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Österreich einmarschieren, führt Bürgermeister Franz Kristaller die für Sonntag, den 13. März, vorgesehene Volksabstimmung durch. Das Ergebnis der Wahl ist eindeutig: Mit einer einzigen Gegenstimme spricht sich die Dorfbevölkerung für Österreich aus, wählt mit ’Ja’. Doch die allgemeine Heiterkeit und Freude über das Ergebnis werden jäh mit einem Heil Hitler-Schrei beendet: Die Nazis dringen in Maria Stuben ein. Damit endet der Roman. Wie in der Erzählung sind die Romanfiguren keine Phantasiegebilde, sondern reale, lebendige Menschen, die der Autor persönlich kannte, oder von denen er gehört oder gelesen hatte. Wie in seinem ganzen Werk richtet sich auch hier sein Interesse auf die einfachen und wehrlosen Menschen, die vom Schicksal oder sonst einer unentrinnbaren Macht (in diesem Falle dem Nationalsozialismus) überrannt werden. Oskar Jellinek stellt uns jeden dieser Menschen mit seinen Alltagssorgen, Leiden und Leidenschaften, individuellen Eigenschaften in seinem jeweiligen Lebensbereich, immer aber auch im Licht des Politischen vor. Er beschreibt, wie sie den Aufruf zur Volksabstimmung lesen und unterschreiben, wie sie zur Wahl gehen, und wie die Nazis ihrerseits den Uberfall auf das Dorf vorbereiten. Ihr Verhalten und ihre Reaktionen, ihre Vergangenheit werden im Hinblick auf die Abstimmung geschildert. Über den Bürgermeister Franz Kristaller schreibt der Dichter: ... Er hatte im Krieg im Verbande fast aller Nationen Österreich-Ungarns gefochten, die sich von dem seltsamen, und doch auf tieferen Gesetzen geschichtlicher und wirtschaftsgeographischer Logik beruhenden, alten Reich teils gefangen, teils umfangen fühlten, und darin mit einer Art von allseits sanktionierter Widerspenstigkeit lebten. Besonders Tschechen, Ungarn, Kroaten und Polen hatte er kennengelernt. Aber mehr als das, was diese glücklicheren Kinder der Ebene von ihrem heiter aufgelockerten Leben zu erzählen wußten, fesselten ihn ihre Berichte von ihrer mit — so schien’s ihm — mäßiger Mühe aufgelockerten Erde. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte er die einschlägigen Schilderungen und Ziffern des Korporals Trnka vom Pardubitzer Infanterieregiment oder des Zugführers Ujarhely aus Marmaros-Szegeth, oder des kleinen polnischen Korporals Zaborski oder anderer und verglich sie mit den Verhältnissen zuhause. Ein ganz besonderes Ohr widmete er aber ihren Debatten über die Arten und Vorteile der landwirtschaftlichen Maschinen, deren sie sich erfreuten, und seitdem hatte sich in ihm das Begehren festgesetzt, seiner Gemeinde wenigstens eine solche zu verschaffen. Hauptdarsteller des Romans ist der junge Wiener Philosophiestudent Othmar Freystätter. Er lebt seit einiger Zeit in Maria Stuben, um dort ein Buch über “Die Formen der Unsterblichkeit” zu schreiben. Während rundherum alles zugrunde geht, leistet Othmar, wie die anderen Einwohner der “Insel des Glücks” aufihre Weise, seinen persönlichen Beitrag für eine hoffnungsvolle Zukunft: Er wird die Unsterblichkeit der Alleinherrschaft der Philosophie entreißen, durch die sie in Tausenden von Abhandlungen als ein formlos-blutleerer Begriff geistert, und den Religionen, deren Traktate sie als ein Öldruckklischee ziert, und wird sie dem einfachsten Menschen in der berückenden Fülle ihrer Spielarten als blühendste Wirklichkeit vor das aufleuchtende Auge führen. Er wird sie ’sehen’ lehren, daß sie unsterblich sind! Die starren Wände des engen Lebenshauses mit ihren schmalgeschlitzten Fenstern werden fallen und seine bisherigen Bewohner, die ängstlich und hastig darin geschuftet haben, werden der Natur des Lebens als eines Unsterblichkeitsgartens sich selig bewußt werden. Mit diesem Grundgefühl werden sie fortan in den Fabriken stehen, auf die Märkte gehen, über ihren Geschäftsbüchern und Kanzleiprotokollen sitzen, zwischen Rädern und Ziffern und Waren erfüllt von den Ewigkeitsbildern ihrer selbst, die meine lichte Lehre ihnen entrollen wird. In der Figur Othmar finden sich autobiographische Züge Oskar Jellineks. Beide kommen aus Wien, beide sind jüdischer Herkunft. Aber es sind vor allem die Gedanken und der Charakter des Autors, die sich in Othmar verkörpern. Das politische Geschehen im übrigen Österreich schildert Oskar Jellinek folgendermaßen: .. passierte der Mann, den sie den ’Führer’ nannten, gefolgt von einer riesigen Autokolonne unter Glockengeläute die Innbrücke bei seiner Geburtsstadt Braunau , während bald ein krampfhaftes Lächeln sein Bärtchen umspielte, bald eine abstruse Vorwärtsstarre 13 Zitat Ein tiefes Mitgefühl mit den Schwachen und Gedemütigten, mit den zu Tätern gewordenen Opfern durchweht alle Werke Jellineks, dessen Interesse als Autor, ja dessen ausschließliche Zuneigung als Schriftsteller den Unterschichten galt: nür über sie hat er, der “proletarisch entflammte Patriziermensch”, geschrieben. ... es ist auffälligerweise nie der nationale Gegensatz, den Jellinek seinen Novellen zugrundelegt, ja dieser so bedeutende und für den Untergang der Donaumonarchie mitentscheidende Gegensatz scheint für ihn kaum existiert zu haben. Es sind andere Widersprüche, aus denen heraus seine mährischen Novellen gebaut sind, der Gegensatz von dörflicher Lebensweise und städtischer Verwaltung etwa, von altem Bauerntum und modernem Staat, von traditionelllem Aberglauben und neuer Ungliubigkeit. Aus: Karl-Markus Gauß, “Oskar Jellinek oder ich wandle im Schatten, der mich ergreift”. In: Tinte ist bitter. Literarische Porträts aus Barbaropa. Klagenfurt: Wieser Verlag 1988. S. 137148. 7 : AÄlsH. : Lissy fen Cara bre, . a . ae 4) 48 Gol fe id, Lars, Monsey a s wast, nuzen dee nl olin Hecuries aed ote ote ete otes 2! an gg et Goats [ertthay kw serien £ . har Oskar Jellinek: Brief an Richard Thieberger vom 23. August 1945 (siehe die Transkription auf Seite 10).