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Schlamm und Schmiere, blutender Himmel oder Knochengerüst aus Bäumen und Gestank - zeigen es an. Gott Vaters Spur ist verloren, er bleibt unauffindbar und verborgen. Der Blick Leberts ist auf das Uberzeitliche gerichtet, das aber immer im Konkreten faßbar wird. Es geht um die Frage nach den Quellen und Wirkungsweisen des Bösen in der Welt. Schuld und Sühne, Fragen der Gewissenserforschung, der Möglichkeiten des Menschseins werden in einem „Neben- und Ineinander von Realistischem und Mythischem‘® dargestellt. Leberts Blick ist auf Existentielles gerichtet: hier wären die Bezüge zu Sartre und Camus herzustellen.” Auch die im Roman wiederholt auftauchende Fortschrittskritik ist von Leberts mythisch-metaphysischem Blick durchtränkt. Leberts Position ist wohl Skepsis, wenn nicht Pessimismus. Lebert wollte die „Wolfshaut“ nicht als sogenannten Zeitroman verstanden wissen, auch realistisch sei sein Roman nicht, „eher religiös“, wie er sagte. Einen „religiösen Roman“ habe er geschrieben, „verborgen hinter einer Gespenstergeschichte, die sich wieder hinter einer bäuerlichen Kriminalgeschichte verbirgt.“! ° Und in einem Interview aus dem Jahr 1991 sagte Lebert überdies: „Es steht ja eigentlich nirgends, „daß das Buch in Österreich spielt.“! 1 Aber richtig ist auch — und gerade dies machte und macht noch immer die Attraktivität dieses Romans aus - daß Lebert seiner Zeit nicht „voll Ekel und Abscheu den Rücken kehrft] und, getragen von einem verzweifelten Idealismus, im Zeitlos-Mythischen [...] eine bedeutungsvollere Wirklichkeit zu finden hoff[t]“, sondern „der Mythos in die historische und gesellschaftliche Realität eingebunden“ ““ bleibt. Lebert bemüht aber den Mythos nicht im Sinne eines bloßen Anschlusses an „Erbe und Tradition“, wie man dies damals u. a. von Alexander Lernet-Holenia zu hören bekam, sondern macht den Mythos als eine menschliche Erfahrungsebene künstlerisch greifbar. Hans Leberts Verhältnis zur Welt ist ein differenziertes. Lebert selbst hat auf das „happy end“ des Romans aufmerksam gemacht. Der Heimkehrer Johann Unfreund leugnet nicht die Existenz Gottes, aber anerkennt dessen Unauffindbarkeit- „er wird den Vater niemals finden; doch er weiß auch: für den, der ihn sucht, bleibt der Vater lebendig“ (Lebert, 594). Hier - in Fragen der Theodizee - ist eine Querverbindung zu Heinrich von Kleist herzustellen, den Lebert überaus schätzte. Lebert zeigt einerseits - am Beispiel von Johann Unfreund - einen privatistischen Weg der Lebensbewältigung: es ist der Weg einer inneren Wandlung des Johann Unfreund, vom Nihilismus zu einem „fröhlichen Agnostizismus“, zu einem „existenziellen Optimismus“, wig Bruno Frei 1965 treffend schrieb.'? Dieser Weg bleibt jedoch ohne gesellschaftliche Ausstrahlung. Zugleich aber zeigt das Romanende - wohl in grimmig sarkastischer Weise — das ungerührte Weiterwirken, ja sogar den gesellschaftlichen Aufstieg des für die Verbrechen hauptverantwortlichen Täters namens Alois Habergeier. Leberts Position kann man daher als einen „gesellschaftlichen Pessimismus“ bezeichnen. Sein Protest speist sich aus einer religiös-philosophischen Quelle.!