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— einem negativen Vorzeichen versieht. Lebenserfahrung aber lehrt nicht solches Mißtrauen, vielmehr Mut - nur vermag ein uneingestandenes Minderwertigkeitsgefühl ein positiv Gutes nicht zu erfassen, sondern höchstens negativ als die Abwesenheit eines relativ Schlechten. Darum ist etwa Frieden nur Abwesenheit vom Krieg, was er positiv gewiß nicht ist. Gut soviel wie nicht schlecht, Liebe nicht Haß. Die überall dazu gedachten Negationen geben durchweg eine falsche psychologische Betonung und bewirken jene völlige Verkennung, als sei jedes Gute eigentlich Schwäche und jedes Böse wer weiß welche Quelle von Kraft. Vor einer Erscheinung wie die des heiligen Franz zerstieben diese Psychologismen wie Spreu im Wind. Die passiven christlichen Tugenden der Demut, der Entsagung, der Armut wirken an ihm nur wie das Vortraining eines Athleten zu einem Kampf, den er sich vorgesetzt, in welchem das Heldische, Olympische fast vorherrscht. Die Darstellung Giottos in der Oberkirche: „san Franziskus verzichtet auf sein Erbe“, gibt ein anschauliches Bild davon; eine Szene gespannt und bis an den Rand gefüllt von einer neuen christlichen Dramatik. Böse Dinge sind zwischen Vater und Sohn vorangegangen. Der Junge hat teure Waren aus des Vaters Lager verkauft, das Geld unter Bettler und Mönche verschleudert, er rennt wie ein Narr in Lumpen einher, versteckt sich in verdächtige Schlupfwinkel an den Abhängen des Subasio zusammen mit dem niedrigsten Gesindel und nichts ist gegen ihn auszurichten. Gegen ihn, der bis vor kurzem noch der vornehme, elegante Jüngling war, des Vaters Stolz, von ganz Assisi bewundert. Bernardone rast: dem muß ein Ende gemacht werden, ich enterbe ihn. Franz hat sich in den Schutz des Erzbischofs begeben und stellt sich der Wut des Vaters. Halb Assisi ist auf dem Hof des Vescovado versammelt, um sich ja nichts von dem Skandal entgehen zu lassen, auch dic Straßenjugend fehlt nicht. Er soll alles, was er noch besitzt, herausgeben, verlangt Bernardone, und auf sein -Erbe verzichten. Da reißt Franziskus, was er noch anhat, sich vom Leibe, wirft es seinem Vater zu. Nackt will ich sein, nichts, gar nichts haben, ruft er mit ausgestreckten Händen in Ekstase aus. Etwas ratlos steht der Bischof hinter ihm, er hat ein Gewand ergriffen, um es um die Hüften des Jünglings zu halten, Bernardone will einen Schritt nach seinem Sohne tun, wird aber von einem seiner Begleiter am Arm gefaßt. Leerer Raum ist zwischen ihm und dem Heiligen, Raum, nicht mehr zu überschreiten. Fest haften die großen nackten Füße des Jünglings, gewaltig wölben sich nackte Schulter und Brust zum kräftigen Hals und rundwangigem, noch kindlichem Gesicht - der junge Gott einer neuen Religion, ein Apoll der Armut. Du sollst nichts haben, ohne Lohn den Menschen dienen, keine Arbeit soll dir zu nieder sein, doch was du erhältst, ist ein Geschenk, du darfst es nur für deine letzte Notdurft behalten, Dienst am Menschen. Hole des Menschen Wert aus ihm, indem du ihm dienst, erreiche durch Liebe seinen göttlichen Kern, mach‘ ihn damit zum Menschen - das ist seine Wahrheit, das ist seine Tat. Anders gibt es keinen Frieden, nach dem die Welt lechzt, und kein Gutes. Pax et bonum. Mit dieser Musik bezaubert, verführt er die Menschen, und einer nach dem