Elisabeth Freundlich (Pseudonym: Eli¬
sabeth Lanzer) wurde am 1.7.1906 in
Wien geboren. Die Mutter Olga, gebore¬
ne Lanzer, der Vater, Dr. Jacques
Freundlich, Rechtsanwalt, Sozialdemo¬
krat, später Präsident der Arbeiter¬
Zentral-Bank. Sie studierte 1927-31 Ger¬
manistik, Romanistik, Kunstgeschichte
und Theaterwissenschaften an der Uni¬
versität Wien, Dr.phil. Noch während des
Studiums Tätigkeit als Dramaturgin und
Regisseurin am „Neuen Wiener Schau¬
spielhaus“. 1931-34 Verschiedene Arbei¬
ten bei Theater und Film, Beiträge in
Zeitungen und Zeitschriften.
Nach dem 12. Februar 1934 wird ihr
Vater verhaftet und nach einigen Wochen
wieder freigelassen. E.F. beginnt sich zu
politisieren. Häufige Reisen nach Frank¬
reich, Unterstützung internationaler
Friedensinitiativen und der republikani¬
schen Seite im spanischen Bürgerkrieg.
Annäherung an die Kommunisten.
Am 11. 3. 1938 Flucht mit den Eltern
über Zürich nach Paris. In Paris Mitbe¬
gründerin der Ligue de l’Autriche
vivante (Liga für das geistige Österreich)
und des „Cercle Culturel Autrichien“.
Mitarbeit an der Zeitschrift „Nouvelles
d’Autriche“.
1940 Flucht über Spanien (Grenzüber¬
tritt 22.5.) in die USA, Ankunft in New
York am 26.(oder 28.)11.1940.
Zuerst Gelegenheitsarbeiten; Ausbildung
als Bibliothekarin an der Columbia Uni¬
versity. Danach Sachbearbeiterin im Me¬
tropolitan Museum of Art. Später Lehr¬
aufträge an der Princeton University und
am Wheaton College. Als „österreichi¬
sche Delegierte“ ist sie zusammen mit
Ernst Waldinger am Aufbau des von
Wieland Herzfelde initiierten „Aurora
Verlages“, der seine Tätigkeit nach länge¬
rer Vorbereitungszeit 1944 aufnimmt, be¬
teiligt. Von 1942 bis 1948 redigiert sie un¬
abhängig von der politischen Redaktion
die Kulturbeilage der „Austro American
Tribune“ (zuerstunter dem Titel „Freiheit
für Österreich“ erschienen). Für B.
Viertel erarbeitet sie Rohübersetzungen
von Stücken Tennessee Williams’.
Im Mai 1950 Rückkehr nach Wien und
Ehe mit Günther Anders. Für den aus
dem Exil mitgebrachten Roman „Der
Seelenvogel“ findet sie keinen Verleger.
Mitarbeit an der Zeitschrift „Frankfurter
Hefte“, Übersetzerin (u.a. Sean O’Casey:
Der Preispokal. Zusammen mit G.
Anders; O’Casey wird in Wien als Kom¬
eine innere Logik dieser Lebensspur, die sich eng mit dem literarischen Werk
vernetzt. Es sind zwei Schichten, die sich in Freundlichs Leben ineinander verwoben
haben. Die freisinnige Atmosphäre im Elternhaus, die dem behüteten Einzelkind
eine selbständige Entwicklung ermöglichte, und, wie sie von sich selbst sagt: „Im Exil
bin ich geworden, die ich bin.“
Die Familiengeschichte, die Herkunft des Vaters, des Rechtsanwalts Dr. Jacques
Freundlich, und der Mutter Olga Lanzer, die Rekonstruktion der Kindheit nach den
Erzählungen der Eltern, ein paar vergilbten Fotos und den wenigen schriftlichen
Zeugnissen, belegen ihre Auffassung von Entwicklung. Der geographische Ort und
die Zeit, in die man hineingeboren wird, haben immer schon ein Davor, das man
bewußt oder unbewußt aufnimmt und das von einem Besitz ergreift.
