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Yehuda Bacon, geboren 28. Juli 1929, lernte 1941-45 bei bedeutenden Künstlern (Ungar, Fritta, Haas) in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz, erhielt 1945 künstlerischen Unterricht an der Kunstakademie in Prag (Willi Novak), 1946-51 in Jerusalem (Bezalel Academy), arbeitete 195155 als Lehrer an Schulen in Jerusalem und gehört seit 1959 dem Lehrkörper der Bezalel Academy an. Seit den 70er Jahren ist er auch künstlerischer Berater und Mitglied des Organisationskomitees des Yad VashemMuseums. 1972 erhielt er die Goldmedaille der Accademia Tommaso Campanella in Rom, 1984 den Moshe Kol-Preis in Israel. 1991 erhielt er das Stipendium der „Anni und Heinrich Sussmann Stiftung“. Einzelausstellungen Bacons waren bisher in London, Hannover, Darmstadt, Boston Berlin, Jerusalem, Helsinki, Wien (1980, Galerie Seilerstätte 11), München, Oslo, Stockholm, Antwerpen und vielen anderen Orten zu sehen. In Österreich wurden Zeichnungen von Yehuda Bacon in der Zeitschrift „Mnemosyne“ und der gleichnamigen Schriftenreihe (fiir die er die Umschlagbilder schuf) publiziert. Für Stella Rotenbergs Gedichtband „Scherben sind endlicher Hort“ (Wien 1991) stellte er acht Skizzen zur Verfügung. Yehuda Bacon Kunst und ihre Bedeutung Die ersten Jahre nach dem Konzentrationslager brachten mir, wie wohl jedem meinesgleichen, eine Anpassung an das ‚normale‘ Leben. Ich entsinne mich eines meiner ersten Nachkriegserlebnisse: Ich sah ein Begräbnis mit einem großen Sarg und Musik. Fast mußte ich lachen und mich überkam der Gedanke: Sind denn die Leute wahnsinnig, um eines Leichnams willen solche Geschichten zu machen? Ich erinnere mich, wie wir, noch halbe Kinder, nach dem Kriege keinem Menschen trauten. Jede Arbeit vermieden wir, weil wir wußten, daß man mit seinen Kräften haushalten müsse, nur bei guter Gesundheit konnten wir überleben. Ging ich in ein Konzert oder ins Theater, so berechnete ich in Gedanken, wie lange es dauern würde, das versammelte Publikum zu vergasen, und wie viele Kleider, Goldzähne und Säcke Haar von ihm übrigliebe. Wir waren unfähig, Menschen anders als nach solchen Gesichtspunkten zu betrachten. Während der ersten drei bis vier Jahre hielt ich mich beim Malen gedanklich meist noch im Konzentrationslager auf. Anderes als was mir, der Seele eines fünfzehnjährigen Jungen, zugestoßen war, wollte ich nicht ausdrücken. Nur eine Innenschau lockte wandelte sich mein Schaffen in Kunst, weil, wie ich hoffe, seine Aussage stark und aufrichtig genug war, um den Mitmenschen etwas zu bedeuten. Später begann für mich ein mehr oder minder normales Leben. Wir lernten, was wir nur konnten, weil wir dachten, während des Krieges zu viel Unterricht versäumt zu haben. Dabei fühlten wir uns uralt. Erwachsene kamen uns wie Kinder ohne jede Lebenserfahrung vor. Unsere Entwicklung ging zugleich in zwei Richtungen: Einerseits lernten wir, um die Gleichaltrigen einzuholen; andererseits regredierten wir in die Kindheit, um die wir gekommen waren, und wandten uns von unseren schlimmen Erlebnissen ab. Ich glaube, daß sich in jedem künstlerischen Schaffen etwas Ähnliches widerspiegelt: ein Versuch, es den Leistungen der Umwelt gleichzutun und die Erinnerungen der eigenen Vergangenheit wiederzugewinnen. Als Junge dachte ich mir: Ich will den Menschen mitteilen, was ich gesehen habe, in der Hoffnung, sie zu bessern. Aber die Menschen änderten sich nicht und wünschten nichts zu wissen. Viel Zeit verstrich, bis ich die Bedeutung des Leidens verstand. Das Leiden kann bedeutsam werden, wenn man sich dadurch bessert. Von Martin Buber habe ich gelernt, daß die Chassidim von zwei Arten des Leidens sprechen: die eine hat einen positiven, die andere einen negativen Einfluß. Wie aber lassen sich die beiden unterscheiden? Das Leiden, das von Gott herrührt, lehrt uns etwas, das Leiden, das vom Bösen kommt, zieht uns hinab. Das kann man allerdings während des Leidens selbst nicht erkennen. Zum Großartigsten, das wir daraus lernen können, gehört ein besseres Verständnis für die Leiden unserer Mitmenschen. Das ist so elementar, daß es einen bis in den Grund der Seele erschüttert, einem ebenso das eigene Ich wie die Realität des ‚Selbst‘ in den Mitmenschen enthüllt - es öffnet einem die Augen für das Wesen der Umwelt, das man anders nie erfassen würde. Auf diese Weise kann man sogar seine eigenen Unterdrücker irgendwie begreifen. Ich behaupte nicht, daß wir nur auf diese Weise verstehen lernen, doch das ist jedenfalls ein positives Ergebnis des Leidens. Mit meinen Werken trachte ich zu zeigen, daß es in der Welt mehr als eine Wirklichkeit gibt, ich versuche das Geheimnis des Lebens abzubilden. Ein Beispiel: Ein Porträt von Rembrandt vermittelt niemals bloß einen Ausdruck. Je gründlicher man hinschaut, desto tiefer dringt der Blick. Die Technik allein reicht nicht aus: ohne rechtes Gefühl des Malers für seine Mitmenschen ist das unmöglich. Das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Kunst läßt sich gut in einem Gleichnis Sigmund Freuds erklären: Ein Genie und ein Irrer blicken von einer Brücke in dasselbe Wasser und haben das gleiche Erlebnis. Das Genie kann es den Mitmenschen vermitteln, der Irre hingegen hat seine Identität verloren