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Du fragst, warum man dich nicht bat, in dein Heimatland zurückzukehren. Du fragst, warum sich kein Regierungschef und keine Kirchenfürsten nach dir sehnten. Du fragst, warum man dir nicht deine Staatsbürgerschaft zusammen mit einer Pension zurückgab. Du fragst, warum du bei deiner Rückkehr nicht vom Verteidigungsminister mit Handschlag begrüßt wurdest. Die Antwort ist einfach: Du bist kein alter Kämpfer wie Walter Reder, der seine Pflicht erfüllte für Führer und Reich! Auch Reder wurde einst vom Emigranten zum Remigranten. Er verließ sein Heimatland in den Dreißigerjahren, um einem anderen Sohn Österreichs die Treue zu schwören und sich in Nazi-Deutschland eine SS-Karriere aufzubauen. Und wie sein großes Vorbild der berühmteste aller Emigranten, die zu Remigranten wurden — kehrte auch er heim, als Osterreich zur Ostmark wurde. Major Reder, der sich besondere Verdienste beim Massaker von Marzabotto erwarb, war nicht nur Befehlsempfänger, sondern auch Befehlshaber und hat selber mit Hand angelegt. Als man Frauen, Kinder und Greise abschlachtete und Hauser niederbrannte, benahm sich Reder vorbildlich; und um zu zeigen, daß er ein guter Kamerad war, fiel er über eine Nonne her. Im Winter 1985, vierzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Tausendjährigen Reichs, verließ “der letzte österreichische Kriegsgefangene” seine Gemächer in der italienischen Festung Gaeta — wo ihm ein Adjutant zur Hand ging nachdem sich führende Österreicher für seine Entlassung eingesetzt hatten. Sie vertraten die Meinung, daß seine Bestrafung für das Hinschlachten tausender Menschen zu hart ausgefallen wäre und daß er nun eine Entschädigung verdient hätte. Ist es nicht selbstverständlich, daß ein Mann, der sich einst so tapfer schlug, vom Verteidigungsminister willkommen geheißen wurde? Was gibt es da im Vergleich so Bemerkenswertes an einem zurückgekehrten Juden, wie du einer bist? Herbert Kuhner, 1935 in Wien geboren, 1939 mit den Eltern in die USA geflüchtet, studierte an der Columbia University in New York. 1963 kehrte er nach Österreich zurück und lebt als englisch schreibender freier Schriftsteller und Übersetzer in Wien. Seine Erfahrungen mit der österreichischen Nachkriegsliteratur und ihrem Betrieb faßte er in dem 1988 erschienenen Bericht “Der Ausschluß. Memoiren eines Neununddreißigers” (Verlag der Apfel, Wien) zusammen. Kuhner berichtet darin von der Unfähigkeit österreichischer Bürokratie und der ihr anhingenden Kulturfunktionäre, Jemanden korrekt zu behandeln. Er beschreibt einen Typus des Handelns, der sich stets nach Opportunitäten, nie nach Prinzipien richtet. Dazu wird Anständigkeit und Gelassenheit zur Schau getragen, die jede Empörung eines Betroffenen von vornherein denunziert. Unter dem dünnen Firnis wird rasch das Unaufgelöste früherer Probleme sichtbar. Ist Kuhner, der aus Wien gefliichtete Jude, der englisch schreibt, denn iiberhaupt ein österreichischer Schriftsteller? Ein Kuhner gehört nicht dazu. Er ist in das Geheimnis der Dagebliebenen, ob sie nun der Avant- oder der Arriere-Garde zuzuzählen sind, nicht eingeweiht. Kuhners Bericht erregte Aufsehen, da er vielen zwar bekannte, aber von anderen mit Schweigen übergangene Details über das literarische Betriebsleben der Jeannie Ebner, Hans Weigel, Wolfgang Kraus öffentlich machte. Die “Edition Atelier” hatte zuerst den Vertrieb übernommen, dann aber das Buch aus dem Verlagsangebot gestrichen. Der daraus resultierende finanzielle Streit ist inzwischen durch Vermittlung von Gerhard Ruiss (Interessengemeinschaft AutorInnen) beigelegt. Von Kuhner erschienen in englischer Sprache der Roman “Nixe” und der Lyrikband “Broadsides and Pratfalls” und zahlreiche Übersetzungen österreichischer Literatur (zuletzt “Wortweben/Webs of Words”, eine Anthologie österreichischer PE.N.-Lyrik, 1991). Eine von Peter Daniel, Johannes Diethart und Herbert Kuhner zusammengestellte Anthologie “Jüdische Stimmen aus Österreich” erscheint in diesem Frühjahr.