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Ingrid Runggaldier-Moroder Oskar Jellineks “Das Dorf des 13. März” Als am 12. März 1938 die deutschen Truppen in Österreich einmarschieren, bedeutet dies für Oskar Jellinek nicht nur das Verbot seiner Werke und somit die jähe Unterbrechung seines so langsam ins Rollen gekommenen Erfolgs, sondern auch die physische Vertreibung aus der Heimat. Wie für viele andere vom Nationalsozialismus Verfolgte, ist die Annexion Österreichs an Deutschland für Oskar Jellinek und seine Frau Hedwig der Anfang unzähliger Schwierigkeiten und trauriger Erlebnisse. Zur Zeit des Anschlusses’ befindet sich der Dichter in Wien. Rückblickend schreibt er: „. Viele Freunde und mir wohlbekannte Menschen sanken in Armut, Not und Pein aller Art, furchtbare Haft und Not durch eigene Hand. Ich blieb ’frei’. Hedwig verlor nach 26jähriger Tätigkeit ihre Werkstatt. Ihre beiden Nachbarn, deren einer zu den neuen Machthabern gehörte und einen wichtigen Raum des Lokales für sich angefordert hatte, teilten sich das ganze. Sie hätte ihr Gewerbe ohnedies nicht weiter ausüben dürfen schmähende Inschriften bedeckten wiederholt ihre Auslage (wie tausender Anderer), die die reizenden Erzeugnisse ihres unermüdlichen Fleißes darboten. Der Wille der Staatsführung zur Enteignung (unter dem Schein des ’Verkaufes’, der ’Arisierung’ genannt wurde) war unzweifelhaft, — so löste sie denn auf, was ihr ohnehin schon entrissen war. Im selben Brief schreibt Oskar Jellinek: Seit dem Tage der Überwältigung Österreichs habe ich kein Tagebuch mehr geführt. Das Leben war gelähmt, die Zeit lief irrsinnig im Kreise, das Recht war tot. Wien war gestorben. Straßen, die mir das Dasein bedeutet hatten, lagen als Leichen vor mir, ihre Armut geschändet, ihr Antlitz wüst verzerrt unter den, mit der riesigen Kreuzgroteske abgestempelten roten Leichentüchern. Und statt, wie einst, meine Träume, spiegelte das nun gebrochene Auge der teuren Plätze und Gärten die Fratze ihres Mörders wider. Ausgestoßen lebte ich nur noch körperlich an der Stätte, aus der ich gestoßen war, und das bitterste Heimweh war das in der Heimat selbst.! Oskar Jellinek, der sich sonst selten zu politischen Problemen und Situationen äußerte, gehörte zu jenen 24 Schriftstellern des österreichischen PE.N.-Clubs, die 1934 eine Resolution gegen Hitlers Regime unterzeichnet hatten. Er mußte daher, mehr als andere noch, um sein Leben fürchten. Nach einer Flucht über seine Heimatstadt Brünn nach Frankreich gelang es dem Ehepaar in Bordeaux ein Visum für die Vereinigten Staaten zu erkämpfen, und am 8. April 1940 erreichte es New York. Das Exil war für Oskar Jellinek eine Katastrophe. Besonders für unbekannte, nicht mehr ganz junge und solche Schriftsteller, die wie Oskar Jellinek aus der sprachlichen und kulturellen Verwobenheit mit der alten Heimat schöpften, war eine Umstellung im Exil nahezu unmöglich. Oskar Jellinek sagte von sich, “das Erlebnis der Emigration” sei “ein Ertötnis”. Und in einem Brief vom 17.12. 1940 an Richard Thieberger schrieb er: “Meine Macht- und Einflußlosigkeit dokumentiert sich reichlich auch in meinen eigenen Angelegenheiten. Des Wirkens in meiner Muttersprache beraubt, komme ich mir vor wie ein zu Tode Verurteilter...” Eine Tagebucheintragung vom 20.12. 1942 lautet: Es ist immer der héchste Wunsch meines Lebens gewesen, meine Werke zuvorderst in jenen Handen zu sehen, aus denen ich sie empfangen habe, und von jenem Klang jene Herzen ergriffen zu wissen, aus denen er mir erklungen ist. Aber was für Hände sind das geworden und was für Herzen? Oskar Jellinek fühlte sich ausgestoßen, ausgesetzt in einen Leerraum. Unter den österreichischen Schriftstellern sind jüdische Autoren, die wie Oskar Jellinek noch den habsburgischen Vielvölkerstaat erlebt hatten, in dem sie in den nicht deutschsprachigen Gebieten die deutsche Sprache und Kultur vertraten, durch die gewaltsame Austreibung besonders getroffen. Bis zum Tode litt Oskar Jellinek unsäglich an Heimweh nach Österreich. Oskar Jellinek mit seiner Frau Hedwig und ihrer Mutter 1948 in Los Angeles Oskar Jellinek, geboren am 22.01.1886 in Brünn (Mähren). Abitur am Ersten Staatsgymnasium in Brünn. Ab 1904 Studium Jus und Gerichtsjahre Wien. Tätigkeit am Brünner Landesgericht. Dann Einjährig-Freiwilliger. Zuletzt Richter am Bezirksgericht Wien-Brigittenau. 1907 erscheint sein erstes Buch “Das Burgtheater eines Zwanzigjährigen” (verfaßt 1906). Begann, erfolglos, mit Theaterstücken. 1914-18 1. Weltkrieg (Artillerie-Offizier, Isonzo-Front). 1917 Heirat mit Hedwig Müller. Gewinnt Preisausschreiben des Velhagen und Klasing-Verlages mit der Novelle “Der Bauernrichter". 1926 Novelle “Die Mutter der Neun”. 1938 Flucht nach Brünn. In Brünn entsteht 1938 die “Selbstbiographische Skizze”. 8.4. 1940 Ankunft New York. Juni 1943 Übersiedlung zu Verwandten in Los Angeles. Schließlich Übersiedlung nach Hollywood, North Gardner Street. Hedwig J. sorgt als Textilarbeiterin ftir den Lebensunterhalt. 1945 amerikanischer Staatsbiirger. Am 12.10.1949 stirbt Oskar Jellinek in Hollywood, USA. Bibliographie Der Sohn. Erzählung. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1928 Das ganze Dorf war in Aufruhr. Erzählungen. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1930. (Enthält: Der Bauernrichter; Valnocha, der Koch; Hanaks Hochzeit.)