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Brief an Viktor Matejka, 17. April 1993 Lieber Viktor! Dieser Brief kann Dir leider nicht mehr zugestellt werden. Ich habe aber trotzdem das Bedürfnis, ihn Dir zu schreiben. Vor mir liegt einer Deiner letzten Briefe an mich, einer von vielen aus unserem jahrzehntelangen Briefwechsel. Du schreibst u.a.: „Ich freue mich immer wieder, daß ich einem solchen Zeitgenossen bald nach der Befreiung Österreichs begegnen konnte...“ Meine Freude, Dich kennengelernt zu haben, lieber Vickerl, und fast fünfzig Jahre Dein Freund und Weggenosse gewesen zu sein, erfüllt mich mit Stolz. Als ich Dir nach meiner Rückkehr über meine Tätigkeit im Exil berichtete, hatte ich das Gefühl, daß wir uns schon jahrzehntelang gut kennen und auf verschiedenen Pfaden in die gleiche Richtung gehen. Du warst der einzige, der für meine verlegerischen Absichten nach 1945 Verständnis zeigte und mir über den Rahmen der damaligen Möglichkeiten hinaus zur Seite stand. Im folgenden halben Jahrhundert warst Du für mich ein sicherer Wegweiser, der immer Mut spendete, damit ich Augen und Ohren offen halte und zum Widerstand, den Du meintest, mit Bild und Wort beitragen konnte. Das Wissen um einander half mir, manche Durststrecke zu überstehen und die Zivilcourage, die in unserem Lande eine Seltenheit ist, zu wahren. Ich habe auch nie vergessen, daß Du 1963 eigens nach Rom gekommen bist, um meine Ausstellung zu sehen, über die Du dann im „Tagebuch“ einen großen, verständnisvollen Artikel veröffentlicht hast, der, weil er von Dir war, mich sehr ermutigt hat, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. In dieser gemeinsam erlebten Woche in Rom führten wir bis spät in die Nacht Gespräche, die uns einander noch näherbrachten. Dieser Gedankenaustausch war für unser beider Anliegen für die kommenden Jahrzehnte mitbestimmend. Als Du 1992, zu Deinem 90. Geburtstag, von Deiner üblichen Ablehnung für solche Ehrungen eine Ausnahme machtest und die einzige Ehrenmitgliedschaft, die die Theodor Kramer Gesellschaft bisher verliehen hat, angenommen hast, empfand ich dies als große Auszeichnung von Dir. Lieber Viktor, für mich bleibst Du solange ich lebe gegenwärtig. Bitte mache mir die Freude und erlaube mir, Dir folgendes Gedicht zu widmen: MIT STACHELN IM HERZEN für Viktor Matejka Abmessend die durchschrittene Spur zum selbstgewählten Ziel, gedenkend der sich auferlegten Pflicht, der Stolpersteine und Fehltritte, der Hoffnungen und Enttäuschungen, getröstet durch die Liebe zueinander, überblickend die Landschaft unseres Lebens, bewußt, daß nicht das Ziel sondern auch unser Verhalten auf dem Weg dahin zählt. Mit Stacheln im Herzen, aber nicht aufgebend, bleiben wir auf unserer Spur. Dein Willy (Verkauf-Verlon) Eine Erinnerung an Viktor Matejka Ich habe im Juli 1944 durch Zufall Matejka und seine Frau Gerda MatejkaFelden) in Floridsdorf in der Straßenbahn getroffen. Matejka ist ja schon im Jahr 1944 aus dem KZ Dachau entlassen worden. [...] Er war dann im Lohnbüro irgendeiner Baufirma beschäftigt. Dann hat er mir einmal mitgeteilt: Es besteht die Gefahr, daß er einberufen wird, zur deutschen Wehrmacht. Das haben sie tatsächlich gemacht, daß sie die KZler, auch wenn sie entlassen waren, zur Wehrmacht einberufen haben, und zwar mit einer besonderen Gemeinheit, nämlich zur Waffen-SS. So ist es ja auch Rudolf Kalmar (später Chefredakteur des „Neuen Österreich“) ergangen. Wir haben darüber nachgedacht, wie er davor bewahrt werden kann. Er hatte eine Verbindung zu dem damaligen Primarius der internen Abteilung des Lainzer Krankenhauses, Gottfried Holler. Der war ebenfalls ein Gegner des Nationalsozialismus und hat Matejka zunächst einmal den Blinddarm herausoperiert, wozu überhaupt keine medizinische Veranlassung bestanden hat. Ich habe Matejka mindestens zwei-, dreimal in der Woche im Spital besucht und habe ihn immer die genaue militärische Lage mitgeteilt. Zuerst hat man ihm den Blinddarm herausgenommen, dann hat man Komplikationen konstruiert. So ist es gelungen, Matejka die ganze Zeit bis zur Befreiung im Spital zu halten. Hier hat sich eine für Matejka charakteristische Episode ereignet. Er hatte keine Uhr. Zufällig hatte sich bei einer meiner Finanzprüfungen herausgestellt, daß die Frau eines Angestellten der betroffenen Firma ein Uhrengeschäft besaß. Uhren gab es damals nicht mehr zu kaufen. Der Angestellte hat so nebenbei gefragt, ob ich eine Uhr haben möchte. Ich erwiderte: „Natürlich wenn ich sie kaufe.“ Und so kam ich zu einer Taschenuhr, die ich Matejka geschenkt habe. Und wie dann die Russen ins Spital gekommen sind, die ganzen Patienten waren in einen Saal zusammengedrängt, ist Matejka den Russen entgegengegangen und hat ihnen seine Uhr übergeben, um die anderen Patienten vor Plünderung zu schützen. Aus einem Interview mit Karl-Hans Heinz, 12. April 1985