* Die Kritik nahm beim Erscheinen des Romans hauptsächlich die konkret zeitgeschichtliche Ebene wahr: denn auf dieser wurde bei Lebert mit der im Nachkriegsösterreich grassierenden Vertuschung der NS-Zeit grimmig abgerechnet, voller Wut, auch satirisch und sarkastisch. Dies war — endlich — eine neue künstlerische Stimme in der Literatur zu Beginn eines neuen Jahrzehnts. Gerhard Fritsch, der vier Jahre vorher paradigmatisch für die Atmosphäre der 50er Jahre - seinen elegischen, österreich-ideologischen Roman „Moos auf den Steinen“ veröffentlicht hatte und, wohl nicht zuletzt von Leberts Roman angetrieben, auf dem Weg zu seinem die Kontinuität faschistischen Bewußtseins thematisierenden Roman „Fasching“ (1967) war, schrieb damals: „Nach den großen, posthum entdeckten Dichtern vom Range Robert Musils und Hermann Brochs glaubt man die österreichische Literatur weitgehend rettungslos im Provinziellen verstrickt, biedere Steirerhüte, die manchmal nicht ernstzunehmend tölpeln und billingern, meist aber harmlos Süßholz raspeln und waggerln.“! Ein Literaturbetrieb herkömmlichen Stils, so Gerhard Fritsch, habe in Zeiten des „wirtschaftlichen Auftriebs“ nach dem Staatsvertrag zunehmend häufig 25 Haltungen befördert, die mit „provinzieller Indolenz, Selbstberühmen und Sumperei“ zu definieren seien: „War die Welt wirklich so heil oder so mystisch, wie sie einer Vielzahl österreichischer Lyriker und nicht nur einem Romancier schien? Die Literatur gingin vielen Hervorbringungen an den gesellschaftlichen Phänomenen der Zeit vorbei, weniger kritiklos als uninteressiert. Elegische Resignation, allzu früh und voreilig formuliert, Berufungen auf Erbe und Tradition bestimmten [...] das Bild.“'® Gerhard Fritsch ist ein verläßlicher Zeitzeuge. Seine Beobachtungen und Beurteilungen der österreichischen Nachkriegszeit und Literatur stimmen in vielem mit den Einschätzungen anderer wacher Zeitgenossen überein. Gerhard Rühm, Otto Basil, Elfriede Gerstl, Ingeborg Bachmann oder Milo Dor schrieben Ähnliches.” Die Mitverantwortung für diese bedenkliche geistige und literarische Situation nach 1945 hatten nicht zuletzt die ehemaligen Kulturträger des Ständestaates und des NS-Regimes. Spätestens seit 1948 gewannen diese Kräfte der Kontinuität größeren Einfluß und dominierten schließlich das kulturelle Klima bis in die 60er Jahre. In der Dankesrede zur Verleihung des GrillparzerPreises kam Lebert - noch 1992 - auf. diese Korrumpierten zu sprechen. "® So ist es kein Zufall, daß z. B. Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung“ (1948), ein Text, der in lyrischsymbolträchtiger Prosa die antisemitische Gewalt thematisiert, „nicht die geringste Sensation“ - erregte, ablesbar nicht zuletzt an der niedrigen Auflagenhöhe, während viele der noch im Jahr 1946 auf der republikanischen „Liste der gesperrten Autoren und Bücher“ stehenden Titel der nationalsozialistischen Kulturträger wie z. B. Karl Springenschmid, Mirko Jelusich, Bruno Brehm, Erwin H. Rainalter, Robert Hohlbaum, Friedrich Schreyvogl oder Heinrich Zillich Auflagen von bis zu 200.000 Stück erreichten. Fussenegger, Ginzkey, Grogger, Henz, Mell, Oberkofler, Waggerl oder Ziesel — ein bei Kremayr & Scheriau 1951 erschienener Roman aus dem Fundus der postnazistischen Entlastungsprodukte hieß paradigmatisch „Und was bleibt, ist der Mensch“? - waren keineswegs dis