Die Emigranten und das Bett
Es schritten drei Männer, ein Bett zu schleppen,
Hinunter die engen, gewinkelten Treppen.
Sie seufzten unter dem starren Gewicht.
Aber Bomben fielen damals noch nicht.
In Whitechappel fingen sie, drei Mann,
Das geliehene Bett zu tragen an.
Da sprach als erster der Pazifist:
„Was solch ein Bett für ein Umstand ist!“
Der Katholik, dem’s an Atem gebrach,
Brummte nur ein wenig nach.
Doch der marxistische Doktrinär
Spuckte und fand das Bett zu schwer.
Er murmelte: „Nicht in zehen Tagen
Vermögen wir es bis nach Hampstead zu tragen,
Weil es zuvor uns das Rückgrat zerbricht.“
Die deutschen Bomben fielen noch nicht.
Dem Pazifisten war nicht zum Spaßen:
„Vielleicht hätt ich sie besser in Zürich gelassen.“
Er meinte damit seine Frau, ihr Besuch
War der Grund, daß man jetzt eine Bettstatt trug.
Und der Katholik, in Schweiß getrieben:
„Da wär deine Tochter doch auch dort geblieben!
Mit der Mutter teilt morgen das Bett ihr Kind,
Wenn sie beide erst angekommen sind.“
Und es dachte logisch der Doktrinär:
„Wir holten doch selber die Beiden her,
Weil der Gatte und Vater stets magerer ward
Bei unzulänglich rasiertem Bart.“
Indessen fragten sich alle drei,
Ob nicht wo ein Handwagen mietbar sei,
Dann hätten sie, statt zu tragen, zu schieben
Und wären länger bei Atem geblieben. ¬
Damals ließen die deutschen Geschwader
Noch nicht das englische Volk zur Ader.
Man pflegte noch nicht wie in späteren Tagen
Kein Bett, sondern nur das Bettzeug zu tragen.
Das wahrscheinlich zwischen 1940 und 1944 in den USA entstandene Gedicht
aus dem Nachlaß Berthold Viertels wird - als eines von vielen bislang unveröf¬
fentlichten Gedichten - in dem Band Das graue Tuch enthalten sein, der dem¬
nächst als dritter Band der Berthold Viertel-Studienausgabe im Wiener Verlag
für Gesellschaftskritik erscheinen wird.
Im Londoner Stadtteil Hampstead lebten sehr viele deutschsprachige Emigran¬
ten; in Hampstead befand sich auch der Sitz des von Berthold Viertel mitbegrün¬
deten Freien Deutschen Kulturbundes in Großbritannien.
Die letzte Zeile des Gedichts Kein Bett, sondern nur das Bettzeug zu tragen spielt
darauf an, daß viele Bewohner Londons in der Zeit der deutschen Bombenan¬
griffe ab Sommer 1940 mit ihrem Bettzeug in die Stationen der Untergrundbahn
schlafen gingen.
Wichtigkeit der Funktion der Kultur¬
schaffenden im Exil und deren Beitrag
zur Wiedererrichtung Österreichs zu er¬
kennen begann. Diese verspätete Er¬
kenntnis erlaubt uns, zum 50. Jahrestag
der Befreiung Österreichs die Realisie¬
rung einer Dokumentations-Wander¬
ausstellung „Verfolgte und vertriebene
österreichische Kunst und Kultur 1938¬
1945. Eine Rückschau nach 50 Jahren“,
mit einem zu diesem Anlaß erscheinen¬
den Buch. Wenigstens in dieser Ausstel¬
lung und in diesem Buch wird die
Brücke zwischen den ins Exil Getriebe¬
nen und den in der Heimat Verfolgten
geschlagen.
In diesem Sinne sehe ich auch die Be¬
deutung des heute beginnenden Bert¬
hold Viertel Symposiums.
Zum Abschluß möchte ich Ihnen noch
ein Gedicht von Berthold Viertel vorle¬
sen, das er mir vor 50 Jahren gesendet
hat und das ich 1946 veröffentlicht habe:
Euer Grab will ich besuchen,
Eltern: unter vielen, neuen
Eines von den alten, scheuen.
Keinem Mörder muß ich fluchen,
Wenn ich an den Hügel trete
Ohne Tränen und Gebete.
Seid vor dem Tumult gestorben,
Der die Stadt ins Elend stürzte
Und so viele Leben kürzte.
Noch war nicht die Luft verdorben
Von den Brandgeruch der Schande,
Schweiß der Angst im ganzen Lande.
Später Wunsch, wo ihr geblieben,
Heimgekehrt mich einzufinden,
Ehe meine Tage schwinden
Nicht verbannt mehr und vertrieben,
Bringt mich her, zu euren Füßen
Die befreite Stadt zu grüßen.
Die Teilnehmer des Symposiums sandten
einen Gruß an die erkrankte Elisabeth
Neumann-Viertel: ,,... wir ... waren sehr
bekiimmert, Sie nicht unter uns zu sehen.
Es bleibt uns nur, Ihnen eine rasche Gene¬
sungzu wünschen, und Ihnen für Ihre jahr¬
zehntelangen Bemühungen um das Werk
Berthold Viertels zu danken. Auf ein bal¬
diges Wiedersehen!“