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26 kreditiert, ja ihre Werke waren geschätzt und bestimmten entscheidend mit, was man unter österreichischer Literatur zu verstehen hatte. Die öffentlichen Anerkennungen und Ehrungen blieben nicht aus, wie sie schon zwischen 1933/1934 und 1945 nicht ausgeblieben waren. So konnte Milo Dor 1962 nicht zuletzt vom „schlechten Geschmack eines Publikums [sprechen], das noch immer an den Autoren des ruhmlos untergegangenen ‚tausendjährigen Reichs‘ mit rührender Liebe hängt und sich in Zweifelsfällen mit schlafwandlerischer Sicherheit für den Kitsch entscheidet“, und von den „Literaturprofessoren unserer Provinzen [reden], deren Horizont sich mit ihrem bevorzugten Kleidungsstück - der kurzen Lederhose - vollkommen deckt.“?! Dagegen stand Hans Lebert, der Gegenwartskritiker und Mythologe, der Weltskeptiker, der Agnostiker, der Unkorrumpierbare, der von seinen Imaginationen Angetriebene. Gerhard Fritsch sagte 1967 über „Die Wolfshaut“: „Diese Geschichte einer Verführung durch Schwäche, Bosheit und kollektiven Faschismus ist die vielleicht deutlichste Entlarvung des Provinziellen in und an Österreich.“ Bei Lebert mag es auch Esoterisches und zu ausgiebig Expressives geben, aber Lebert legt konsequent den Finger aufeine- jemals definierbare? - Dimension des Menschen, die „der moralischpolitische Diskurs gerne verdrängt.“ Aber gerade dies hält unsere Sensibilität wach und wird Hans Lebert auch zukünftig zu unserem Begleiter machen. Karl Müller, Universitätsdozent (Literaturwissenschafter) in Salzburg, hielt diesen Vortrag am 23. September 1993 im Cafe Lux, Wien. Anmerkungen 1 Hans Lebert: Die Wolfshaut. Roman. Mit einem Nachwort von Jürgen Egyptien. Wien, Zürich: Europaverlag 1991 (2. Aufl. 1993), S. TE. 2 Gerhard Fritsch: Hans Lebert: Die Wolfshaut. [Rezension]. In: Wort in der Zeit 1960, H. 10, S. 58. 3 Jürgen Egyptien: Kreuzfahrten durch den leeren Himmel. Hans Leberts ‚Wolfshaut‘ als transzendentales Logbuch. [Nachwort]. In: Hans Lebert: Die Wolfshaut 1991, S. 607. 4 Nach Jürgen Egyptien: Kreuzfahrten durch den leeren Himmel. [Nachwort], S. 625. 5 Heimito von Doderer: Bildnis eines Dorfes. In: Merkur 1961, H. 162 [nach: Pressestimmen zu Hans Leberts „Die Wolfshaut‘“/Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien]. 6 Elfriede Jelinek: Das Hundefell. In: Profil, 16. 9. 1991. 7 Vgl. auch: Jürgen Egyptien: Kreuzfahrten durch den leeren Himmel. [Nachwort], S. 619. 8 Hans Wolfschütz: Hans Lebert. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. edition text & kritik, Bd. 5, S. 3. 9 Vgl. auch: Jürgen Egyptien: Kreuzfahrten durch den leeren Himmel. [Nachwort], S. 614. 10 Nach: Gerhard Moser: Die Heimat als Brandruine. In: Lesezirkel Nr. 53, November 1991. Fritz Hochwälder hat in seinem Fernsehspiel „Der Himbeerpflücker“ (1964) ebenfalls eine Kriminalgeschichte geschrieben, die NS-Verbrechen entlarvt. Aber die mythische Dimension fehlt bei diesem Spiel. 11 Richard Reichensperger: Ich sche, daß wir nichts geworden sind. [Interview mit Hans Lebert]. In: Der Standard 24./25./26. Dezember 1991. 12 Hans Wolfschiitz: Hans Lebert. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. edition text & kritik, Bd. 5, S. 3. 