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10 So zeichnet Henriette Mandl dilletierend mehr ein Bild ihrer Kommunikationsbasis, als daß die Persönlichkeit Kadmons, ihr Typus, Konturen gewänne. Am glatten Spielboden der Theaterwelt tätig zu sein, einer traditionelllen Männerdomäne, erscheint als Selbstverständlichkeit. Ich weiß, Stella Kadmon zeigte wenig Lust, ihre ‚Dickhäutigkeit‘ und ihre Verletzungen zur Schau zu stellen. Furchtbar wird die Biographie durch ein zutiefst ‚österreichisches Bewußtsein‘ von der Kompromißkapazität von Geschichte. „Die Stella war ein völlig unpolitischer Mensch - sie war ein Familienmensch...“, ist die Autorin überzeugt. So läßt sie wichtige Teile der Erzählung Kadmons weg, zerbricht die kristallisierte Spur, um auf der anderen Seite wortwörtliche Interviewteile als Eigenes wiederzugeben. Natürlich waren für Stella Kadmon ihre Brüder und die patriachalisch agierende Mutter intellektuelle, politische und soziale Fixpunkte. 1938 galt es die Flucht aufzuschieben, um die inhaftierten Brüder vor der Deportation ins KZ zu retten. Was es für eine jüdische Familie bedeutete zu überleben, ist eine sperrige Erfahrung für Bodenständige. So schlicht und naiv, von Schutzengerln beschattet, Henriette Mandl ihre Protagonistin den Erdenweg wandeln läßt, so prätentiös zensuriert sie. Obwohl es genaue Vorarbeiten von Ingeborg Reisner und Mounier Joukhadar gibt, bleibt ein Jura Soyfer bei ihr ebenso unerwähnt wie der Dramatikerwettbewerb, den Stella Kadmon ausschrieb, um junge österreichische Autoren zu fördern und zu neuen Stücken zu kommen. Zwei große Wünsche hatte Stella Kadmon bei ihrem Rückzug aus dem aktiven Theaterleben: die Fortführung der Courage — ihre Wunschkandidatin Emmy Werner wurde Leiterin eines großen Hauses. Und eine ihrer Theaterarbeit gerecht werdende Lebensbeschreibung. Dieser Wunsch ist noch unerfüllt. Siglinde Bolbecher Henriette Mandl: Cabaret und Courage. Stella Kadmon - Eine Biografie. Wien: WUV-Universitätsverlag 1993. 257 S., öS 278,-. Ich bin der Aal Duck dich, duck dich! Gebannt und fahl Duck dich, duck dich! Wahrlich, Ich töt dich. Ich feuchte tief einen roten Grund Mit lieblich schlüpfriger Kühle; Quäl ich lächelnd den Erdschoß wund, Wackeli zitternd die Mühle. In Stuben rücken die Stühle. Gerne beiß ich in meinen Schwanz, Sauge am Schleim, dem nassen. Was ich da tu, ist Allerweltstanz; Sie will ihr Endliches fassen. Und kann sies nicht, muß sie es lassen. Einst hüpft ich nachts vor Wucherers Haus, Flatternd, doch ohne Füße. Die Kuppelgreisin kroch meckernd heraus, Daß meine Krone sie grüße Und hurte mit meiner Süße. Nun bin ich in Bildern verwünscht und gefeit Über mir rascheln die Ähren Und mache nur noch von Zeit zu Zeit Hirnkranke Kinder gebären. Mütter werden sie nähren. Ich bin der AalDuck dich, duck dich! Gebannt und fahl Duck dich, duck dich! Wahrlich, Ich töt dich. Gertruds Schwester, Hilde Wenzel, war in die Schweiz emigriert; Gertrud blieb mit dem betagten Vater in Berlin, bis man ihn am 15. Dezember 1942 nach Theresienstadt brachte und sie selber zwei Monate später in ein ungewisses Schicksal deportierte. Ihr letzter Brief an die Schwester vom 21. Februar 1943 spricht hauptsächlich über die inneren Bedingungen ihrer schöpferischen Prozesse: „ich schaffe ja nie aus einem Hoch- und Kraftgefühl heraus, sondern immer aus einem Gefühl der Ohnmacht.“ (Brief 206) „Ganz ohne Freuden bin ich freilich nicht“ (Brief 204), schreibt sie im Brief vom Vortag, weil ihr täglicher „Morgenspaziergang“ zur Fabrik, in der sie zwangsverpflichtet ist, sie an einst „malerisch“ erlebte Landschaften von „unbeschreiblichem Schimmer“ erinnert. Ihre Briefe klingen anmutiger, heiterer, plaudernder, als es die bloße Rücksicht auf Zensur zu erzwingen scheint. Worüber sie einzig klagt, sind Lärm und Enge der Berliner Mietwohnung, wo sie mit dem Vater eine „Stube“ teilen muß, weil „fremde Menschen meine Sachen in Besitz genommen haben“. Die Zukunftsangst ihrer zwangseinquartierten „Mieter“ „dringt durch die verschlossene Tür in mein Zimmer ein und treibt gewaltsam die Ruhe und Stille und Würde und schweigende Kraft hinaus, dir ich für mich darin sammeln und halten möchte. Der Maschinenlärm in der Fabrik schwächt mich weniger (...)“. (Brief 186) Kurz vor ihrer Verschleppung hat man sie in eine andere „Arbeitsstätte“ versetzt. Hier hat sie es leichter, sitzt neben „Damen“ ihrer ehemaligen Gesellschaftskreise. Trotzdem sehnt sie sich aus Charlottenburg nach der Fabrik in Lichtenberg zurück, wo „ein Schlächter, ein Kellner, ein Schuhmacher (...) ein Leichenbestat