Der Ausdruck „Dienstbote“, mit dem Olga Lanzer ein kränkendes Erlebnis als junges
Mädchen in der abgezirkelten Sommerfrischen-Gesellschaft am Attersee verbindet,
verschränkt sich E.F. in der Erinnerung mit einer der wenigen peinlichen Zurechtwei¬
sungen, die die kleine Elisabeth von ihrer Mutter erfuhr: „Dennoch bin ich heute fest
davon überzeugt, daß sie ... etwas in mir im Keim erstickt hat, was vielleicht in jedem
von uns angelegt ist: den Dünkel nämlich, das Gefühl der Überlegenheit dem gegen¬
über, der auf der sozialen Leiter nur ein winziges Stückchen tiefer steht, ein Macht¬
gefühl, von dem, so meine ich, alles Übel der Welt herrührt.“
Das Kind vermag sehr früh schwierige Begriffe nachzusprechen: Ka-ry-a-ti-den,
MO-BI-LI-SA-TION, weisungsgebunden ... Das Kind ist ehrlich und neugierig, es
verlangt Aufklärung. Wie schnell verliert der Erwachsene diese Eigenschaften.
Einer, der sie sich bewahrt hatte, war der kommunistische Schriftsteller Otto Heller.
Ihm und Arpad Haas dankt E.F. wichtige Impulse für ihre Entwicklung als Publizistin
und das Verständnis für die kulturellen Aufgaben des Exils.
Die kunstinteressierte E.F. findet nach Abschluß ihres Studiums aus manchen
Gründen, aber auch wegen der antisemitischen Einstellung im kulturellen Bereich,
keine Anstellung, weicht für kurze Zeit nach Berlin aus und arbeitet als Assistentin
bei G.W.Pabst.
Mit dem 12.Februar 1934, der Verhaftung ihres Vaters, eines bekannten Sozialde¬
mokraten, Präsident der Arbeiterbank und, in der Terminologie der II. Republik,
ein „Nestbeschmutzer“ - er hatte sich für eine „Parlamentarische Kommission zur
Erhebung militärischer Pflichtverletzungen“ engagiert, um nach strafrechtlichen
Grundsätzen militärische Pflichtverletzungen von k.u.k. Offizieren zu untersu¬
chen -, beginnt Freundlichs Politisierung in einem Prozeß der Abnabelung von der
Sozialdemokratie und der Annäherung an die Kommunisten. Innerlich stellt sie sich
schon auf das Exil ein. Zunächst ein französischer Sprachkurs an der Sorbonne, dann
Mitarbeit an der Friedensbewegung in Frankreich; sie lernt Vertreter des deutschen
Exils kennen und gewinnt Freunde unter den Spanienkämpfern.
Die Balance in der Familie Freundlich ändert sich in den Jahren der Schuschnigg¬
Diktatur. Jacques Freundlich verlor seine Anstellung, man zog in eine kleinere
Wohnung, und schließlich kam es zu dem bitteren Moment, in dem Elisabeth ihm
seine Ohnmacht auf den Kopf zusagte und ihn mit dem rettenden Vorschlag, eine
Tante in Paris zu besuchen, zur Flucht überredete.
Während E.F. in der Liga mit Joseph Roth, Alfred Polgar, Fritz Brügel, Emil Alphons
Rheinhardt, Gina Kaus, Franz Werfel und vielen anderen zusammenarbeitete und
für die Zeitschrift „Nouvelles d’Autriche“ schrieb, die für eine Wiederherstellung
Österreichs eintrat, sollten diese Aktivitäten 1940 fast ihre Rettung aus dem bedroh¬
ten Paris verhindern. Wie kleinmütig war ein Teil der einst großen österreichischen
Arbeiterbewegung geworden.
Das Visum für die Flucht aus der Falle Frankreich verdankt die ‚komplette’ Familie
Freundlich Joseph Buttinger, der in den USA ihre Namen auf eine Liste für „Emer¬
gency Visa“ (Notvisa, die Präsident Roosevelt für eine Anzahl besonders gefährde¬
ter Intellektueller ausgeben ließ) gesetzt hatte.
Knapp und schlicht zeugen „die fahrenden Jahre“ von der kulturellen Fülle des Exils
und vom mühseligen Alltag. Konfrontieren mit verfrühtem Tod: Gerda Taro, Foto¬
grafin, in Spanien umgekommen; Otto Heller, Herausgeber der „Novelles d’Autri¬
che“, überlebt den berüchtigten Todesmarsch von Auschwitz nach Mauthausen im
März 1945 nicht.