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Peter Roessler

„Und weben der Menschheit einen

wärmenden Mantel“
Erinnerungen von Schauspielern und Schauspielerinnen

Schauspieler-Memoiren sind ein seltsames Genre, denn es scheint, als fänden
sich in ihnen sämtliche problematische Seiten der autobiographischen Literatur
verdichtet. Dem Leser oder der Leserin wird endlich von Bereichen erzählt, die
den Augen des Publikums, bei Gelegenheit von den Akteuren gerne verächtlich
als „theaterfremd“ bezeichnet, sonst so sorgsam verborgen bleiben. Die Schil¬
derung jener mysteriösen Wesentlichkeit, die hinter Drama und Schauspielkunst
zu stecken scheint, entpuppt sich aber bald als Ansammlung banaler Anekdoten,
überhöht vom Mythos der alles überragenden Persönlichkeiten, der diesen
Anekdoten wiederum ihre Weihe verleihen soll. Der solcher Art geschilderte
Alltag muß umso mehr verklärt werden, als er, losgelöst von den gesellschatftli¬
chen Bedingungen begriffen, kaum mehr eine von außen kommende Sinnhaf¬
tigkeit erhalten kann. Zwar spiegelt sich hier die Überwältigung durch den
strapaziösen Alltag, jedoch die scheinbar naheliegende Möglichkeit, der eigenen
Tätigkeit durch die Konzentration auf den Gehalt des Dramas einen universel¬
leren Sinn zu geben, geht gewöhnlich im Kampf um die größere Rolle unter.
Die Anfänge des Genres liegen in der Aufklärung. Von Beginn an zeigt sich jene
Überwältigung des erzählenden Subjekts vom Theateralltag. Die detaillierte
Schilderung von dessen Not und Mühsal findet sich beispielsweise bei Karoline
Schulze-Kummerfeld, die mit drei Jahren erstmals auf der Bühne steht und diese
Existenz keinesfalls verklärt, ja der der Rückzug in die bürgerliche Privatheit als
das eigentliche Ziel ihres Lebens gilt.! Andere Erinnerungen wiederum sind
getragen von einer Emphase der angestrebten Teilhabe am Weltbürgertum, die
sich in der Verknüpfung des Berufs mit den Ideen der Aufklärung zu legitimieren
sucht. In den Erinnerungen des Hofschauspielers Johann Heinrich Friedrich
Müller, den Josef II. auf die Reise durch die deutschen Städte schickt, um
geeignete Schauspieler für die zum Nationaltheater erhobene Wiener Hofbühne
ausfindig zu machen, sind die Gespräche mit Lessing und Ekhof die ideelle
Klammer, die den Zerfall seines Reiseberichts in zahlreiche Theatererlebnisse
verhindert. Der Austausch mit Lessing und Ekhof ist denn auch der Ansatz für
die Kritik an der vorgefundenen Bewußtlosigkeit: „Wie selten findet man doch
denkende Schauspieler! Ich habe auf meiner Reise dreihundertundelf Subjekte
kennengelernt, und unter diesen nur siebenzehn, von denen man sagen kann, sie
haben die Kunst studiert. Die meisten treiben sie als ein Handwerk.“?

Solch selten genug erreichte Möglichkeiten hat das Genre der Schauspieler-Me¬
moiren in der Folge rasch verloren. Um diese Veränderungen hier bloß anzu¬
deuten, sei kurz auf ein anderes Gebiet gewechselt. Vergleicht man Goethes
„Wilhelm Meisters theatralische Sendung“, in dem dem bürgerlichen Individu¬
um der Schauspielerberuf als Gipfel seiner Sehnsüchte gilt, mit „Wilhelm Mei¬
sters Lehrjahren“, worin das Theater zur frühen Durchgangsstation im Gange
der Bildung herabsinkt, so läßt sich der Wandel ermessen. Gingen auch die
Schauspieler der Literatur keineswegs als Protagonisten abhanden, so waren sie
doch aus dem Bereich des bürgerlichen Bildungsromans entwichen.

In den Memoiren der „Stars“ endlich, wird die Ferne der eigenen Tätigkeit vom
gesellschaftlichen Leben beschworen, es sei denn, sie finden zu einer retrospek¬
tiven Kritik ihrer Stellung. Die Funktion solch launiger Memoiren bei der
Darstellung des „Dritten Reiches“ hat Michael Töteberg ausführlich gezeigt.
Nicht nur kommt die „Lebenwirklichkeit des Faschismus (..) kaumin den Blick“,
die Beschränkung auf Rolle und Erfolg gerät zur Legitimation des Regimes.?
Bereits die angenehm sachliche Diktion unterscheidet Steffie Spiras Autobio¬
graphie „Trab der Schaukelpferde“ von der leeren Anekdotik der gängigen

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Steffie Spira: Trab der Schaukelpferde.
Autobiographie. (Mit zahlr. Abbildun¬
gen und einem Rollenverzeichnis). Frei¬
burg: Kore 1991 (Reprint von 1984).
249 S.

Beate Lause/Renate Wiens: Theaterle¬
ben. Schauspieler erzählen von Exil und
Rückkehr. Mit einem Vorwort von
Jürgen Flimm. (Mit zahlr. Abbildun¬
gen). Frankfurt am Main: Hain. 1991.
222 S.

Alexander Granach: Da geht ein
Menschh Roman eines Lebens.
München: Serie Piper. 1990. 440 S.

Steffie Spira (geb.1908 in Wien),
Tochter eines Wiener Schauspielers und
einer Berliner Schauspielerin, der Vater
kam aus jüdischer, die Mutter aus prote¬
stantischer Familie. Jugend und Schule
in Berlin, privater Schauspielunterricht,
erste Engagements u.a. am Theater in
der Königgrätzer Straße, an der Volks¬
bühne, an den Dr.-Robert-Klein-Büh¬
nen. Arbeit in der Gewerkschaft Deut¬
scher Bühnenangehöriger, Anschluß an
die KPD, Mitglied der “Truppe 1931”
(Leitung: Gustav von Wangenheim).
1933 Exil in Frankreich, als Vertreterin
der Schauspieler Leitungsmitglied des
Schutzverbands Deutscher Schriftstel¬
ler, 1940 Internierung im Frauenlager
Riencros, 1941 Mexiko.