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22 tik“ bleiben in anderer Weise auf Distanz zu jenem politischen Dilemma, von dem die Autobiographie nicht loskommt. „Von der Notwendigkeit der Kunst“ zeugt dabei von einer erstaunlichen philosophischen Klarheit, vor allem was die Darlegung des historischen Ursprungs von Arbeit und Kunst betrifft. Bemerkenswert dabei auch Fischers luzider Prosa-Stil, mit dem die kompliziertesten Zusammenhänge vermittelt werden: die Entstehung des Subjek-Objekt-Verhältnisses in der Arbeit wird man kaum irgendwo stringenter und klarer dargestellt finden. Das Buch ist, nachdem es in englischer Sprache in den sechziger Jahren großes Aufsehen erregt hatte, inzwischen fast ganz in Vergessenheit geraten. Aber das wundert nicht; wer wollte schließlich etwas vom Subjekt-Objekt-Verhältnis begreifen, wenn das Subjekt längst schon wieder unter der Erde liegt. Die aus dem Nachlaß publizierte Studie „Ursprung und Wesen der Romantik“ leidet demgegenüber an einem weitgehend unbestimmten Romantik-Begriff. Sie könnte als Versuch gelesen werden, die marxistische Verdammmung der Romantik durch die Entgrenzung des Begriffs zu unterlaufen. Fischer selbst war offensichtlich bis zuletzt unzufrieden mit seinem Manuskript und hat immer wieder Änderungen vorgenommen. Das gilt im übrigen für viele Arbeiten Fischers. Es handelt sich um works in progress: der Autor arbeitete sie oft über Jahrzehnte hin immer wieder um. Die Ausgabe von Gauß und Hartinger vemag diese mitunter sehr kompliziert verlaufenden, über verschiedene Übersetzungen vermittelten Änderungsprozesse nicht nachzuvollziehen. Dazu bedürfte es eines finanziellen und verlegerischen Aufwands, der heute für ein dem Marxismus verpflichtetes Werk nicht in Frage kommt. Ist doch sogar die MEGA, die Marx-Engels-Gesamtausgabe, inzwischen zum Problemfall geworden. Es handelt sich also nicht um eine Studienausgabe und schon gar nicht um ein sogenanntes historisch kritisches Unternehmen, sondern schlicht um eine Leseausgabe, die mit oft anregenden Nachwörtern versehen ist; und eine solche Leseausgabe ist im Augenblick auch am wichtigsten für die seit langem vergriffenen Schriften. Hinzu kommt, daß die Heterogenität der Ausgabe, wie sie durch die oft unvermittelte Zusammenstellung der Texte, ihre Herauslösung aus dem jeweiligen geschichtlich-politischen Zusammenhang entsteht, eine Art Verfremdungseffekt produziert. Zu dieser Verfremdung gehört vielleicht auch, daß ein kleiner deutscher Verlag die Schriften herausgibt. Losgelöst von den vergangenen parteipolitischen Querelen und marxistischen Wadlbeißerein wird deutlicher erkennbar, welche der Schriften bleiben werden. Über den Horizont des Österreich-Diskurses der Zweiten Republik und aller Kontroversen mit dem parteioffiziellen Marxismus der poststalinistischen Ära ragen vielleicht am weitesten die Studien zur österreichischen Literatur hinaus; sie sind in dem jüngsten Band der Ausgabe „Von Grillparzer zu Kafka - Von Canetti zu Fried“ versammelt. Und merkwürdigerweise führen sie auch zu den politischen und moralischen Brennpunkten der Autobiographie zurück. Die Reihe wird durch den GrillparzerEssay eröffnet, den Fischer 1941 im Moskauer-Exil entworfen hat — nicht lange nach seinen Broschüren gegen den Trotzkismus und den Denunziationen von Schutzbündlern. Ist er nur eine humanistische Fassade des Terrors? Wie kann aber eine Fassade zum Besten gehören, was je über die Problematik der Literatur der Habsburgermonarchie geschrieben wurde? Ich denke, Fischer ist es in seinen Studien zur österreichischen Literatur wie nirgend sonst gelungen, seine eigene Situation zu reflektieren; nicht indem er seine Lage in den historischen Gegenstand projizierte, vielmehr indem er ein Verhältnis herzustellen begann, zwischen seiner Situation und der des betrachteten Autors — nicht ohne freilich seine eigene wieder unkenntlich zu machen. So entstand jene Spannung in den Essays, die von einem Involviertsein zeugt und zugleich von historischer Objektivität. Dies unterscheidet Fischers Studien zur Literatur auch wesentlich von seinen Überlegungen zum österreichischen Volkscharakter, die vermutlich in einem der nächsten Bände der Ausgabe erscheinen werden. Hört man hier allzu oft Phrasen, die von politischer Taktik diktiert werden, so gelingt ihm dort eine Vertiefung, die sich gesellschaftlicher Erfahrung verdankt. Wie sonst hätte Ernst Fischer die Schwächen des Habsburgischen Bürokratismus - die Grillparzer manche Spielräume boten — mit solcher Anschaulichkeit beschreiben können, hätte er ihn nicht insgeheim mit jenem Bürokratismus verglichen, unter dessen stets gegenwärtiger Bedrohung er selbst leben mußte und dessen Anweisungen er exekutierte. Über Grillparzers Situation heißt es etwa: „Das Wohl des Staates schien davon abzuhängen, daß über jeden Schritt jedes Bürgers ein Akt angelegt, zugleich aber davon, daß niemals ein Akt erledigt wurde, denn jede Erledigung irgendeines Anliegens, einer Beschwerde, eines Streitfalls konnte irgendwelche unvorhergesehene Wirkungen haben.“ Der dies schrieb, war sich wohl bewußt, daß der Sowjetstaat zu den unvorhergesehenen Wirkungen fortschritt und in jedem Fall die Akten erledigte. Auch die Faszination durch Libussas Gestalt wird hier verständlich, Fischer zitiert ihre subversive Botschaft (allerdings erst in der letzten Fassung des Essays): „Nicht Ganze mehr, nur Teile wollt ihr sein/ Von einem Ganzen, das sich nennt die Stadt,/ Der Staat, der jedes Einzelne in sich verschlingt‘““. Vielleicht ist nur Georg Lukäcs in dieser spezifischen Problematik mit Ernst Fischer vergleichbar. Die ihnen gemeinsame Diskrepanz von Verschweigen und Reflexion mag jene enge Freundschaft begründet und fortwährend erneuert haben - in ihren Ergebnissen kamen sie doch oft genug zu entgegengesetzten Interpretationen. Auch bei den Moskauer Arbeiten von Lukäcs ließe sich von einer Verschiebung sprechen, doch ist sie noch schwieriger zu dechiffrieren. Man kann sich die ungeheure Produktivität von Lukäcs in den Moskauer Jahren kaum erklären, wenn man nicht eine eigenartige Faszination annimmt, die dem kritisierten und gehaßten Objekt selber entsprungen sein muß. Unter dem inneren Zwang, seine Parteinahme „right or wrong, my party“ zu legitimieren, kritisierte er mit scharfem Blick den Verfall des Bürgertums und die Vorgeschichte des Faschismus und stieß doch in dieser Analyse auf Momente des eigenen gegenwärtigen Verhaltens, was ihn aber noch enger an den Gegenstand band und tiefer in