Peking hat der Verlag für fremdsprachige Literatur einen Band von Erzählungen Lu Hsüns herausgebracht, zu denen oft die konfuzianische Ethik in all ihrer Scheinheiligkeit und Grausamkeit den Hintergrund bildet. Nirgends wird die sich daraus ergebende Tragik deutlicher als in “Das Neujahrsopfer” ... Eine Bäuerin, die, wie es Brauch war, keinen eigenen Namen hatte und nur Hsiang-lins Frau genannt wurde, wird von dem unerbittlich starrem Gesellschaftssystem, das sie als schicksalsmäßig akzeptiert, in den Tod getrieben. Daß ein solches Frauenschicksal durchaus nicht der Phantasie Lu Hsüns entsprang, kann ich aus meinen Erlebnissen bezeugen. Eine über 60jährige Haushälterin, die ich 1952 im neuen China engagierte, hatte ebenfalls keinen eigenen Namen; in der alten Gesellschaft hatte die hübsche Frau unseres Kochs in Schanghai Selbstmord begangen, weil ihr Schwiegervater sie ins Dorf zurückzwang und nicht bei ihrem Mann bleiben ließ. Bei Rowohlt ist ein Band von Lu Hsüns Essays erschienen, “Der Einsturz der Lei-feng-Pagode”, in denen ebenfalls die Frauenfrage angeschnitten wird. Der erste Essay aus dem Jahre 1918 trägt den Titel “Meine Ansichten über die Keuschheit”. Lu Hsün verurteilt damit die Verhältnisse zu jener Zeit, die unter Tschiang Kai-schek sogar zum Großteil bis 1949 fortbestanden. Ein anderer Essay beschäftigt sich mit der Frage “Was passierte, als Nora von zu Hause fortging”, denn in den Zwanzigerjahren unseres Jahrhunderts erregte Ibsens Bühnenstück “Nora - ein Puppenheim” ziemliches Aufsehen in China, da die Frauen des Mittelstands sich Gedanken über Emanzipation zu machen begannen. Auch andere Essays aus den Dreißigerjahren betreffen die Frau, so zum Beispiel “Mädchen in Schanghai” und “Über Frauenemanzipation”. Zum Thema Frauen gehören auch Lu Hsüns Essays (in demselben RowohltBand) über die Ereignisse des Jahres 1926, da er an der Pädagogischen Frauenhochschule in Peking unterrichtete und den Studentinnen zur Seite stand in deren Kampf gegen eine verbissene Rektorin und den ganzen Regierungsklüngel von Bürgerkriegsgeneralen, die nur auf wehrlose Studenten zu schießen wußten. Titel dieser Essays: “Neue Rosen ohne Blüten”; “Gefährliches Terrain” und “Zur Erinnerung an Fräulein Liu Ho-dschen”, eine Studentin, die bei einer friedlichen Demonstration niedergeschossen wurde. Aus meiner persönlichen Bekanntschaft mit Lu Hsün kann ich nur vom letzten Zusammentreffen bei einer Holzschnittausstellung in Schanghai anfangs Oktober 1936 berichten, knappe 10 Tage vor Lu Hsüns Tod! Kein Mensch hätte ihm angesehen, daß er so bald von uns scheiden würde, wie immer war er voller Interesse und Fürsorge für die jungen Künstler, die gierig seinen Worten lauschten. Ich saß für eine Weile mit ihm und einigen dieser jungen Leute an einem Tisch, und glücklicherweise knipste jemand ein Bild von diesem bedeutungsvollen Treffen. Zehntausende nahmen unter Tränen Abschied von seiner sterblichen Hülle, als er dann in einer Trauerhalle aufgebahrt lag, alle fühlten, einen Lehrer, Freund und Ratgeber verloren zu haben, auch wenn sie ihn nur aus seinen Schriften kannten. Tränenlos war nur seine Frau, Hsü Guang-ping, die uns alle ermahnte: “Wir haben keine Zeit zum Weinen, wir müssen sein Vermächtnis erfüllen!” Ruth Weiß, geboren in Klosterneuburg (Niederösterreich), aus österreichisch-jüdischer Familie, studierte Germanistik an der Universität Wien, emigrierte bereits 1931 nach China, wurde Mitglied der “Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes”. Lebte zuletzt in Bejing. Ihre “Erinnerungen an Lu Hsün” sind in einem Referat enthalten, das sie 1981 in Wien hielt. 15 des Jura Soyfer”, Jahrbuch Zwischenwelt 2). Die Tagung folgte zu knapp auf die Veröffentlichung. Besonders interessant war das Auftreten von Beate Schmeichel-Falkenberg und Helmut Mörchen. Beide kommen von der Kurt Tucholsky-Forschung. Bestechend ihr offenes Eingeständnis, daß die Soyfersche Bearbeitung des Kolumbus-Stückes von Hasenclever/Tucholsky der Vorlage überlegen ist. Um so mehr ist das von der Hasenclever-Erbin verhängte Aufführungsverbot über “Broadway Melody 1492" (das von dieser Seite schlicht und ergreifend als ”Plagiat" bezeichnet wird) zu bedauern. Da aber in den USA der Urheberrechtsschutz schon nach 50 Jahren erlischt, wird es in New York 1992 zu einer von Eva Brenner initiierten Aufführung in englischer Sprache kommen. Wichtig waren auch Tama$ Lichtmanns Ausführungen über das ungarische Kabarett: Ansätze zu einem internationalen Vergleich der Kleinkunst im Widerstand, die ausgebaut werden müssen. Die Ergebnisse des Kolloquiums werden in der Schriftenreihe der Robert-Musil-Arbeitsstelle “Beiträge zur Robert-Musil-Forschung und zur neueren österreichischen Literatur” im Röhrig-Verlag, St. Ingbert, erscheinen. Folgende Referate wurden gehalten: Horst Jarka: Realismus und Utopie. Jura Soyfers Werk und Europas Wandlungen. Hilde Haider-Pregler: Theaterpolitik und realität im Ständestaat. Herbert Arlt: Europäische Widerspruchsfelder und österreichische Identitätsbildung am Beispiel Jura Soyfer. Johann Holzner: Grillparzer und Nestroy als Bezugsgrößen in Theaterkonzeptionen des Exils und Widerstands. Helmut Mörchen: Politik und Unterhaltung. Das Kolumbus-Stück als BoulevardKomödie. Eva Brenner: Annäherung an Jura Soyfers Theater für das multikulturelle Theater in New York am Beispiel von “Broadway Melody 1492". Bericht über Vorbereitungen für die Amerikanische Erstaufführung 1992. Beate Schmeichel-Falkenberg: Berliner Schmäh und Wiener Schnauze. Über Jura Soyfer und Kurt Tucholsky. Tama$ Lichtmann: Jura Soyfer und das ungarische Kabarett. Konstantin Kaiser: Jura Soyfer und die Zukunft des Humors in Europa. Jürgen Doll: Jura Soyfer und Heinrich Heine. Alexander Belobratow: Jura Soyfers Romanfragment ”So starb eine Partei". Versuch einer Interpretation. Gerhard Scheit: Ästhetische Avantgarde und soziale Utopie bei Jura Soyfer. Gilbert Badia: Bemerkungen zum Menschenbegriff bei Jura Soyfer. K.K.