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Dorothea McEwan Das Selbstporträt, das einen selbstsicheren Mann von ungefähr dreißig Jahren zeigt, bietet einen guten Ansatzpunkt zur Würdigung der künstlerischen Ausbildung, des Werdegangs und der Leistung Joseph Otto Flatters. Er sagt von sich, daß er in seinen Ölgemälden und allseinen Arbeiten danach „immer versucht hatte, seinem großen Vorbild, Rembrandt, nachzueifern“, in dem er den profunden Psychologen, den Zauberer von Raum und Atmosphäre und den echten Meister des introspektiven Porträts sah. Und weiter: er sei auch „anderer Meinung als die Wiener Zeitgenosssen mit ihrem Trend zum dekorativen Jugendstil Klimts und Schieles“ gewesen!. Das Vorbild Rembrandt war eine Zielvorstellung, ein Leitmotiv seiner künstlerischen Arbeit, das in seinen Ölgemälden, Stilleben, Landschaften, Porträts, zu spüren ist. Die Absage an den Jugendstil-Trend findet in all seinen Arbeiten, die auf uns gekommen sind, Bestätigung. Nirgendwo finden wir elegante Linien oder stilisierte Formensprachen, zweidimensionale Dekoration oder erfindungsreiche Muster, wie sie im Jugendstil betont wurden, oder auch dessen Erotik und Hang zur Morbidität. Wir finden auch keine Spur von Expressionismus mit seinen verdrehten, eckigen, verzerrten und oft brutalen oder krassen Kompositionen, obwohl die Malerei in den deutschsprachigen Ländern über die Jahrhunderte hinweg expressionistische Züge aufwies, die wiederum in der Avantgardemalerei zwischen Jugendstil und Zweitem Weltkrieg in den Vordergrund traten - in der Zeit, in der Otto Flatter seine künstlerische Ausbildung und Reife erhielt. Joseph OttoFlatter wurde 1894 in WienBrigittenau geboren, nachdem seine Eltern den Exodus aus den mährischen Stetln wie viele ihrer Mitbewohner mitgemacht hatten. Der Vater stammte aus Lomnitz (Lomnice), die Mutter aus Brünn. Otto, wie er von allen genannt wurde, hatte vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine ungeliebte Schulzeit zu Ende gebracht und seine Studien an der Akademie der Bildenden Künste in Wien begonnen. Natürlich mußte er beim Wiener Hausregiment, den Hochund Deutschmeistern, einrücken. Die nächsten dreieinhalb Jahre verbrachte er an der Front in Südtirol, bewies seine „Tapferkeit vor dem Feind“, wie es so schön hieß, aber er war viel zu bescheiden und viel zu entsetzt über das Abschlachten, als daß er sein Benehmen als Tapferkeit klassifizierte. Noch in hohem Alter sagte er, das bloße Aushalten am Posten sei für ihn kein Kriterium von Tapferkeit. Aus seinen autobiographischen Schriften, die er als 70jähriger begann, wissen wir, welch schreckenerregende Erfahrung der Krieg fiir ihn war. Die Greuel des Schützengraben- und Stellungskrieges in den Bergen waren noch lebendig in der Erinnerung des Mannes, den ich in seinen letzten Lebensjahren kennenlernte: „Der wüsteste Platz, den ich je sah, war eine Bergschlucht in den Alpen. Es sah aus, als wäre sie von Riesen ausgehölt worden als Arena, in der sie ihre brutalen Kämpfe ausfechten könnten. Die Öffnungen links und rechts, die in die Felstürme geschlagen worden waren, um die großen Kanonen zu verbergen, erhöhten den Eindruck, daß man gleichsam in einem Auditorium stand, in welchem wir die Zuschauer und die Italiener die Schauspieler waren. Gedrückte Stimmung herrschte, es war ein Theater des Weltuntergangs, die Sonne über den steilen Bergwänden schien nie in die Schlucht hinein, nur ein kleiner Ausschnitt Himmel war zu sehen und überall war es feucht und naß. Tagsüber versteckten wir uns hinter großen Steinen, da es keinen Schützengräben gab, durch die wir Verbindung aufrechterhalten konnten. Erst wenn das graue Tageslicht der schwarzen Nacht wich, konnten wir uns bewegen, aber nur so weit, daß wir nicht vom Lichtkegel des Feindes ergriffen wurden. Von Zeit zu Zeit spuckten die großen Kanonen in der Nacht ihr Feuer aus und ein mächtiges Donnergrollen 15 folgte und brach sich an den Bergwänden; ein schauriges Echo dröhnte von allen Seiten zurück. Dann regneten Steine auf uns herab und der Staub drang in Augen und Ohren. Nicht anders muß das Inferno sein.“ Die Sensitivität des Künstlers konnte nur mit Abscheu die Unmenschlichkeit der Menschen zueinander empfinden. Nach Kriegsende setzte er seine Studien an der Akademie fort, aber im Malstrom der Auflösung der Habsburgermonarchie zwangen ihn drückende wirtschaftliche Umstände, seine Studien abzubrechen. Er versuchte, sich als Porträtist durchzuschlagen, er durchquerte auf der Suche nach Arbeitgebern die Nachfolgestaaten der Monarchie sowie das neue „Rumpfösterreich“. Natürlich waren das schwierige Zeiten, wenn sich Frauen von Fabriksbesitzern in extravaganten Kostümen porträtieren lassen wollten: wenn der Maler eine photographische Ähnlichkeit erreichen wollte, mußte dies bei seinen Modellen nur Enttäuschung hervorrufen. Kein Wunder, daß er, wann immer möglich, in das Refugium seines Studios flüchtete, wo er seine Freunde und Verwandten in der ihm eigenen ruhigen, kontemplativen Manier porträtieren konnte. Seine Landschaften sind feierlich-einfache Bilder, wir spüren die Sparsamkeit, mit der das Darzustellende in den Raum gestellt wird, die Faszination von Licht und Raum. Das kommt besonders in dem Ölbild „Die Kirche von Lomnice“ zum Ausdruck. Obwohl Otto ein überzeugter religiöser Skeptiker war, können wir uns in diesem Bild nicht des Eindruckes der nüchternen Schönheit erwehren, die wie eine Verehrung der Schöpfung wirkt. Mit der Zeit wurde er als Maler bekannter. Er stellte im Künstlerhaus und in der Sezession in Wien aus. Er heiratete ein zweites Mal und fand im Jahre 1934 eine Anstellung im Masaryk-Erwachsenenbildungsinstitut in Brünn. Seine zweite Frau, Hilde Loewe, war eine bekannte Konzertpianistin, Korrepetitorin und unter dem Namen Henry Love Kompo