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14 Geld, ohne Kredit, ohne irgendwelche Organisationen, auf deren Plakaten die besten und größten Namen von Berliner Schauspielern und Regisseuren erschienen.“ Rätselhaft war, sagte Hans Tramer, woher Seeler das Geld nahm, solche Theateraufführungen vorzubereiten: „Aber sein eigener Enthusiasmus muß wohl faszinierend gewirkt haben, denn er brachte die besten Schauspieler zusammen, die sich bereit erklärten, gewiß ohne hohe Gage und neben ihrer eigentlichen Berufsarbeit, an dem Experiment mitzuwirken.“ Seine „Junge Bühne“ eröffnete Seeler mit dem „Vatermord“ von Arnolt Bronnen. Die Aufführung, eine Matinee, fand am 16. April 1922 im eigens dazu gemieteten Neuen Theater am Zoo statt. Die Rolle des Vaters übernahm Heinrich George, die Mutter spielte Agnes Straub und den Sohn Seelers enger Freund H. H. von Twardowski „Nur der Regisseur fehlte noch“, erinnerte sich Bronnen in seinem Lebensrückblick. „Da erschien Bert Brecht bei mir. Er sei der Einzige, der dieses Stück inszenieren könne ...“ Doch weder war Brecht der richtige Regisseur noch George der geeignete Schauspieler. „Ich saß neben Brecht im leeren Zuschauerraum und erschauerte, wenn da oben auf der Bühne George stand und meine Worte sprach. Aber Brecht trieb den keuchenden, japsenden, 250 Pfund schweren Koloß von der Rampe, zerhackte unerbittlich jedes nur expressiv herausgeschleuderte, aber nicht vorgedachte, vorartikulierte Wort.“ Endlich griff Seeler ein. Er löste Brecht und George ab und verpflichtete als Regisseur Berthold Viertel und anstelle Georges Alexander Granach, während Agnes Straub und Twardowski Mutter und Sohn gaben. Den jüngeren Sohn spielte Elisabeth Bergner, die gerade aus München gekommen war. Die Aufführung wurde ein beispielloser Erfolg. Herbert Ihering, einer der führenden Kritiker, schrieb im „BörsenCourier“: „Einer der stärksten Theatereindrücke der Spielzeit hat man dem Idealismus einiger Schauspieler, der Arbeitsleidenschaft eines Regisseurs, der eruptiven Kraft eines jungen Dichters zu verdanken. Von der Vorstellung ging eine solche Bannkraft aus, daß das Publikum sich während des Spiels musterhaft ruhig verhielt und das Pfeifen am Schluß von orkanartigem Beifall niedergefegt wurde.“ Ein Jahr später, am 17. März 1923, wurde im Renaissance-Theater unter der Regie von Karlheinz Martin mit Agnes Straub, Heinrich George, Franziska Kinz und Hans Heinrich von Twardowski „Olympia“ von Ernst Weiss gegeben, worüber dann wiederum Ihering schreiben konnte: „Die Junge Bühne unter Leitung von Moriz Seeler bewies, daß der Erfolg, den sie mit ‚Vatermord‘ hatte, kein Zufall war. Sie bewies den stehenden Bühnen, die aus sich heraus die Kraft zum Ensemblespiel nicht mehr aufbringen, daß immer noch Idealismus, immer noch Werktreue das schöpferische Element des Theaterspiels ist.