OCR
Fred Wander, geboren am 5.1. 1917 in Wien, verließ mit vierzehn Jahren die Schule und schließlich das Elternhaus. Drei Jahre Lehrling in einer Kleiderfabrik, danach trieb er sich als Vagabund und Gelegenheitsarbeiter in mehreren Ländern herum. Im Mai 1938 emigrierte ernach Frankreich, wurde wiederholt interniert, zuletzt in der nicht-besesetzten Zone. September 1942 Deportation nach Auschwitz und dann nach Buchenwald. Seine Eltern wurden beide im KZ Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg kehrte er nach Wien zurück; Zeichner, Fotograf und Reporter für „Der Abend“. 1950 erschien das erste von mehreren Jugendbüchern in der DDR. 1955 bis 1982 als freischaffender Schriftsteller in der DDR. Er war verheiratet mit der Schriftstellerin Maxie Wander. Seit 1983 lebt er wieder in Wien. Werke: Der siebente Brunnen. Erzählung. Berlin, Weimar 1971. (5. Auflage 1987.) Ein Zimmer in Paris. Erzählung, Berlin, Weimar 1975. Josua läßt grüßen/Der Bungalow. Zwei Stücke, 1979. Hötel Baalbek. Roman. Berlin, Weimar 1991. Zusammen mit Maxie Wander die Reisebücher: Doppeltes Antlitz. Pariser Impressionen, 1966; Provenzalische Reise, 1978. Herausgeber der „Tagebücher und Briefe“ von Maxie Wander, 1979. Klemens Renoldner Sie waren nicht ohne Namen Fred Wanders Emigrations-Roman Marseille im Sommer 1942. Die alte Hafenstadt, verdreckt und trostlos, die Hotels tiberschwemmt von Flüchtlingen aus Deutschland, aus anderen Ländern, auch aus Frankreich. Denn Frankreich ist fast zur Gänze von den Nazis besetzt. Bis hierher in den Süden sind sie noch nicht vorgestoßen. Man erwartet sie jeden Tag, zu jeder Stunde. Die kleinen Gassen am alten Hafen, hier kann man ziellos herumstreunen einen Moment Ruhe suchen, für einen Moment ein kleines Abenteuer finden, das einen von der Angst, vom bedrückenden, endlosen Warten erlöst. Die vielfältige Angst der Emigranten. Gerüchte, Gespräche, Vermutungen, Verdächtigungen, Beisammensitzen und Räsonnieren, Erzählen von früher, Tratsch und Neugier, Traum und Verzweiflung — das ist das Leben. Einen Tag lang - und viele Tage lang. Die scheinbar spielerische Abwehr von tiefer Verzweiflung, höchster Not und Verlorenheit durch das Gespräch, durch das Erzählen von Geschichten gelingt manchmal. Die - tatsächlich unmittelbar — bevorstehende Ankunft der Nazis wird hier sosehr befürchtet, als ob die Befreiung von dieser Angst eine Erleichterung sein könnte. Das sind die unbegreiflichen Widersprüche, die irrwitzigen Paradoxien des Exils. Immer wieder die Atmosphäre der Stadt Marseille, in keinem Moment beschönigt, auch wenn man hier glaubt, in der Ausweglosigkeit glücklich sein zu können, wenn einem banale Neugier die Wege bahnt durch die Stadt. Und die billigen, schäbigen, kleinen Hotels und in einem davon, unterm Dach, ein Zimmer, das man einer gewissen Katja verdankt, die man gar nicht kennt. Und die Sonne brennt auf das Blechdach des Hotels namens Baalbek.. Du eerstickst unter diesem Dach, das Blech vor unserem Fenster glüht beinahe, und die Luft flimmert über den Dächern. Der Blick über das Hafengebiet zeigt eine phantastische Landschaft von roten Ziegeldächern und schwarzen windschiefen Schloten, von verdeckten, winzigen Terrassengärten im sechsten Stock und den Hunderten Schiffsrahen und bunten Flaggen dahinter, und alles bewegt sich, alles zerfließt in brodelndem Licht. Von unten dringt der Hotelgeruch, leicht faulig, mit Schimmel und Staub durchsetzt, Menschengeruch, gestockter Schweiß und Trübsinn. Die paar Zimmer dieser schmalen Absteige: zwei Hände voll Schicksale, heftige Sehnsüchte und nüchterne Verzweiflung, schlaflose Nächte und dazwischen: Reden, Erzählen, Jammern und Klagen. Dieser Notaufenthalt zwischen alter Heimat und ungewisser, neuer Zukunft wird zur schweren Identitätskrise der Flüchtlinge. Wie Anna Seghers in ihrem berühmten Roman „Transit“, der das Marseille von 1940 zum Schauplatz hat, zeigt auch Fred Wander das Exil als ausweglose Vorhölle mit selbstzerstörerischen Ritualen. Die wiederholten Versuche aus Frankreich herauszukommen, sich ein Visum zu beschaffen, scheitern trotz aller Bemühungen. Dennoch muß man die Berichte von den mehr oder weniger erfolgreichen Tricks mit Behörden, den Erfahrungen mit Spitzelwesen, Denunziationen, Verdächtigungen, mit den gelangweilt-höflichen Polizisten anhören. Und man hat zu warten, stillzuhalten und zu warten. Die eigene Vergangenheit ist abgetrennt und zerstört, das neue Leben kann nicht beginnen. Man sitzt zusammen, die Zeit scheint angehalten, und man erzählt Geschichten. Von ihrem Vaterhaus erzählen sie, von der Sippe und all dem, was sie schon vor langer Zeit verloren haben. Sind wir denn noch Juden, was ist aus uns geworden, schaut euch an, schaut mir in die Augen! Der das sagt, löst allgemeine Empörung aus, und doch hat er recht, was sich aber keiner eingestehen möchte. Sie haben sich