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10 Gedichte und Prosa in den Anthologien und Zeitschriften „Jüdischer Almanach“ (1902), „Das 25. Jahr“ (1911), „Der Neue Merkur“, „Europäische Revue“. Aufsätze in „Das Theater“ (Berlin), „Die Schaubühne“, „Neue Rundschau“, „Zeit im Bild“, „Der neue Merkur“, „Europäische Revue“, „Frankfurter Zeitung“, „Sammlung“, „Maß und Wert“ u.v.a. Pseudonyme: E.H. Gast, E. Lach, Spectator. Eine ausführliche Bibliographie findet sich in: Efraim Frisch: Zum Verständnis des Geistigen. Essays. Hg. und eingeleitet von Guy Stern. Heidelberg, Darmstadt: Lambert Schneider 1963, S.281-286. Frischs Nachlaß liegt im Leo Baeck Institute, New York. Die hier veröffentlichten drei Texte wurden von Gerhart Frisch zusammengestellt. Leo Katz‘ Roman „Brennende Dörfer“ wurde am 15. Juni 1993 im Restaurant „Tempel“ (Wien-Leopoldstadt) vorgestellt. Konstantin Kaiser sprach über das Buch, Friedrich Katz, Leo Katz‘ Sohn, Universitätsprofessor für Mexikanistik in Chicago, berichtete über das Leben seines Vaters, Siglinde Bolbecher las aus dem ersten Kapitel des Romans. In dem Roman erinnert sich der jüdische Kommunist Leo Katz (1892-1954) an seine Heimatstadt Sereth am gleichnamigen Fluß in der Bukowina. Das Jahr 1907 konfrontiert die Stadt, in der ukrainisch, rumänisch, jiddisch, deutsch nebeneinander gesprochen werden, mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer und mit einem Bauernaufstand jenseits der rumänischen Grenze. Der autobiographische Erzähler, Schüler des k.u.k. Gymnasiums in Sereth, entwirft ein satirisches Bild einer Kleinstadt im äußersten Osten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das Buch ist in der Reihe „Antifaschistische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“ des Verlags für Gesellschaftskritik erschienen. MdZ wird noch ein ausführliches Porträt des Autors bringen. Schauspiel ist, kann man allerdings daran wahrnehmen, daß, sobald der Vorhang der Aktualität darüber gefallen ist, die Welt weitergeht wie vorher.) Und wenn früher der begabte Mensch sich wenigstens so verhielt, als sei er nur der Platzhalter, der Wegbereiter des Berufenen, so spielt er jetzt ihn selbst, und die Bewegung seiner wie stählerne Maschinenteile federnden Talente reißt ihn zu einem berauschenden Hochgefühl auf, alles zu vermögen, alles zu bewältigen, was irgend nur in ein Gebiet der Menschlichen hineinreicht. Noch einmal: Wer ist berufen? Was ist er, der autonome Mensch? Wissen wir es noch? Kaum. Denn zuviel hat sich vor ihn gestellt und heischt seinen Platz. Doch die ihn fordern, werden von ihresgleichen selbst widerlegt: die zur Gefolgschaft bestimmten sind wieder selber Heischende, und was gefordert wird, wird im Getümmel und in der Verwirrung nicht einmal verstanden. Eine ungeheure Summe von Begabung ist in unserer Welt zusammnegeballt. Oft in einem einzelnen. Aber sie ist addiert, multipliziert und potenziert doch nichts weiter als eine Kombination von Gegebenheiten — und nichts mehr. Was dabei als intuitiv sich gibt (man sollte dieses irreführende Wort am besten ganz vermeiden), ist vielleicht einem kurzen Schwindelanfall vergleichbar, der den im Dunkeltn rasch eine Treppe Hinaufsteigenden plötzlich überfallen und seiner Unentwegtheit Halt gebieten mag. Das Daimonion des Sokrates ist ein Symbol dafür: esrät nicht zu tun, sondern zu unterlassen. Im autonomen Menschen wirkt ein Aktives von ganz anderer Art. Den begabten Walter Stolzing hat „die Vogelweid‘ das Singen gelehrt“, Orpheus aber bringt die unbelebte Welt zum Tönen. Der autonome Mensch setzt sich mit dem Geschaffenen nicht in Harmonie und Einklang - er läßt es, oder schafft es um. Er überwindet Natur und Natürliches. Daß der Glaube Berge versetzt, ist wörtlich zu vestehen. Der autonome Mensch lebt und erschaffl die Götter. „Und Abraham sprach zu dem Engel“ - seitdem sind Engel da, sind Wirklichkeiten. Alle Deutung, Mythenforschung, gelehrte Aufklärung, die ursprüngliche Schrift verwischend, löscht sie nicht aus: mehr oder minder deutlich, je nach der Fähigkeit einer Zeit, einer Menschheit, davon getroffen zu werden, sprechen diese Wirklichkeiten mit der Eindringlichkeit einer zweiten ebenbürtigen Natur. Der autonome Mensch hat sie geschaffen. Er gründet Völker, baut Städte und Tempel, spricht das Wort, das nicht untergeht, schaffl erst die menschliche Seele, die es in der Natur nicht gibt. Und die ein Widerspruch ist zu aller Natur. Aus: Ganymed IV., 1922 Uber Land und Leute. Assisi Man hat aus dem heiligen Franz von Assisi in unserer Zeit so etwas wie einen sanften Heinrich gemacht, der mit dem Bliimlein des Feldes (Fioretti), den Lämmern auf der Weide und den Vögeln im Walde Zwiesprache hält, einen abseitigen, weltfremden Romantiker. Ein solcher Mann wäre in jenen wilden Zeiten kaum dazu gelangt, sich auch nur Gehör zu verschaffen. Von irgendeiner weittragenden Wirkung zu schweigen. Er aber hat sich nicht nur Gehör verschafft. Man kann die Größe der Wirkung, die von ihm ausgeht, daran messen, daß kaum sechs Jahre, nachdem die Gassenbuben von Assisi dem jungen lumpenbedeckten Bettler mit dem Gejohle „Pazzo!“ durch die Gassen seiner Vaterstadt nachliefen, der Habenichts von einem Mönch, der nicht einmal ein richtiger Mönch ist, als höchster Schiedsrichter im Streit der Parteien auftritt und jene denkwürdige Einigung zustande bringt, die Assisi für lange Zeit den sozialen Frieden sichert. Heroismus des Guten! Was einer Zeit wie der unsrigen den Zugang zu solchen Erscheinungen so erschwert, ist, daß sie eine unmittelbare Beziehung zum radikal Bösen und radikal Guten des Mittelalters nicht hat. Sie kennt nicht Sünde, sondern Laster, und Tugenden vermag sie eigentlich nur negativ auszudrücken. Ein Redner, der die Zahlenreihe vor sich hat, muß genau wissen, daß er es mit negativen und positiven Zahlen zu tun hat und die Vorzeichen nicht verwechseln darf. Unser skeptischer Ethiker verwechselt sie konstant, wenn er beispielsweise eine Handlung wie die Aufopferung, weil sie auch egoistisch motiviert werden kann, mit