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26 verlegt wurde, wo er dann auch ein Bett bekam; für das Bett mußten wir täglich zahlen und für das Essen und für jeden Besuch. Als die drei Monate um waren und mein Bruder noch immer kein Affidavit hatte, wollten sie auch noch meinen Mann einsperren, aber da hatte dann der Bürgermeister von Porto persönlich für ihn vorgesprochen und denen von der Pide erklärt, er könne diesen Architekten, meinen Mann jetzt unmöglich entbehren, er arbeite gerade an einem ganz wichtigen Projekt für die Stadt, es sei ausgeschlossen, daß er die Arbeit unterbricht, um ins Gefängnis zu gehen - das stimmte natürlich nicht, aber es half. Mein Bruder schrieb mir täglich aus dem Gefängnis und jetzt, wo siemich das alles fragen tut es mir leid, daß ich alle diese Briefe weggeworfen habe. Er wurde dann nach Caxias ins politische Gefängnis verlegt und hat da mit ein paar berühmten Leuten zusammengesessen, mit Miguel Torga, mit Jaime Cortesao. Einmal haben sie auch einen Nazi zuihm gesteckt, doch da hat das deutsche Konsulat sofort Einspruch dagegen erhoben und schon am nächsten Tag kamen sie und entschuldigten sich vielmals, sie hätten sich versehen, er sei ja kein Jude. Ich glaube nicht, daß oppositionelle Nichtjuden es gewagt haben, hierher zu kommen — welche Entschuldigung hätten sie denn gehabt? In Porto kannte ich nur zwei christliche refugies, zwei junge Mädchen, die imponierten mir sehr, denn sie waren ganz einfach aus Deutschland rausgegangen, weil sie mit dem Regime nicht einverstanden waren. Das waren aber wirklich Ausnahmen. Von der Deutschen Kolonie, die damals in Porto lebte, waren fast alle Nazis — und die’s nicht im Herzen waren, haben jedenfalls mitgemacht. Wenn sie in ein Café gingen, schrieen sie schon von weitem „Heil Hitler“ und hoben den Arm und schlugen die Hacken zusammen, die dachten schon, daß alles ihnen gehöre. Die Buchhandlung International hatte einmal ein Buch in der Auslage, ich weiß nicht mehr, ob in französischer oder portugiesischer Sprache, jedenfalls war es ein Buch gegen Hitler. Da ist eine Deutsche sofort in die Buchhandlung gegangen und hat gesagt: Nehmen sie bitte das Buch aus dem Fenster. Fällt mir ja gar nicht ein, sagte der Buchhändler, das Buch ist hier und ich muß es verkaufen, warum soll ich es aus dem Fenster nehmen... So war das damals, die Leute glaubten wirklich, Hitler würde hier einmarschieren, es gab ja auch hier die Fünfte Kolonne, die war sogar ziemlich groß und hätte ihn empfangen. Die höher gestellten Portugiesen in diesem Land waren fast alle hitlerfreundlich, da gibt's gar keinen Zweifel. Eine Freundin von mir, die den Töchtern eines Ministers Gymnastikunterricht gab, erzählte, daß über dem Schreibtisch des Ministers ein großes Hitlerbild hing. Erst als Hitler die ersten Schlachten verlor, hängte Salazar sein Mäntelchen nach dem Wind und besann sich wieder auf den ehemaligen Verbündeten Portugals, die Engländer. Auf Initiative der Engländer ist dann auch ein Emigrantenzentrum in Caldhas de Rainha eingerichtet worden, um die refugies aus den Gefängnissen zu holen. Denn alle, die hier nach ’38 ankamen und kein Affidavit hatten, sind ja eingesperrt worden, eine Unmenschlichkeit, schließlich hatten diese Menschen ja nichts getan, warum sollten sie in einem Land, das angeblich neutral war, nicht frei herumlaufen? Und so kamen die ärmeren Leute durch Vermittlung von Mr. West nach Caldas, wo ein amerikanisches Hilfskomitee fiir ihren Unterhalt bezahlte. Wer noch Geld hatte und selbst das Hotel bezahlen konnte, durfte nach Figueira da Foz gehen, einer Hafenstadt mit einem Casino. Caldas war ein kleines Nest im Inneren. Die meisten refugies wohnten dort bei Familien und hatten es natürlich auch nicht besonders leicht. Die Frauen konnten sich allerdings besser beschäftigen, sie strickten, machten Kosmetik und Maniküre. Sie erfanden immer etwas, während die Männer im großen und ganzen nur so rumgesessen haben, wie es ja auch für die portugiesischen Männer typisch ist, die haben sich denen ganz schnell angepaßt. Ich glaube, daß viele meiner Probleme mit der Sprache zu tun haben, obwohl man ja immer getröstet wird, der und jener hat auch in einer fremden Sprache geschrieben und ist doch ein tüchtiger Schriftsteller geworden. Aber fast alle, die versucht haben, in einer anderen als in ihrer Muttersprache zu schreiben, haben furchtbar gelitten, nur Joseph Conrad ist eine Ausnahme, soviel ich weiß. Ich hatte schon in Deutschland geschrieben, doch alles weggeworfen bei meiner Flucht; die ersten Jahre in Portugal wäre mir das Schreiben erst gar nicht eingefallen, man war ja in einem großen Trubel drinnen, man hatte es so schwer in diesem Land als Emigrant. Aber wie es dann einmal geschehen war, habe ich immer weiter geschrieben, hauptsächlich für Zeitungen, immer unter anderen Namen. Damals gab die berühmte Marie Llamas die erste Frauenzeitschrift in Portugal heraus. Auch in der „Seara Nova“, der Zeitschrift der oppositionellen Linken, habe ich ab und zu eine Geschichte veröffentlicht und in „Vertice“, der Kulturzeitschrift aus Coimbra. Ich begann dann sehr bald, Geschichten für Kinder zu schreiben, obwohl das zu jener Zeit - und sogar heute noch - bei vielen portugiesischen Schriftstellern verpönt war und ist. Für Kinder schreiben, sei minderwertig, ja geradezu eine Schande, hieß es. Freilich, einige auch durchaus bekannte Künstler haben sich nichts daraus gemacht und schon damals Kindergeschichten geschrieben, Aquilino Ribeiro und die Dichterin Sophia Mello de Breyner; aber sie hatten beinahe ein schlechtes Gewissen dabei und veröfJentlichten unter anderem Namen. Ich versuchte damals in einem Artikel über Andersen diese Meinung zu kritisieren, das wurde jedoch nicht angenommen, genausowenig wie die meisten Kindergeschichten, für die war einfach kein Verlag zu finden. Meine ersten Geschichten habe ich aus eigener Tasche bezahlt, wie die Geschichte von Faisca. Faisca comta uma histéria (,,Faisca erzählt eine Geschichte“), 1949 veröffentlicht, ist das erste von 19 Kinderbüchern, für die Ilse Losa 1982 mit dem Andersen-Preis ausgezeichnet wurde. Anders als in ihren Erzählungen, die fast alle von der Unmöglichkeit berichten, auch nur ein Stück der verlorenen Heimat wiederzufinden, hat sich die Autorin in diesen Geschichten zumindest die Träume ihrer Kindertage aufbewahrt. Ilse Pollack lebte acht Jahre als Assistentin für deutsche Sprache und Literatur in Lissabon und Coimbra. Aus dieser Zeit datiert der freundschaftliche Kontakt zu Ilse Losa.