anderen beginnen sie ihm zu folgen, Arme zuerst, dann Reiche, jung und alt. Es wird in der guten Stadt Assisi noch manchen Skandal geben, so, wenn das edle Fräulein aus dem Hause Scifi, achtzehnjährig, nachts heimlich entflieht, um zu dem tollen Bettler zu stoßen. Er fürchtet sich nicht, er, der Umhergetriebene und Heimatlose wagt es, sie in seinen Schutz zu nehmen, die Schwester Klara. Dann wird die jüngere ihr folgen, und er schaffl ihnen Zuflucht und Arbeit: Dienst am Menschen. Sein Erfolg ist beispiellos. Die Kirche ist klug, sie prüft und erkennt, welch ein neuer gewaltiger Motor ihr da zugeführt wird, wenn sie ihn in ihr System einbaut. So mündet diese frische Quelle einer neuen Nachfolge Christi in den großen Strom der Kirche ein, reinigt sie, läßt sie im neuen Glanz christlicher Tugend, großer Bekehrungswerke erstrahlen, aber der Versuch, Christentum aktiv zu machen, Dienst am Menschen Gottesdienst gleichzusetzen, pax et bonum als Abglanz eigener Gottseligkeit in die Welt zu tragen, hallt noch in einzelnen großen Erscheinungen der Folgezeit fort und verhallt in klösterlicher Frömmigkeit, Liebeswerken und Wunderglauben - die Welt bleibt wie sie ist. Frankfurter Zeitung, 10. Februar 1926 11 Täter Mitläufer Opfer Ferdinand Kaiser, Vorsitzender des Tiroler Bundes sozialistischer Freiheitskämpfer und selbst wegen Widerstandstätigkeit nach 1934 wiederholt inhaftiert, hatsechzehn Reden über Österreich versammelt und unter dem Titel „Täter Mitläufer Opfer“ herausgegeben. Die Reden wurden in Innsbruck von 1977 bis 1992 jeweils am Vorabend des Nationalfeiertags gehalten. Programmatisch für die Konzeption, die sich der staatstragenden Funktion des Antifaschismus nicht bedingungslos unterwirft, könnten die Reden von Wolfgang Neugebauer aus dem Jahr 1978 „Der Widerstand 1938 bis 1945 — seine Leistungen und Grenzen“ und jene von Anton Pelinka aus dem Jahre 1989 „Erstes internationales Opfer — österreichische Mittäter“ genannt werden. Leistungen und Grenzen des Widerstands, Opferrolle und Mittäterschaft in Österreich sollen sichtbar gemacht werden; Erforschung des Widerstands wird hier nicht als Imagepflege fürs Ausland betrieben, dies geht zumal aus dem Vorwort des Herausgebers hervor, wo es über die Beiträge heißt: „Fern von jeder Selbstzufriedenheit mit dem Erreichten, sehen sie in Österreich nicht ein fertiges Gebilde, sondern im Guten wie im Schlechten ein Unvollendetes, dessen nationale und demokratische Entwicklung nicht abgeschlossen ist. (...) Die Reden weisen auf Lücken und Verdrängtes im kollektiven Gedächtnis hin und wenden sich gegen eine heute verbreitete Tendenz, sich der Last der eigenen Geschichte (und Identität) durch eine Art Selbstaufgabe zu entziehen.“ Besonders interessant ist dabei auch die stets wechselnde aktuelle Perspektive der einzelnen Reden, die ja in einem Zeitraum von eineinhalb Jahrzehnten gehalten wurden. G.S. Ferdinand Kaiser (Hg.): Täter/ Mitläufer/ Opfer. Sechzehn Reden über Österreich 1977 — 1992. Thaur/Tirol: Kulturverlag 1993. 136 S. (Mit Beiträgen von Anton Pelinka, Wolfgang Neugebauer, Ferdinand Käs, Herbert Steiner, Friedrich Heer, Helmut Tscholl, Erika Weinzierl, Robert Prantner, Franz Danimann, Hermann Langbein, Herbert Moritz, Fritz Bock, Anton Pelinka, Reinhold Stecher, Lothar Müller, Günther Pallaver).