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14 Und kein Wort Deutsch Der attraktiv gestaltete Band präsentiert Werke von 39 österreichischen Lyrikern, die nicht in deutscher Sprache schreiben. Ihre Sprachen sind Kroatisch (Burgenland), Slowenisch, Tschechisch, Ungarisch, Jiddisch, Romanés, Jenisch und Ladinisch. Die Gedichte sind zweisprachig gedruckt. Die deutschen Versionen wurden von den Autoren meist selbst erstellt; nur einige wurden von anderen übersetzt. Kärntner slowenische Lyriker wie Gustav Janus, Andrej Kokot und Janko Ferk haben in Osterreich und jenseits seiner Grenzen Anerkennung gefunden. Die meisten der anderen Lyriker sind aber relativ unbekannt. Der Herausgeber sei fiir seine Sammlung gelobt; er gibt ihnen Gelegenheit, sich einer breiteren Offentlichkeit vorzustellen. Das Buch enthält wertvolle Essays über die Minderheitengruppen von Gerhard Baumgartner, Beate Eder, Armin Eidherr, Mozes Heinschink, Illia Jovanovid, Ludwig Karnicer, Klara Kötterer-Benigni, Peter Tyran, Roland Verra und dem Herausgeber. Auf einer beigegebenen CD lesen und singen einige der Lyriker ihre Gedichte und Lieder. Das Buch ist eine Pflichtlektüre für jene, die an österreichischer Lyrik interessiert sind, wie auch für jene, die an Lyrik interessiert sind, die in Minderheitensprachen geschrieben ist. Es veranschaulicht den Reichtum und die Verschiedenheit der österreichischen Kultur. Thema und Geist des Buches wird in einem Gedicht von Jurica Csenar, einem burgenlandkroatischen Lyriker ausgedrückt: v ov nasa ric unser wort otribis knacke tudju rié ein fremdes wort prazna lupinja leere schale otribis knacke nagu rié unser wort odisti§ lupinju löse die schale zasitiS se und du wirst satt Herbert Kuhner Gerald Nitsche (Hrsg.): Österreichische Lyrik: und kein Wort Deutsch. Innsbruck: Haymon Verlag 1990. 215 S. mit CD. des Blickes seiner uniformierten Erscheinung das Aussehen eines dämonisch gewordenen Schlafwagenkondukteurs verlieh, und Tausende hüben und drüben des Stromes, dessen frühlingsgeschwollene Fluten vom Widerschein der Hakenkreuzfahnen gerötet waren, unter wahnsinnigem Kreischen eine zum Himmel schreiende Verbrüderung vollzogen: den Untergang der Freiheit Österreichs. reichs zur Gewißheit, alle Hoffnung wird zerstört, und übrig bleiben Verzweiflung und Heimweh. Das Lied vom Siruphäferl bleibt im Roman zwar unausgesprochen, drückt aber am besten die Grundstimmung der Enttäuschung und des Grauens aus, die den Roman durchzieht. Im Werk des Dichters offenbart sich der Drang, die Menschen und Landschaften der einstigen Heimat, des letzten Sommers in Österreich, seine Sehnsüchte und den Schmerz über die unheilvollen Ereignisse, die ganz Europa überrollten und ihn ins Exil stießen, zu verarbeiten. In seinem Werk schuf sich Oskar Jellinek eine neue Welt, ein Österreich, das es nicht mehr gab (und das es so vielleicht gar nie gegeben hat), ein Österreich, wie er es gerne in seiner Erinnerung bewahrt hätte. Denn ihm war, wie Alfred Polgar es treffend ausdrückte, “die Fremde ... nicht Heimat geworden. Aber die Heimat Fremde.” Das Motiv Heimat kommt im Roman Das Dorf des 13. März vielfach vor. Für jede Figur hat Heimat eine jeweils ihren Erfahrungen und ihrem Schicksal entsprechende verschiedenartige Bedeutung. Für den einen ist sie die alte Monarchie, für den anderen Schuschniggs Ständestaat, oder das Deutsche Reich, die vereinigte Arbeiterschaft oder einfach die Erde. Für Oskar Jellinek ist sie sein auf immer verlorener Lebens- und Schaffensbereich. Damit sind wir beim “Fragmentarischen” des Romans angelangt. Denn wenn das Heimweh den Autor einerseits bewegte, den Verlust der Heimat zu gestalten, hinderte es ihn andererseits an der Vollendung dieses Werkes. Ihm fehlte die Distanz zum Stoff. Oskar Jellinek wies selbst in einem Brief vom 16.6. 1949 an Hugo Königsgarten darauf hin: Der politische Realismus, der seinen |des Romans] Hintergrund, wenngleich nicht seinen Wesenskern, bildet, ist mir unerträglich geworden, ich kann das Wort Nazi, ohne das ich in der äußeren Sphäre dieses Romans aber nicht auskomme, nicht mehr hinschreiben. Es gibt aber noch einen Grund. Oskar Jellinek ist ein spätrealistischer Erzähler. Solange er - wie in “Der letzte Sommer in Österreich” - eine intakte Wertwelt schildert, ist seine realistische Darstellungsweise durchaus angemessen. Wenn aber diese Wertordnung zusammenbricht und sich eine halbe Weltkatastrophe ereignet, reicht diese Darstellungsweise nicht mehr aus. Die Sprache des “nach innen lauschenden Österreichertums” kann eine Katastrophe derartigen Ausmaßes, wie sie der Nationalsozialismus für die Menschheit bedeutete, nicht bewältigen. Das Dorf des 13. März stellt ein kulturhistorisch sehr wertvolles Dokument dar. Der Roman ist eine politische Utopie, das Werk, für das Oskar Jellinek in seinen letzten Jahren die ganze Energie einsetzte, die ihm in den Widrigkeiten des Exils blieb. Anmerkungen 1 Aus einem Brief vom 7.5. 1939 aus Paris, wahrscheinlich an Richard Thieberger. 2 Tagebucheintragung 7.5. 1934 3 Die Textauszüge sind dem Typoskript “Das Dorf des 13. Marz”, das Hedwig Jellinek nach dem Tode des Dichters angefertigt hat, entnommen. Das Typoskript befindet sich im Deutschen Literaturarchiv, Marbach a.N, Ingrid Runggaldier-Moroder, deren Muttersprache das Ladinische ist, dissertierte an der Universität Innsbruck über Oskar Jellineks “Das Dorf des 13. März”. Sie lebt in St. Ulrich (Gröden).