OCR
24 Emigrantin Ilse Losa die bittere Erfahrung des Nationalsozialismus in die portugiesische Literatur eingebracht“ — wie es in der prominentesten portugiesischen Literaturgeschichte nachzulesen ist. Für den Leser in beiden Sprachen ist es die gerade durch die Schlichtheit des Erzähltons ergreifende Geschichte des jüdischen Mädchens Rose, das zunächst in einer dörflichen Geborgenheit im Haus seiner Großeltern aufwächst und mit dem Eintritt in die Schule zu den Eltern in die Kleinstadt übersiedelt, wo es den angeblich fundamentalen Unterschied zwischen sich und den anderen zu beobachten, aber nicht zu begreifen lernt. Bald distanzieren sich auch die früheren Freunde von Rose, die als junges Mädchen in Berlin verhaftet wird, und der Tatsache, daß sie blond und blauäugig ist, ihr Leben verdankt: ein wohlwollender Gestapomann gibt ihr fünf Tage Zeit, um Deutschland zu verlassen. Daß ich nach Portugal gekommen bin, verdanke ich meinem ältesten Bruder, und dieser verdankt es wiederum einem Onkel, der Arzt am Tropeninstitut in Hamburg war. Onkel Josef hatte eine rein arische Freundin und sollte wegen der Rassenschande abgeholt werden, doch ein Kollege warnte ihn und so flüchtete er bei Nacht und Nebel über die holländische Grenze nach Amsterdam. Ein Freund in Amsterdam kannte wiederum einen Menschen in einer Stadt namens Porto, und so fuhr mein Onkel gleich weiter, denn dieser holländische Freund sagte, bleib nicht hier, sie werden auch nach Holland kommen. In Porto wurde damals gerade eine Synagoge gebaut. Das Geld dafür hatte ein in China reich gewordener Portugiese geschickt, der eine Bewegung zur Wiederbelebung des jiidischen Glaubens und der jiidischen Traditionen unterstiitzte. Capito Bastos, Offizier der portugiesischen Armee und selbst aus einer portugiesisch jiidischen Familie stammend, nahm sich mit Feuereifer der Sache an. Eine hebräische Schule sollte errichtet werden, damit dort die jungen Leute aus Tras-os-Montes wieder die Sprache Abrahams lernten, so war sein Plan. Diese jungen Leute waren Marranen, Nachkommen jener Juden, die während der Inquisition zwangsgetauft worden und in die Berge nach Nordportugal geflüchtet waren. Bis heute haben sie einige ihrer ursprünglichen Gebräuche, wenn auch stark verändert, bewahrt. Mein Onkel und mein Bruder wohnten in der halbfertigen Synagoge in Porto, sie hatten ja kein Geld. Es regnete in ihre Behausung und sie spannten eine Plane über ihre Köpfe. Sie nährten sich von Zwiebeln, bis sie dann ein paar Schüler bekamen, junge Architekten und Kunststudenten, die Deutschstunden bei ihnen nahmen. Nicht weil sie Deutsch lernen wollten, sondern weil sie sich verpflichtet fühlten, den Opfern des Faschismus zu helfen. Einer der Studenten war Arménio Losa, er wurde mein Mann. Mein Onkel konnte als Ausländer seinen Beruf nicht ausüben, er hätte noch einmal Medizin studieren müssen und dazu hatte er weder Geld noch Lust. So Juhr er weiter nach Paraguay. Inzwischen war ich schon da und bald kam auch mein jüngster Bruder nach. Sie kam per Schiff, aus Hamburg, in Leixöes, dem Hafen von Porto, an. Eine barfüßige Frau stürzte auf das 20jährige Mädchen, den Flüchtling zu, nahm ihre Bücherkiste auf den Kopf und ihren Koffer in die Hand. Das war vielleicht eine Überraschung! Aber der größte Schock waren für sie die Sitten, die in diesem Land Portugal damals herrschten. Ich war ein junges Mädchen und hatte mein letztes Jahr in Berlin verbracht, da konnte man machen, was man wollte, abends ausgehen, tanzen, ins Kino, ins Kaffeehaus. Und da komme ich also plötzlich nach Porto, und mein Bruder sagt mir, du darfst hier abends nicht auf die Straße gehen, das tun hier nur Nutten. Du mußt immer einen Hut aufsetzen, sonst hält man dich für ein Dienstmädchen, du darfst nie ohne Strümpfe gehen, auch wenn es noch so heiß ist. Also, bis ich mich da reingelebt habe, das war ganz schlimm. Wenn meine Brüder nicht gewesen wären, die einen Schutzwall um mich bildeten, da wäre ich oft verzweifelt. Ich ging jeden Tag mit meinem ältesten Bruder ins Cafe, ich konnte mich ja nicht um hundert Jahre zurückschrauben. In Porto taten das damals höchstens „coristas“, also Frauen, von denen Dostojewski gesagt hätte, sie opfern sich auf, damit die gutbiirgerlichen Frauen unversehrt in die Ehe treten können. Später habe ich erfahren, daß außer damals mir auch noch ein weibliches Wesen ins Cafe ging, Virginia Moura, die portugiesische Dolores Ibaruri. Aber auch sie wagte es nur in Begleitung ihres Mannes. Wenn man allein ein Cafe betrat, fingen die Männer sofort zu pfeifen an. Mich nannten sie denn auch bald die „menina von Cafe Sport“. Doch da ich eine Ausländerin war, also ohnehin im Ruf stand, verrückt zu sein, machte es weniger aus. Später kamen dann immer mehr Mädchen und wir gingen zusammen. Es waren die Flüchtlinge, die ein wenig frischen Wind hierherbrachten. In einer Provinzstadt wie Porto, versunken im Dornröschenschlaf, tauchen junge Mädchen auf, die sich anders anziehen, keine Strümpfe tragen, Sandalen (ein Skandal!) und bunte Wolisachen; weil sie kein Geld haben, zum Friseur zu gehen, lassen sie ihre Haare wachsen und stecken sie mit Kämmen hoch; der penteado a refugiada (Flüchtlingsfrisuren) wird eine Zeitlang Mode machen, und man sieht im Gang eines Kinos auch bald ein portugiesisches Mädchen rauchen. In seinem Buch O Cavalo Espantado (Das scheuende Pferd), dem einzigen Roman eines portugiesischen Schriftstellers, der jüdische Flüchtlinge in Portugal zum Thema hat, beschreibt Alves Redol, wie sich die jungen Männer im Cafe auf den Boden legen, um den Ausländerinnen unter den Rock zu schauen. Viele Leute, besonders Frauen, hatten keine Ahnung, warum wir hier waren, refugiadas sem eira nem beira (Flüchtlinge ohne Hab und Gut), so hieß es damals; denen darf man nicht über den Weg trauen, man weiß ja nicht, aus welchen Familien die sind. Freilich, je einfacher die Leute waren, desto mehr Mitleid hatten sie mit uns, desto herzlicher wurden wir aufgenommen. Manche fragten allerdings entsetzt; sind sie denn ganz allein gekommen? Aber wie denn? Bei Judith Navarro werden refugiadas beschrieben, die in Lissabon im Hafen von Alcäntara ankommen und energisch gleich durch den Zoll gehen. Das wird dann so kommentiert: Wenn wir unsere Heimat verlassen müßten, wir würden mit hängenden Köpfen hintereinander herziehen und weinen. Wir Portugiesen haben eben mehr Gefühl. Sie kam in ein gedrücktes und bedrükkendes Land und erlebte es anders als