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wie ein Stück Salz, das sich da unten im Wasser auflöst. Die Kunst taucht uns in eine dämonische Welt der spirituellen Erfahrungen, schließlich aber kommt es darauf an, ob wir all dies beherrschen, oder ob es uns beherrscht. Die Chassidim sagen: „Macht an sich ist neutral. Sie ist zerstörerisch, wenn wir die Zügel fahren lassen.“ Darum muß der Mensch im Geistigen wie auch in der Kunst seine Kraft auf das Gute richten, sonst kehrt sie sich gegen ihn und wirkt zerstörerisch. Wir brauchen Gott oder einen absoluten Wert, etwa die Gerechtigkeit, dem wir zustreben können. Die Heilkraft und positive Eigenschaft der Kunst besteht darin, daß sie uns zum Guten leitet und auch menschlich hilft. Bewußt werden wir uns dessen nur durch Erfahrung. Mit Intellekt oder Gefühl allein mißlingt das. Alles läßt sich über Äpfel lernen, und doch weiß man nichts über sie, bevor man einen Apfel selbst gekostet hat. Jemand, der seine Hand, seinen Kopf und sein Herz beherrscht, ist ein Maler, aber eines davon allein macht noch keinen Maler. Junge Menschen legen freilich mehr Wert auf Technik und Wissen, die Hand und den Kopf. Erst später würdigen sie, was allein das Herz verleiht. Diese drei Dinge darf man aber nicht trennen. Das Leben gleicht einer Spirale: es wiederholt sich, doch stets auf höherer Ebene. Kunst ist unter anderem auch die wesentliche Ausstrahlung des Künstlers wie auch seiner Umwelt. In Arezzo betrachtete ich Piero de la Francescas berühmte Fresken. Stets habe ich seine wundervollen Farben bewundert; aber erst beim Durchstreifen dieser kleinen Stadt, die sich in Jahrhunderten kaum verändert hat, sah ich, wie diese Farben auf die Alltagswirklichkeit von Arezzo zurückgehen. In Rembrandts Werken lassen sich die Halbtöne und sanften Schattierungen nachfühlen, wie sie das feuchte Klima Hollands hervorbringt. Man vergleiche einmal auch die urtümlichen Hügel von Jerusalem, in denen man die Schöpfung der Welt, ihren Ursprung und gleichsam die Finger Gottes erspüren kann, die diese kahlen Berge erschaffen haben, mit der friedlichen Landschaft von Galiläa, die dem Neuen Testament als Hintergrund dient. Das sind so ein paar Dinge, die ich mich in meinem Kunstunterricht zu erklären bemühe. So hoffe ich, jungen Kunstschülern bei einer Vertiefung und dem Auffinden ihres Lebenszweckes ein wenig zu helfen. Die Kunst veredelt diese Gemüter, indem sie ihnen ein Gegengewicht gegen ihre materialistische Lebensweise bietet. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen der geistigen und der zeitlichen Welt herstellen. Jemand, der zwischen kahlen Wänden wohnt, mag vielleicht aufschreien, aber sobald eine Blume oder ein Ornament seine Wand schmückt, wird er sich beruhigen und ein anderer Mensch werden. Die Kunst bedeutet mir eine der möglichen Arten religiösen Ausdrucks. Das gilt selbst dann, wenn sich der Künstler dessen gar nicht bewußt wird. Jede künstlerische Schöpfung ist eine Variation über das Thema ‚Gott‘. Wir Menschen bilden keine Ganzheit, aber wir streben nach ihr. Alle Formen der Kunst sind ein Versuch, diese umfassende Einheit zu erlangen; darum verleiht auch das Verständnis für die eigene Kunst einen tiefen Einblick in andere Kunstformen, so verschieden die technischen Probleme auch sein mögen. Ob das nun bewußt wird oder unbewußt bleibt, enthält doch die Idee, die der Künstler in seinem Werke darstellt, eine Harmonie, die uns als eine Interpretation des ewigen Themas ‚Gott‘ erscheint. Den künstler unterscheidet von anderen Menschen nur seine Fähigkeit, das Ringen um diese Einheit vollkommener ausdrücken zu können. Begreift er mit einer solchen tiefen Einsicht sein eigenes Leben, so wird es transzendent: dann handelt es sich nicht mehr nur um seine persönliche Angelegenheit, sondern es wird zu einem Symbol für alle Menschen. In diese Tiefe etwa dringen Kafkas künstlerische Probleme, so daß jeder sie als Symbol auffassen kann; sie sind universell geworden. Selbstverständlich gibt es Künstler der verschiedensten Art: die einen schaffen mitihrem Verstand und andere sind ‚ein Werkzeug in der Hand des Schöpfers‘. Dies ist das Höchste, was wir im leben erreichen können. Als Menschen können wir uns nur. rüsten, ein gutes Werkzeug abzugeben - die höchste Begnadung kommt von oben. ‚Der Lohn für eine gute Tat ist eine gute Tat‘, heißt es im talmudischen Schrifttum. Das Schöpferische ist der höchste Segen, der uns werden kann. Yehuda Bacon: Girl (Zeichnung) Exil in Großbritannien ‚Von Hitler vertrieben‘. German and Austrian Exiles in Great Britain 1933-45 ist der Titel eines von der „London Research Group for German Exile Studies“ koordinierten Symposiums, das vom 29. September bis 1. Oktober 1993 im Goethe Institute und im Institute of Germanic Studies in London stattfinden wird. Einleitend sprechen J.M. Ritchie, Arnold Paucker und Fritz Beer. U.a. sind Vorträge über das Exil des Sigmund Freud-Schiilers Wilhelm Stekel (von Uwe Timms), Anna Gmeyners Roman „Manja“ (von Torsten Schiiller), Franz Baermann Steiner (von Jeremy Adler), Stefan Zweigs englische Exilzeit in unveröffentlichten Briefen (von Jeffrey B. Berlin), Robert Neumanns_ Internierungs-Tagebuch (von Richard Dove), Heinrich Carwins Stück „Weder gut noch böse“ (von Jörg Thunecke) und über englische Romane von Exilautoren (von Waltraud Strickhausen) angekündigt. Anmeldungen sind bis 3. September an das Sekretariat des Institute of Germanic Studies, 29 Russell Square, London WCIB SDB, erbeten.