Wie hätte Theo Waldinger seinen Abend gern? Ein bißchen frech oder senti¬
mental? Ausgelassen? Pathetisch wie ein Verdienstkreuz? Mit verstockter Lei¬
densmiene der Gemeinde Wien? Gar fromm? Oder als willkommenen Anlaß
zum Aus- und Abschweifen, so wie er und seine jüngeren Freunde aus Wien und
Salzburg in den vergangenen drei Jahren miteinander durchs Leben schweiften?
Dieses Miteinander tat beiden Seiten sehr wohl, und da wir die Ursache des
Wohlseins nicht weiter ergründeten, brauchte es die traurige Nachricht von
seinem Ableben, damit wir zu verstehen anfingen, worin, über alles Anekdoti¬
sche hinaus, der Wert dieser Freundschaft lag - nämlich in der Verständigung
über eine stumme Generation hinweg, zwischen einem alten und ein paar auch
nicht mehr ganz jungen Menschen.
Solche Gespräche sind selten, überall aufder Welt, und bei uns eher unerwünscht
seit der Zeit des Faschismus, dem es - nach einem Wort Anna Seghers’ —
gelungen war, ein Niemandsland zu legen zwischen die Generationen, durch das
die alten Erfahrungen nicht mehr dringen konnten. Die sog. Protest-, dann
Alternativbewegung der letzten Jahrzehnte hat dieses Niemandsland akzeptiert,
im Grunde versteht sie sich als Vorhut gegen das Alter, das nur insoweit für
wichtig erachtet wird, als es sich zur Illustration eigenen Unbehagens eignet. ¬
Selbst ein schneidiges Vorhaben wie die Exil-Reihe hier im Literaturhaus, an die
diese Stunde für Theo Waldinger angestückelt ist, respektiert, indem es die aus
Österreich verjagten Menschen zu Zeitzeugen macht, dieses Niemandsland,
erklärt deren Erfahrung für einzigartig und die Überlebenden, die Nochleben¬
den zum Freiwild, den Germanisten und Historikern zum Futter überlassen.
Darüber z.B. hätte ich heute abend gern mit Theo Waldinger gemeinsam räson¬
niert. Auch hätte ich ihm - denn dieser Tage wäre er längst wieder in Wien, in
der Jasomirgottstraße gewesen - die von mir böswillig verkürzte, oder verdrehte
(und doch korrekt interpretierte) Äußerung eines Wiener Professors für Zeitge¬
schichte kolportiert, wonach man nun endlich darangehen kann, ohne Gefahr
emotionaler Ausbrüche, sauber wissenschaftlich also, die Ära des Nationalso¬
zialismus zu beackern, da die Opfer, die den Holocaust überlebt haben, allmäh¬
lich aussterben. Ich vermute, Theo Waldinger hätte diesen Standpunkt mit einem
seiner trockenen Sätze glossiert.
Für die unter Ihnen, die das Unglück hatten, Theo nie begegnet zu sein, fasse ich
seinen Lebensweg in jener Kürze zusammen, die er sich selbst im Anhang zu der
von ihm bewirkten US-amerikanischen Ausgabe der Autobiographie Augustin
Souchys eingeräumt hat: Geboren 1903 in Wien. Wurde mit acht Jahren Sozialist,
unter dem Eindruck einer Hungerdemonstration vor dem Rathaus, zu der ihn
sein älterer Bruder Ernst heimlich mitgenommen hatte. 1918 Mitglied der
Sozialistischen Arbeiterjugend. Gehörte einem Kreis sozial gesinnter, bildungs¬
und lebenshungriger Intellektueller an, die Elias Canetti unter der Bezeichnung
„Die Felonen“ literarisch gewürdigt hat. 1938 Emigration nach Paris, ein Jahr
später gemeinsam mit seiner Frau Claire, einer Kinderärztin, und der Tochter
Grete Flucht nach New York und weiter nach Boston, wo er die Austro-Ameri¬
can Association gründete. Seit 1973 wohnhaft in Chicago, dort im Vorstand des
linksradikalen Charles H. Kerr-Verlages tätig.
Nach dem Tod seiner Frau, im Jahr 1989, befand er sich hauptsächlich auf Reisen;
Chicago Wien Salzburg, mit Abstechern nach Zürich und Bergamo, Paris und
Preßburg, ins Burgenland und nach Israel, Strobl und New York, Graz, Andalu¬
sien usw.
Theo wire, wie er gesagt hat, nach der Befreiung gern nach Österreich übersie¬