“ Weniger erfolgreich war die Junge Bühne im Sentember 1923 im Staatstheater mit dem „Überteufel“ von Hermann Essig mit Agnes Straub, Gerda Müller, Wilhelm Dieterle und Eugen Klöpfer sowie dem BronnenStück „Anarchie in Sillian“ im April des folgenden Jahres im Deutschen Theater. Regie führte Heinz Hilpert, Mitwirkende waren Maria Eis, Franziska Kinz und Walter Franck. Ein regelrechter Theaterskandal ereignete sich dagegen im Februar 1925, ebenfalls im Deutschen Theater mit Zuckmayers „Pankraz erwacht oder die Hinterwäldler“, Regie: Heinz Hilpert, Darsteller: Rudolf Forster, Gerda Müller, Erika Meingast, Alexander Granach und Walter Franck. Dagegen hatte das nächste Zuckmayer-Stück, „Der fröhliche Weinberg“, am 22. Dezember desselben Jahres einen sensationellen Erfolg. Nach der Aufführung des „Pankraz“ hatte Alfred Kerr geschrieben, diesen Autor könne man getrost vergessen, Seeler dagegen hatte an Zuckmayer geglaubt und damit recht behalten. „Ein Riesenerfolg, ein Riesenkrach“ war etliche Monate zuvor das BronnenStück „Die Exzesse“ unter der Regie Hilperts gewesen. Es spielten: Gerda Müller, Maria Paudler, Lotte Stein, Curt Bois, Walter Franck, Veit Harlan, Eugen Klöpfer, Twardowski und Aribert Wäscher. Nach Ihering kam es während der Aufführung zu „Exzessen des Applauses, des Pfeifens, der Bravound der Pfuirufe“, wie sie das LessingTheater wohl noch nie erlebt habe. Doch es sollte noch stürmischer kommen — am 14. Februar 1926 mit Brechts „Baal“ unter der Regie des Autors mit Sybille Binder, Blandine Ebinger, Gerda Müller, Margo Lion, Helene Weigel, Paul Bildt, Kurt Gerron, H. H. von Twardowski und Oskar Homolka. Hermann Kasack erinnerte sich noch nach vielen Jahren mit Vergnügen an den Skandal. Ihering sprühte in seiner Zeitung Zornesfunken vornehmlich gegen den Starkritiker Alfred Kerr, der seine Urteile in der Tat nach nicht immer einsehbaren Kriterien fällte: „Um Brechts Frühwerk wurde gestern mittag im Deutschen Theater nicht etwa gekämpft, sondern vorbereiteter Skandal gemacht. Indirekt ermutigt durch die Kritiken des Herrn Kerr, der in ähnlichen Fällen den Beifall für Dichter und Werk zu verschweigen pflegt, um schadenfroh auf Pfiffe und Zwischenrufe hinzuweisen, glaubten skandalsüchtige Theaterbesucher die Pflicht zu haben, sich zu entfesseln.“ Hanns Henny Jahn, dessen „Krönung Richard des Dritten“ im Dezember 1926 aufgeführt werden sollte, war eigens aus Hamburg angereist und saß auf einem Stuhl im überfüllten Zuschauerraum: „Die Aufführung begann mit großer Verspätung. Der Raum war mit Spannung und Ungeduld geladen, geradezu vergiftet... Man pfiff, schrie, heulte, klatschte. Die Schauspielerin schwang sich aufs Klavier, bearbeitete mit den Füßen die Tasten und sang dazu: Allons, enfants de la patrie! Der Lärm wurde ungeheuer. Ich glaubte, eine Panik werde ausbrechen. Ich war eben aus der Provinz, der Berliner Premieren ungewohnt und saß gefährdet im Gang auf einem beweglichen Stuhl. Aber es blieb bei dem ohrenbetäubenden Lärm, und er hielt an, bis die Urheber endlich erschöpft waren...“ Die Junge Bühne jedoch verzeichnete erneut ein Theaterereignis, von dem tout Berlin sprach. Überdies war jede Aufführung zugleich ein gesellschaftliches Ereignis. „Spitzen der Berliner Intelligenz und Gesellschaft erschienen im Parterre und in den Logen; ich erinnere mich noch“, berichtete Zuckmayer von einer seiner Premieren, „an Albert Einstein, Gustav Stresemann, Renee Sintenis, Pechstein, Poelzig, Else Lasker-Schüler, von Brecht und den anderen Generationsgenossen zu schweigen, dazu kamen