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Theodor Waldinger 1991 in der Woh¬
nung von Karl-Markus Gauß, Salzburg.
Foto: Maria Theresia Pechlaner. - Am
14. Mai 1992 starb Theo Waldinger in
Chicago. - Am 30. Juni 1992 fand im
Literaturhaus Wien eine Gedenkveran¬
staltung statt, bei der Erich Hackl die
Einführung sprach und Siglinde Bolbe¬
cher und Angelica Schütz Texte von Elsa
Leichter und Theo Waldinger vortrugen.

Aus einer Korrespondenz des
Exils

Der folgende Auszug aus einem Brief
wurde uns von Mag. Eveline Elisabeth
März zur Verfügung gestellt. Er erinnert
ua. an ein Paar Schlittschuhe, die
„Liese“ (Eveline) März bei einem
Besuch bei Claire und Theo Waldinger
,erbte’.

Geschrieben wurde der Brief von Dr.
Gertraud Ruth März an ihre Tochter
Hilde Bleier (seit 1939 im Exil in
Glasgow) und an ihre Schwiegereltern,
Sigmund und Marie März (seit 1939 im
Exil in Tel Aviv).

Watertown bei Boston
Sonntag, 14. Februar 1943

Meine Lieben,

.. Vielleicht wißt Ihr auch schon die
guten Nachrichten des heutigen Tages;
der Fall von Rostov und Voroschilov¬
grad. Wahrscheinlich wird es in den
nächsten Tagen und Wochen noch
mehrere solche Meldungen geben;
endlich... Wenn esso weiter geht und auf
allen Fronten; es gibt nun berechtigte
Hoffnungen, daß dieses Jahr entschei¬
dend sein wird... Auch wenn es wohl

Erich Hackl

Verständigung über eine stumme
Generation hinweg
Zum Tode von Theodor Waldinger

Wie hätte Theo Waldinger seinen Abend gern? Ein bißchen frech oder senti¬
mental? Ausgelassen? Pathetisch wie ein Verdienstkreuz? Mit verstockter Lei¬
densmiene der Gemeinde Wien? Gar fromm? Oder als willkommenen Anlaß
zum Aus- und Abschweifen, so wie er und seine jüngeren Freunde aus Wien und
Salzburg in den vergangenen drei Jahren miteinander durchs Leben schweiften?
Dieses Miteinander tat beiden Seiten sehr wohl, und da wir die Ursache des
Wohlseins nicht weiter ergründeten, brauchte es die traurige Nachricht von
seinem Ableben, damit wir zu verstehen anfingen, worin, über alles Anekdoti¬
sche hinaus, der Wert dieser Freundschaft lag - nämlich in der Verständigung
über eine stumme Generation hinweg, zwischen einem alten und ein paar auch
nicht mehr ganz jungen Menschen.

Solche Gespräche sind selten, überall aufder Welt, und bei uns eher unerwünscht
seit der Zeit des Faschismus, dem es - nach einem Wort Anna Seghers’ —
gelungen war, ein Niemandsland zu legen zwischen die Generationen, durch das
die alten Erfahrungen nicht mehr dringen konnten. Die sog. Protest-, dann
Alternativbewegung der letzten Jahrzehnte hat dieses Niemandsland akzeptiert,
im Grunde versteht sie sich als Vorhut gegen das Alter, das nur insoweit für
wichtig erachtet wird, als es sich zur Illustration eigenen Unbehagens eignet. ¬
Selbst ein schneidiges Vorhaben wie die Exil-Reihe hier im Literaturhaus, an die
diese Stunde für Theo Waldinger angestückelt ist, respektiert, indem es die aus
Österreich verjagten Menschen zu Zeitzeugen macht, dieses Niemandsland,
erklärt deren Erfahrung für einzigartig und die Überlebenden, die Nochleben¬
den zum Freiwild, den Germanisten und Historikern zum Futter überlassen.
Darüber z.B. hätte ich heute abend gern mit Theo Waldinger gemeinsam räson¬
niert. Auch hätte ich ihm - denn dieser Tage wäre er längst wieder in Wien, in
der Jasomirgottstraße gewesen - die von mir böswillig verkürzte, oder verdrehte
(und doch korrekt interpretierte) Äußerung eines Wiener Professors für Zeitge¬
schichte kolportiert, wonach man nun endlich darangehen kann, ohne Gefahr
emotionaler Ausbrüche, sauber wissenschaftlich also, die Ära des Nationalso¬
zialismus zu beackern, da die Opfer, die den Holocaust überlebt haben, allmäh¬
lich aussterben. Ich vermute, Theo Waldinger hätte diesen Standpunkt mit einem
seiner trockenen Sätze glossiert.

Für die unter Ihnen, die das Unglück hatten, Theo nie begegnet zu sein, fasse ich
seinen Lebensweg in jener Kürze zusammen, die er sich selbst im Anhang zu der
von ihm bewirkten US-amerikanischen Ausgabe der Autobiographie Augustin
Souchys eingeräumt hat: Geboren 1903 in Wien. Wurde mit acht Jahren Sozialist,
unter dem Eindruck einer Hungerdemonstration vor dem Rathaus, zu der ihn
sein älterer Bruder Ernst heimlich mitgenommen hatte. 1918 Mitglied der
Sozialistischen Arbeiterjugend. Gehörte einem Kreis sozial gesinnter, bildungs¬
und lebenshungriger Intellektueller an, die Elias Canetti unter der Bezeichnung
„Die Felonen“ literarisch gewürdigt hat. 1938 Emigration nach Paris, ein Jahr
später gemeinsam mit seiner Frau Claire, einer Kinderärztin, und der Tochter
Grete Flucht nach New York und weiter nach Boston, wo er die Austro-Ameri¬
can Association gründete. Seit 1973 wohnhaft in Chicago, dort im Vorstand des
linksradikalen Charles H. Kerr-Verlages tätig.

Nach dem Tod seiner Frau, im Jahr 1989, befand er sich hauptsächlich auf Reisen;
Chicago Wien Salzburg, mit Abstechern nach Zürich und Bergamo, Paris und
Preßburg, ins Burgenland und nach Israel, Strobl und New York, Graz, Andalu¬
sien usw.

Theo wire, wie er gesagt hat, nach der Befreiung gern nach Österreich übersie¬