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denen Auslegungsmöglichkeiten, die hier aufeinander prallen, hat das Gerücht aufkommen lassen, der Dichter sei selbst zum Katholizismus übergetreten. Im Stammbaum seiner beiden Eltern waren aber nur jüdische Vorfahren zu entdecken, und Oskar Jellinek hat nie daran gedacht, dem Judentum den Rücken zu kehren. 1930 kam bei Zsolnay ein Sammelband heraus, enthaltend drei Novellen Jellineks. Der Gesamttitel war der erste Satz des hier neu aufgelegten Bauernrichters: Das ganze Dorf war in Aufruhr. Zwei neue Werke erschienen hier zum ersten Mal: Valnocha, der Koch (der Eigenname “Valnocha” ist auf der ersten Silbe zu betonen) und Hankas Hochzeit. 1933 folgte dann noch die Seherin von Daroschitz. Dann setzte der Druck des Hitler-Reichs auf das österreichische Verlagswesen ein, so daß Jellineks Wiener und Brünner Vortrag über das Schicksal von Goethes Enkeln in der Schweiz erscheinen mußte: Die Geistes- und Lebenstragödie der Enkel Goethes (bei Oprecht, Zürich 1938). Erst 1950 wurden die Gesammelten Novellen von Zsolnay neu aufgelegt. Dieser Band bringt außer den bereits erwähnten sieben Werken die in der Emigration entstandene Erzählung Der Freigesprochene, in der der Dichter sein bevorzugtes Thema: Schuld-Unschuld-Sühne-Gerechtigkeit neu abwandelt. 1952 folgt dann ein Band Gedichte und kleine Erzählungen. Dieses Buch enthält auch die 1940 entstandene, sechzig Seiten lange Heimweh-Dichtung Raacher Silberfeier, von der seit kurzem auch eine Sonderausgabe vorliegt (1988). Um dieses Werk hat sich Walther Jary besondere Verdienste erworben. Er hat es an verschiedenen Orten mit großem Erfolg öffentlich vorgelesen: eine späte Würdigung des vertriebenen und in der Fremde gestorbenen Dichters. Wenn die fruchtbare Schaffensperiode Oskar Jellineks im Wesentlichen seiner Wiener Zeit entspricht, so geht die Inspiration seiner Werke zum großen Teil auf Erinnerungen aus Mähren zurück. Gleichwohl darf man Jellinek keineswegs als “Heimatdichter” im landläufigen Sinn des Wortes bezeichnen. Durch das Lokale und Persönliche hindurch tritt immer das allgemein Menschliche in den Vordergrund. Nie verdunkelt das Abstrakte den anschaulich dargestellten menschlichen Fall. In der 1938 in Brünn auf dem Weg der Emigration verfaßten Selbstbiographischen Skizze stehen einige Sätze, die in dieser Hinsicht aufschlußreich sind: „ alles Landschaftliche, Naturnahe machte mich schon frühzeitig glücklich. Während ich mich, obwohl noch ein kleiner Knabe, in die Geborgenheiten der ersten Kindheit zurücksehnte, und es mich keineswegs nach Erwachsenheit verlangte, strebte meine Sehnsucht stets über die Stadtgrenzen hinaus ins Freie der Natur. Wohl machte mich auch ein Park wie der Augarten glücklich, der ein Stück gepflegter Natur war und zugleich die Empfindung umhegter Geborgenheit schenkte. (Alle Brünner sind entweder Spielberg-, Glacis- oder Augarten-Kinder. Ich war ein Kind des Augartens und bin es dankbar geblieben. Jetzt, bei der Wiederkehr nach Jahrzehnten, die leider keine Heimkehr sein darf, empfinde ich es, so oft ich ihn betrete - und ich betrete ihn so oft als möglich - wieder auf das Tiefste und Schmerzlichste, wie sehr er der glückumhauchte Wiegenraum meiner Kindheit, der von Sehnsucht umfangene, von der Hoffnung auf Großes durchrauschte, vom Lichte der Zuversicht durchstrahlte Garten meiner Jugend gewesen ist.) Später liebte ich auch Abendspaziergänge auf den damaligen Schwarzen Feldern leidenschaftlich: Über Äcker ins Ferne schauen, Glück und Sehnsucht zugleich, ist mir früh teuer geworden, und heute, wie einst, kann ich mich nur schwer davon losreißen, wenn es mir beschieden ist. Mit den tschechischen Dörfern in der Umgebung Brünns kam ich auf Sonntagsausflügen mit meinen Eltern sehr bald in Berührung, ihre Grundstimmung, das Bild und der Tonfall ihrer Menschengruppen, deren farbiges Aufleuchten auch in der Stadt zu sehen war, senkten sich mir ein und übten auf mich eine kaum bewußte Wirkung, die als Erinnerungsgut — erst viel später hervorbrach. Wenn Oskar Jellinek sich dem Richteramt nicht endgültig und berufsmäßig verschreiben konnte, so hater sein dichterisches Werk doch immer wieder inden Dienst einer höheren Gerechtigkeit gestellt. Was ihm die strengen Regeln der Dem Gemeindeamt gegenüber liegt das Bundesheim Raach des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, in dem zwei große Vitrinen über Oskar Jellinek Auskunft geben. Vitrine I enthält Wesentliches über sein Leben: Jellinek als Student, als k.u.k. Offizier, seine Verehelichung, die Beziehung zu Raach und das unfreiwillige Exil sowie die Buchausgaben seiner Werke. Vitrine II zeigt Zeugnisse seiner Geltung im literarisch-kulturellen Bereich wie die von Prof. Gilbert Ravy (Rouen) besorgte französische Ausgabe seiner Novellen “Der Sohn”, “Die Hochzeit der Hanka” und “Die Seherin von Daroschitz” in der Reihe des “Centre d’études et de recherches autrichiennes” an der Universität Rouen. Durch das Entgegenkommen des Heimleiters Peter Brier konnte die von mir gestaltete Dokumentation auf Dauer eingerichtet werden. In Raach senkte sich ein Bild der Heimat tief und unverlierbar in Oskar Jellineks Herz. 1917, vom Traualtar weg, kam er mit seiner jungen Frau Hedwig nach Raach und kehrte bis 1938 immer wieder im Raacher Hof zu. In ‚ RAACHER re _ PAUL ZSOLNAY Raacher Silberfeier. Ein österreichisches Landschaftsgedicht, gewidmet aus dem New Yorker Exil dem Unverlierbaren der verlorenen Heimat. Mit einem Nachwort von Walther Jary. Wien, Darmstadt: Zsolnay 1988. 76 Seiten. Entstanden vermutlich 1942 (25. Hochzeitstag) in New York. Vorwort von O.J. datiert: Los Angeles, im Jahre 1947.