13 Bruno Frei: Literaturbrief aus Wien. In: Neue Deutsche Literatur 1965, H.1, S. 163. 14 Vgl. Bruno Frei: Literaturbrief aus Wien. In: Neue Deutsche Literatur 1965, H. 1, S. 163. 15 Gerhard Fritsch: Dahintreibend in den Meeren des Herbstes. Zur Dichtung Hans Leberts. In: Wort in der Zeit 1961, H. 3., S. 9. 16 Gerhard Fritsch: Literatur. In: Aufforderung im Mißtrauen. Literatur, Bildende Kunst, Musik in Österreich seit 1945. Hg. von Otto Breicha und Gerhard Fritsch. Salzburg: Residenz Verlag 1967, S. 125. 17 Indem Sammelband „Aufforderung zum Mißtrauen“ (1967) meinte Gerhard Fritsch über die ersten 20 Nachkriegsjahre: „Das Jahr 1945 war für Österreich nicht nur das Jahr der äußeren Wiederherstellung, es war die Zeit eines großen Beginns mit geradezu unösterreichischen Hoffnungen und Erwartungen. Diese richteten sich auch und besonders auf das Kulturelle. [...] Daß der Schwung dieser austriakischen Renaissance bald erlosch, lag nicht nur an den Besatzungsmächten und an jenem nicht unwesentlichen Teil der österreichischen Bevölkerung, dessen Sentiment und Ressentiment zum _Nationalsozialismus geführt hatte oder durch ihn bestimmt worden war. Selbstbesinnung, Bedenken und ‚Bewältigen‘ der Vergangenheit wurden auch durch Schematismus und opportunistisch betonte Phraseologie in weiten Kreisen kalmiert und erstickt. Im Gegensatz zum sogenannten Altreich (gegen das unnötig und mit falschen Argumenten auf schnell eingerichteten rotweißroten Gemeinplätzen polemisiert wurde) etablierte sich das öffentliche und private Bewußtsein so schnell wie bequem im geistigen Gestern, in ladenhütenden Klischees, die sich im übrigen für den bald ausbrechenden Kalten Krieg recht verwendbar erweisen sollten.“ (S. 7). 18 Hans Lebert: Schiitzt Euer Land selbst! Dankesrede zur heutigen Verleihung des Grillparzer-Preises 1992. In: Forum. Kulturelle Freiheit, Politische Gleichheit, Solidarische Arbeit. XXXIX (15. Jänner 1992), Nr. 457, S. 1-2. 19 Hans Weigel: Es begann mit Ilse Aichinger. In: Protokolle 1966. 20 Kurt Ziesel: Und was bleibt, ist der Mensch. Roman. Wien: Kremayr & Scheriau 1951. 21 Milo Dor: Dieses Buch ist eine Kriegserklärung. In: Die Verbannten. Eine Anthologie. Hg. von Milo Dor. Graz: Stiasny Verlag 1962, S. 6. 22 Gerhard Fritsch: Literatur. In: Aufforderung zum Mißtrauen 1967, S. 127 23 Andreas Breitenbach: Mythologe und Aufklärer. Zum Tod des Schriftstellers Hans Lebert. In: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe Nr. 195, 25.8.1993: „Indem er sein liess, was nicht sein durfte, vermochte er sich auf das Böse einzulassen — und damit eine Dimension des Menschlichen zu erschliessen, die der moralisch-politische Diskurs gerne verdrängt.“ N Foto: Karin Unger Hans Lebert, geboren 1919 in Wien, Neffe Alban Bergs; begann mit 17 Jahren zu schreiben, widmete sich dann dem Gesangsstudium und trat 1938 bis 1950 vor allem als Wagner-Sänger an in- und ausländischen Bühnen auf. 1941 Anklage wegen Zersetzung der Wehrkraft; entzog sich, nach dreimonatiger Untersuchungshaft, durch Vortäuschung einer psychischen Krankheit der Einberufung. Verbrachte die letzten Kriegsjahre in den steirischen Bergen. Seit 1965 lebte H.L. zurückgezogen in Baden bei Wien; er starb am 20. August 1993. Abdruck der Rede Leberts aus: FORVM Nr. 457, Wien, 15. Jänner 1992.