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Wendelin Schmidt-Dengler „Nun ist er frei, aber auf eine andere Art...“ Die Briefe Jura Soyfers Jura Soyfer: Vor zwanzig Jahren noch ein Geheimtip für jene, die sich mit der durch Austrofaschismus und Nationalsozialismus verschütteten Literatur auseinandersetzten, heute eine Symbolfigur nicht nur für den österreichischen Widerstand, sondern für eine Praxis, in der politisches Bewußtsein und literarische Gestaltung nicht getrennt sind, sondern einander durchdringen. Eine jüngere Generation von Germanisten und Historikern bemühtsich um Jura Soyfer, die Grundlagen aber stellte mit beispielhafter Hartnäckigkeit der in Missoula im USA-Bundesstaat Montana lehrende und aus Österreich stammende Germanist Horst Jarka zusammen. Da ist zunächst die 1980 erschienene Werkausgabe zu nennen und die vor vier Jahren veröffentlichte Biographie, und, aller guten Dinge sind drei, nun der Band mit Briefen Jura Soyfers, der deutlich auch die Erkenntnisfortschritte markiert: Die Werkausgabe von 1980 enthielt bereits 29 Briefe; nun ist das Briefcorpus auf mehr als das Doppelte erweitert; und was da zu lesen ist, ist eben nicht nur ein zufällig erhaltenes Bündel von Dokumenten. Wäre es nicht so kitschig, man könnte fast von einem Liebesroman in Briefen sprechen: Es sind vor allem die Briefe an Soyfers Freundinnen Marika Szecsi und Helli Ultmann, sowie Briefe der letztgenannten an Jura Soyfer. Als die Werkausgabe erschien, war Marika Szecsi noch am Leben und wurde zur Wahrung der Anonymität als „Jugendfreundin“ bezeichnet. Ich halte die Veröffentlichung dieser Texte in hohem Maße für legitim, denn mögen diese Texte einmal auch höchst private Zeugnisse gewesen sein, so wird doch fast mit jeder Zeile etwas mitgeteilt, was über die intime Betroffenheit hinaus auf die politische Situation verweist, aus der heraus sie geschrieben sind. Die Zeugnisse geben nun noch weitere Auskünfte über eine Deutschlandreise Soyfers im Jahre 1932, über einen Jugoslawienaufenthalt 1934 sowie über seine auf einer tragikomischen Verwechslung gründende Inhaftierung an der Jahreswende 1937/38. Ich kenne kaum Zeugnisse, die uns die dreißiger Jahre in einer so sinnlichen Dichte nahebringen, die bewußt machen, wie sich die politische Katastrophe in das Privatleben hinein zerstörerisch auswirkte, wie ein Mann wie Jura Soyfer, der seine dichterischen und journalistischen Arbeiten mit der gleichen Intensität und Unmittelbarkeit schrieb, mit der er seine Freunde schätzte und seine Freundinnen liebte, aufgerieben wurde, wie vor allem sein Witz einem vernichtenden Zeitgeist zum Opfer fiel. Die Briefe entraten jeglicher Peinlichkeit, die sonst Zeugnissen aus der Privatsphäre anhaftet, wenn sie an das Licht einer Öffentlichkeit gezerrt werden. Nicht so die Briefe Soyfers, in denen bei aller Diesseitigkeit doch auch eine Verantwortlichkeit spürbar wird, die auch dieses Private vor einer größeren Offentlichkeit vertretbar macht. Die Briefe Helli Ultmanns an Jura Soyfer gehören zu den zwingendsten Zeugnissen einer Freundschaft unter Zeitumständen, die eine solche nicht möglich sein ließen: Helli schreibt an Jura, der in Untersuchungshaft sitzt, und die Zensoren werden unverdientermaßen die ersten Leser eines schönen, lebendigen und zugleich unprätentiösen Briefwechsels. Der gründliche Kommentar Horst Jarkas ergibt mit den Briefen zusammen eine Einheit, die dieses Buch zu einem unentbehrlichen Quellenwerk der österreichischen Literaturgeschichte machen. Jarka ist mit der notwendigen Liebe zum Detail auch Nebensächlichkeiten nachgegangen; so etwa wurde mit Bezug auf 15 „Neuentdecktes von Jura Soyfer“ In Zwischenwelt 2 - Die Welt des Jura Soyfer werden auf den Seiten 17-21 „fünf von Herbert Arlt neu entdeckte Texte, die überhaupt zum ersten Mal publiziert werden“ — so die Vorbemerkung auf $.13 — vorgestellt. Dazu teilt uns jetzt Horst Jarka, der Herausgeber der Werke Jura Soyfers, mit: 1.) Das „Matrosenlied“ (S.17) ist nicht von Jura Soyfer, sondern einer der Texte, die Soyfer wörtlich aus Hasenclever-Tucholskys Kolumbus in Broadway Melodie 1492 übernommen hat. Das Lied ist bereits im selben Wortlautin der von Otto Tausig besorgten SoyferAuswahl „Vom Paradies zum Weltuntergang“ (Wien 1947, S.161f.) publiziert. Und natürlich auch in Jura Soyfers Gesamtwerk (Wien 1980, S.684£.). 2.) Die drei „Zeitstrophen“ (S.18, oben) sind nicht von Jura Soyfer, sondern das „Wahrheits-Couplet“ aus Johann Nestroys Die Anverwandten (1848; J. Nestroy, Gesammelte Werke, Wien 1949, Bd.6, S.677£.). Im Gesamtwerk (Wien 1980) Jura Soyfers ist das „Wahrheits-Couplet“ Johann Nestroys nicht abgedruckt; wohl aber wird in einer Anmerkung zu zwei von Jura Soyfer verfaßten Zusatzstrophen (S.211) auf Nestroys Couplet verwiesen. Die in Zwischenwelt 2 wiedergegebene Fassung weicht in den zwei Anfangszeilen von der Fassung in den Gesammelten Werken Nestroys ab. Die Frage, ob es sich bei diesen beiden Zeilen um eine Bearbeitung durch Jura Soyfer handelt, oder um eine von Soyfer benützte andere Fassung des „Wahrheits-Couplets“ ist offen. 3.) Das Fragment „Zeitstrophen“ (S.18, unten) ist offenbar ein Entwurf zu den im Gesamtwerk auf S.211 unter dem Titel „Zeitstrophen“ abgedruckten Zusatzstrophen. 4) Zu dem Gedicht „Die kleine Flamme“ (S.19) schreibt Horst Jarka wörtlich: Ich bezweifle, daß dieses Gedicht von Soyfer stammt. Die Zeilen „Aber dann wende ich ...“ bis „... wird ein bißchen zu Fortsetzung auf Seite 16