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Vergessene und exilierte Literatur In der Bundesrepublik Deutschland hat sich eine „Gesellschaft zur Förderung vergessener und exilierter Literatur“ gebildet. Adresse: Thomas B. Schumann (Vorsitzender), D-5030 Hürth 5 (bei Köln), Kiefernweg 11. „Ziel der Gesellschaft ist eine geistige Wiedergutmachung und Rehabilitierung, d.h. Bekanntmachung und Verbreitung zu Unrecht vergessener, zumeist im Gefolge des Nationalsozialismus ins kulturelle Abseits geratener Literatur vornehmlich aus der Zeit des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit der zwanziger Jahre, des antifaschistischen Widerstandes und des Exils und ihres noch immer aktuellen Gedankenguts.“ Die Zielsetzung ist über die große Sympathie hinaus, die ein solches Unternehmen verdient, in zwei Punkten interessant. Zum einen wird keine unüberwindbare Trennlininie zwischen der Literatur des Exils und der Literatur des antifaschistischen Widerstandes aufgebaut. Sie werden als eine Einheit gesehen. Zum anderen stemmt sich die Gesellschaft gegen die heute fühlbare Tendenz, im Namen eines sich aktuell vollziehenden epochalen Wandels die Aufgabe, aus der Literatur des Exils und des Widerstands zu retten, was zu retten ist, für erledigt, veraltet, unnütz zu verwerfen. (Da gibt esz.B. in Österreich Menschen, die allen Ernstes eine Auseinandersetzung mit der österreichischen Exilliteratur mit dem Argument, das nütze nichts gegen Jörg Haider, vermeiden. Die also vor lauter Antifaschismus ihre Komplizenschaft mit den postfaschistischen Verdrängungsstrategien erklären). Bekanntlich existiert in Österreich seit 1984 der „Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur“, der mit ähnlicher Zielsetzung unter anderem die Buchreihe „Antifaschistische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“ herausgibt. Vielleicht kommt es zu einer Zusammenarbeit. K.K. schließt. Beängstigend lange hält der Autor ihre Geschichte zurück, und doch bildet sie den roten Faden des Romans. Über viele Kapitel begnügt sich Fred Wander mit kleinen Andeutungen, und so hängt man sich von einem Abschnitt an den nächsten - ein sehr riskantes Unternehmen, das die Aufmerksamkeit des Lesers sehr strapaziert. Erst im 13. Kapitel, etwa in der Mitte des Romans, folgt der Bericht über die erste Begegnung mit Katja. “Aber was wollte Katja von mir? Was suchte sie? Sie suchte Mitverschworene, nichts anderes, sie suchte Kerle, die mit dem Schießeisen umgehen konnten und bereit waren für einen tödlichen Kampf. Ich wurde einmal Zeuge einer geheimen Besprechung und erinnere mich an einen Satz, der sich mir eingebrannt hatte: Wir müssen den Faschisten Schläge versetzen, damit sie erfahren — man kann nicht alle Menschen kaufen! Was mich von diesen Leuten unterschied, Katja miteingeschlossen - sie besaßen eine heilige Wahrheit, während ich an allem zweifelte. Sie waren Kommunisten, hatten den monolithischen Glauben an ein Dogma, das ihnen genau sagte, was sie zu tun hatten. Die Partei schickte sie an die geheime Front.., Der Erzähler bewundert und begehrt diese Katja Jablonsky, wie ein Pubertierender seine Lehrerin. Er glaubt sie zu lieben. Ihre erotische Ausstrahlung bringt den jungen Wiener ganz schön durcheinander. In den letzten Kapiteln des Romans hofft der Erzähler Katja wieder zu finden. Als er 1963 auf einer französischen Atlantikinsel endlich die ihm beschriebene Person findet, reicht sie ihm einen Apfel aus ihrem Garten und geht weg. Es ist natürlich nicht Katja, natürlich bleibt Katja unerreichbar. Auch diese (geheime) Sehnsucht des Lesers enttäuscht der Autor, und das ist gut so. Dieses Buch erzählt also nicht nur vom Warten, vom deprimierenden, ewigen, krank machenden Warten der Emigranten, es spielt auch mit den Erwartungen des Lesers. Die einzelnen Kapitel sind mit Exkursen und Abschweifungen gegen die Chronologie ausgestattet. Das, ich gebe es zu, erleichtert nicht unbedingt die Lektüre. Vorgriffe und Rückblenden verlangen die ständige Bereitschaft des Lesers, mitzuspringen. Für diese Aufmerksamkeit wird man aber reich belohnt. Fred Wanders Roman „Hotel Baalbek“ istauch ein Buch der Liebe in den Zeiten der Angst. Angst, Angst, tagelange Angst ist das Dauergefühl der wartenden Menschen. Das Exil zeigt sich in seiner fürchterlichen Wahrheit, als tägliche Lebensbedrohung und als banales Ereignis des Alltags, als höchste Verzweiflung, Einsamkeit, und als unerträgliche, bedrückende Warterei. Natürlich lese ich das Buch auch als schmalen Teil einer (nichtgeschriebenen) Autobiographie des jüdischen Schriftstellers Fred Wander, der 1917 im 7. Wiener Gemeindebezirk geboren wurde, der 1938 nach Frankreich flüchtete, von dort 1942 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde, 1945 im KZ Buchenwald befreit wurde, bis 1957 in Wien als Journalist und Reporter arbeitete, der danach viele Jahre (bis 1983) als freier, sehr populärer Schriftsteller in der DDR lebte, nach einigen Jugendbüchern, mehreren großen Reisereportagen, nach Theaterstücken, den Erzählungen „Der siebente Brunnen“ (1971) und „Ein Zimmer in Paris“ (1975) nun mit fast 75 Jahren einen Roman veröffentlicht hat, der zugleich ein wichtiges Dokument der jüdischen Emigration ist. Fred Wander: Hötel Baalbek. Roman. Berlin und Weimar, Aufbau-Verlag 1991. 223 Seiten.