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Vladimir Vertlib Das Bett „Und jetzt erkläre mir: Wozu brauche ich dieses Amerika?“ Borjas Schwiegermutter seufzte. Dann setzte sie sich ängstlich auf den wackeligen Stuhl - das einzige Möbelstück im Wohnzimmer, das den Namen Möbelstück verdiente. Der Stuhl knarrte beleidigt und neigte sich ein wenig auf die rechte Seite, gab aber dieses Mal noch nicht nach, so daß die Schwiegermutter sich von ihrem alltäglichen Spaziergang zum Meer erholen konnte. Das bunte Kleid, hellblau und mit rosarotem Blümchenmuster, stammte natürlich noch aus Leningrad und klebte nun an ihrem schweißgebadeten fetten Körper, so daß Borja die hängenden Brüste, die beim Atmen auf und ab hüpfenden Polster an den Hüften und die unförmigen Schenkel zu sehen bekam. „Widerlich!“ dachte er. „Und Galja wird bestimmt auch einmal so aussehen. Nun gut, ich bin selbst kein Adonis, und der Jüngste bin ich ja wohl ebenfalls nicht mehr.“ „Ich schenke dir dieses Amerika, und noch einiges dazu“, sagte die Schwiegermutter, „eine Affenhitze ist das hier, beinahe wäre ich ohnmächtiggeworden. Ein Sonnenstich wird mein Ende sein; hätte ich mir früher auch nicht träumen lassen... Und überhaupt, man kann sich ja wirklich nicht auf die Straße trauen, wenn’s nicht die Hitze ist, dann sind es diese Neger und Puertorikaner...“ „Aber Gissja Isaakjewna“, widersprach Borja, „haben denn Ihnen die Schwarzen bis jetzt etwas getan?“ „Na, mir nicht“, brummte die alte Frau, „aber du weißt doch ganz genau, daß man der kleinen Mila, du weißt ja, der Enkelin von Krejna ... Nu, was schaust du mich so an, als ob du nicht wüßtest, von wem ich rede, natürlich kennst du sie ... Du weißt also genausogut wie ich, daß man ihr das Halskettchen vom Hals gerissen hat... Und Krejna selbst hat mal so eine Gruppe gesehen, spät am Abend. Der eine hatte eine Kette, der andere so einen Holzknüppel, na du weißt. schon, von diesem saublöden Spiel, wo man mit dem Stock einen Ball in die Höhe schießt, und alle laufen dann wie die Verrückten im Kreis...“ „Baseball!“ „Genau! Einen Baseballschläger!“ „Na und?“ „Nichts und! Davongelaufen ist sie ihnen, um ein Haar hätten sie sie erwischt, aber unsereins gibt nicht so leicht auf.“ „Krejna Solomonowna, davongelaufen? Die kann doch kaum mehr gehen!“ „Ach, was verstehst du schon davon! Hast du eine Ahnung, was ich alles kann, wenn so ein Neger mit einem Baseballschläger auf mich zukommt. Und außerdem, bist du etwa glücklich hier? Du, ein Ingenieur, arbeitest als Anstreicher und malst die Wohnung dieser Spekulantin aus Odessa aus. Nennst du das Leben? Und was ist mit den Möbeln? Pom BESS = =o > > Qi UL TE inf UL 17 Ich habe es satt auf der Matratze zu schlafen, ich brauche ein Bett.“ „Alles braucht seine Zeit, Gissja Isaakjewna“, versuchte Borja zu beruhigen, er konnte das ewige Lamentieren der Schwiegermutter nicht mehr ertragen. „Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden“, fügte er hinzu. „Und soll ich jetzt, in meinem Alter, an der Erbauung Roms auch noch mitwirken?“ raunzte die Alte. „Was soll ich hier — die Straßen, die Leute, das Licht, die Sprache, alles ist anders. Und wer wird sich um das Grab meines Mannes kümmern? ... Oh ja, die Auswahl in den Geschäften, die ist groß, muß ich zugeben. Aber was bringt mir das bei meiner Diät? Kein Salz, keine Fette, kein Zucker, keine Wurst, kein Faschiertes, keine Eier. Was darf ich überhaupt noch essen? Nun sag mir, wozu brauche ICH dieses Amerika?“ Was sollte Borja da schon viel sagen, er zuckte nur mit den Schultern. Er sah sich auch nur als Opfer, als Opfer der rach Das siebte Wien. Gedichte. Wien 1990.