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10 Fortsetzung von Seite 9 einem illegalen Treffen verhaftet, wird er erst im April 1935 aus dem Anhaltelager Wöllersdorf entlassen. Im August 1936 geht er nach Spanien und wird Arzt der Internationalen Brigaden. Er entgeht der Internierung und bricht im Mai 1939 von Liverpool mit dem Schiff nach China auf, wo er für das Chinesische Rote Kreuz tätig ist. 1945 Heirat mit der chinesischen Kommunistin Wang Wu-An. Im Dezember 1947 Rückreise nach Österreich, wo er 1949 das Kulturreferat der KPÖ leitet und Mitarbeiter von „Volksstimme“ und „Tagebuch“ wird. 1953 geht er wieder als Korrespondent nach Peking. Am 11. April 1955 wird er, dessen Leben so oft schon bedroht war, Opfer eines Bomenattentats, mit dem der Geheimdienst der Kuomintang den chinesischen Ministerpräsidenten Thschou EnLai ermorden wollte. Auf dem Flug zur 1. Afroasiatischen Konferenz in Bandung stürzt Jensens Flugzeug, in dem sich auch Tschou En-Lai befinden hätte sollen, ins Südchinesische Meer. Eva Barilich: Fritz Jensen. Arztan vielen Fronten. Wien: Globus 1991. 188 S. (Biographische Texte zur Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung. 5) Mit seinem festen Glauben an die Qualität der Dichtungen Arbeit seines Bruders unterzog er sich, völlig auf sich allein gestellt, der schwierigen Aufgabe, Ernst Waldingers Nachlaß zu ordnen, seine unveröffentlichten Schriften zu sammeln und eine Auswahl aus ihnen vorzubereiten. Um den Bruch der Hitlerjahre rückgängig zu machen, knüpfte er Kontakte zu jungen österreichischen Autoren, Herausgebern und Verlegern. Er war in seinen Bemühungen eigensinnig, fordernd und beharrlich, und er war erfolgreich. Seiner Zusammenarbeit und Freundschaft mit Karl-Markus Gauß verdankt sich jenes wunderbare Buch „Noch vor dem jüngsten Tag“, zu dem Theo eine liebevolle, facettenreiche Lebensskizze seines Bruders beigesteuert hat. Durch diesen intensiven Arbeitsprozeß geriet Theo - ich glaube, von ihm selbst unerwartet - ins Licht der Öffentlichkeit; er wurde als eine sehr bemerkenswerte, interessante, eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen. Seine Überlegtheit und Sachlichkeit in fortgeschrittenem Alter verdichteten diesen Eindruck. Seine neuen Freunde aus dem Bereich der Literatur - ich hatte das Glück, einige von ihnen kennenzulernen - spürten, daß Theo Wichtiges über sein eigenes Leben zu erzählen hatte, mit den Etappen in Europa undin den USA und seinen politischen Lernprozessen und Erfahrungen. Seine Geschichte birgt überdies auch die Geschichte unserer Gruppe, deren Mitglieder, über Kontinente und Länder zerstreut, enge Freundschaftsbindungen und gemeinsame Erinnerungen bewahrten. Es ist ein Glück, daß er in den letzten zwei Jahren an seiner Autobiographie schrieb. Ganz verstrickt in sein Projekt legte er ein hohes Maß an Disziplin an den Tag, und sein Gedächtnis für eine längstvergangene Zeit war ihm dabei schr dienlich. Vergessen wir nicht, daß dies alles in einem Alter geschah, indem Theo schon über 85 war. In diesem späten Abschnitt seines Lebens wurde Theo zu einem unermüdlichen Reisenden, pendelte zwischen den USA, Österreich und der Schweiz hin und her, stellte die alte Bekanntschaft mit Elias Canetti wieder her, ratterte mit seiner Bahnkontokarte von Stadt zu Stadt, als wäre das die natürlichste Sache von der Welt. Manchmal neckte ich ihn mit den Worten: „Jeder alte Junge fährt gern mit der Tschu-Tschu-Bahn.“ Er war stolz darauf und wurde, eingedenk seines Alters, wegen seiner ungeheuren Reiselust auch ziemlich bewundert. Theo Waldinger ist zu sich gekommen. Es gelang ihm, wovon er früher nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Lang stand er im Schatten von anderen, nun kam sein Eigenes zum Vorschein. Diese neue Existenz stand ihm gut und sagte ihm zu. Wir alle sollten dafür dankbar sein, auch wenn es wunderbar gewesen wäre - für ihn, für seine Familie und für seine Freunde -, wenn er das Erscheinen seines eigenen Buches noch erlebt hätte. Wir sollten daran denken, daß Theo, als er starb, einen Kreis, der 1938 zerrissen worden war, wieder geschlossen hatte. Er und seine Familie mußten Österreich verlassen, um zu überleben. Als Jude war er gedemütigt, erniedrigt und seiner Menschenwürde beraubt worden. Trotz dieser niederträchtigen Behandlung im Land seiner Geburt, Kindheit und Jugend kam Theo nie über sein Heimweh und seine Liebe zu Wien hinweg. Im Grunde seines Herzens blieb er ein Österreicher, ein Wiener, verbunden der Kultur dieses Landes. Und dann, in seinen letzten Jahren, war wieder Österreich das Land, in dem Theo die Möglichkeit fand, das zu werden, was er immer sein wollte; und was man ihm schuldig war, wurde ihm zuletzt, teilweise wenigstens, wiedergegeben: Er fand Freunde, Anerkennung und Zuneigung. Sie waren für ihn im wahrsten Sinne des Wortes ein Lebenselexier. Der Österreicher in ihm hatte zurückgefunden. Die Vereinigten Staaten sind das Land, in dem seine engsten Angehörigen leben: seine Tochter Greta und ihr Mann Dick, seine drei Enkelkinder und die Urenkel. Er teilte seine Zeit zwischen zwei Welten - den USA und Europa, führte zwei parallele Existenzen, die einander nie ganz entsprachen. Das war eine anstrengende Lebensweise, und manchmal mag sich seine Familie zurückgesetzt gefühlt haben. Aber nun, da Theo fiir immer von uns gegangen ist, müssen wir alle erkennen und respektieren, daß er sich für den richtigen Weg entschieden hat, weil es sein Weg gewesen ist.