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Während des Krieges und noch viele Jahre seit 1945 gehörte er eindeutig den Kommunisten. Sie spielten ihn, als einzige, im Exil. Otto Tausig konnte im Globus-Verlag die erste Sammlung der Stücke herausbringen. In der DDR, nicht in Österreich, erschien erstmals Soyfers genialisches Romanfragment „So starb eine Partei“ (samt peinlich grobschlächtiger Ausdeutung des Inhalts). Seit aber die sozialdemokratische Kulturpolitik, auch die außerhalb des Wiener Rathauses, Soyfer wieder zu kennen scheint, wogt um seinen Besitz ein - erstaunlich — gelinder, beinah pietätvoll geführter Kampf. Denn seien es Scham oder Geschmacksgründe welcher Art immer: Soyfer wird zur Zeit dankenswerterweise bloß mit halblautem „Denn er war unser!“ hin- und herpatriiert. Und nun Alfred Pfabigan. Er hat sich vor seinem Auftritt, den er ungeduldig erwartet, neben mich gesetzt, wachelt dynamisch mit seinem Manuskript, deutet an, es sei Dynamit, es werde Soyfer dem Kommunismus entreißen. Er funkelt. „Na, die werdn schaun!“ Ich kenne ihn ein wenig. In seinem lesenswerten Buch über Max Adler hat er einen bis dahin als untadelig geltenden Austromarxisten zerlegt, von links her. Und jetzt, was ficht ihn an? Die schaun wirklich, während er liest. Ziemlich allgemeine Unlust, hörbare, verbreitet sich. Entrüstung sotto voce, man schnaubt crescendo, über dem Mezzoforte der Ablehnung unbeirrt aber P’s Tenor, sein Solo ostinato. Ein Polit-Oratorium. - Nein, Soyfer könne aus den und den Gründen nach 1934 kein richtiger Kommunist gewesen sein, beweist P, und wie er unsere Hauptperson hier so gekonnt advokatorisch, Punkt für Punkt, dem Reich des Bösen entreißt, fällt mir seine Ausbildung ein: er ist gelernter Jurist. Natürlich wird der Dynamitard P. von seinen linken Kritikern sofort an die Wand gestellt. Als erster Jura Soyfers politischer Intimus der Dreißigerjahre: Altkommunist Mitja Rapoport, heute Emeritus der Berliner Humboldt-Universität. In gepflegter, piano vorgetragener Gegenrede läßt der Professor durchblicken, er zweifle an der geistigen und moralischen Gesundheit Pfabigans. Welcher Mensch könne denn jemals Juras und seine, Rapoports, damalige gemeinsame Tätigkeit in ein und derselben illegalen Partei bezweifeln wollen? Im Schlußsatz vergleicht er P. gar, was, je nachdem, auch ein Kompliment sein kann, mit dem berühmten Aretino (der sich freilich, nach einer DDR-Literaturgeschichte, „durch unverschämte Schmähschriften zahlreiche Feinde machte“). Arthur West wieder ironisiert Ps Behauptung, das Bohemienleben des Jura Soyfer sei unvereinbar gewesen mit richtiger Untergrundtätigkeit. Er fragt an, ob man denn allen illegalen Kommunisten, damit sie für den heutigen P. glaubwürdig seien, Kaffeehausverbot hätte geben müssen. Unruhe. Die längste Kurzanalyse der Pfabiganschen Thesen kommt von Herbert Steiner. Der Fels, auf dem sonst das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ruht, erhebt sich jetzt sehr stämmig hinten im Saal. Mit Stentorstimme erklärt er nach vorn, hinweg über die vielen rückwärtsgedrehten Köpfe, dem Referenten P. (der freilich uneinsichtig bleibt) seine eigene Sicht des illegalen Kampfes. Wenn P. mit seinen Zitaten herausstreiche, Juras Persönlichkeit habe theoretisch nicht den Anforderungen der damals geltenden stalinistischen KP-Ideologie entsprochen, so besage das überhaupt nichts hinsichtlich der gleichzeitigen Österreichischen Untergrundpraxis: „Was ein Ernst Fischer damals in Moskau gesagt hat, hat man in Österreich gar nicht zur Kenntnis genommen.“ Dynamitard Pfabigan aber bleibt verstockt, kein böses Zureden hilft, die Soyferfreunde trennen sich unversöhnt. - Wohin denn ich? Um mich in politicis zu orientieren, beschließe ich, wieder einmal meinen Aufklärungsartikel „Jura Soyfer. Eine politische Einschätzung“ zu lesen. 19 66 „Jude Dorothea McEwan, geborene Österreicherin, die in England lebt, Mitglied des PE.N.-Zentrums deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland, war bis 1991 Korrespondentin der österreichischen Zeitschrift „Kirche Intern. Forum für eine offene Kirche“. In der AugustNummer 1991 erschien ein Interview McEwans mit dem Kunsthistoriker Ernest Gombrich. Der Vorspann begann mit den Worten: „Da für Ernst Gombrich in Österreich keinerlei Aussicht auf eine Anstellung bestand, ging er Anfang 1936 nach England ...“ Daraus wurde in „Kirche Intern“ der Satz „Da der Jude Ernst Gombrich...“ (Der Rest blieb unverändert). McEwan forderte, daß in der nächsten Nummer eine Entgegnung abgedruckt werde: „Die Autorin ... distanziert sich mit Nachdruck von der Textänderung .“ Auch Ernest Gombrich unterstützte McEwan in einem Brief an Pfarrer Rudolf Schermann, den Herausgeber von „Kirche Intern“. Er wies daraufhin, daß die Kirche den Rassenwahn der Nürnberger Gesetze nie akzeptiert habe, und daß er selbst, nach religösem Gesichtspunkt, nicht Jude, sondern Protestant sei. Schermann verweigerte den Abdruck der Entgegnung auf seine „vollkommen gutwillige Einfügung“. McEwan wurde aus dem Impressum gestrichen. „Wir haben“, schrieb er mir am 25.2. 92, „die Mitarbeit mit Frau McEwan beendet, weil wir ihre Mitarbeit für nicht so substantiell und wichtig gehalten haben.“ Eine abgeschlossene Angelegenheit. Wohlmeinende, die durch die Bezeichnung eines Menschen als „Jude“ an dessen Aussonderung und Verfolgung in der faschistischen Epoche erinnern wollen, übersehen leicht, daß die Bezeichnung DER JUDE bei den Betroffenen unangenehme Assoziationen auslösen muß und sie, selbst wenn sie der jüdischen Religion anhängen, mit einem bestimmten Zug ihres Wesens oder nur ihrer Herkunft identifiziert. Die „gutwillige“ Etikettierung wirkt neuerlich aussondernd. -— McEwans Forderung scheint daher ebenso berechtigt, wie das selbstgerechte Verhalten des Pfarrers Schermann unverständlich bleibt. K.K.