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Hans Lebert Dem Gebot der Höflichkeit gehorchend, danke ich für die Zuerkennung des Grillparzer-Preises der Stiftung F.V.S. zu Hamburg. Jedoch habe ich Auskunft darüber zu geben, warum ich diesen Preis überhaupt angenommen habe, denn wie wir wissen, handelt es sich hier nicht um eine österreichische, sondern um eine deutsche Auszeichnung, die ich, wenngleich ich in deutscher Sprache schreibe, eigentlich nicht verdient habe. Hier über Franz Grillparzer zu sprechen, halte ich für abgeschmackt, denn über ihn haben bereits klügere Leute als ich genügend geschrieben oder geredet (Gutes und Schlechtes). Für mich ist Franz Grillparzer nach Marie v. EbnerEschenbach der größte österreichische Dichter seiner Zeit und ich bezeuge seinem Werk meinen vollsten Respekt. Die Pikanterie, daß ein deutscher Preis just den Namen eines österreichischen Klassikers trägt, zwingt mich aber, darüber nachzudenken, was hiermit bezweckt wird, ebenso die Absurdität, daß eine Stiftung, die sich schon seit ihrer Gründung im Jahre 1931 für die Verbreitung großdeutschen Gedankengutes stark gemacht hat, ausgerechnet mich, einen österreichischen Patrioten und Antifaschisten mit besagtem Preis ehrt. Der unvergessene zweite Bundeskanzler unserer Zweiten Republik, Ing. Julius Raab, brachte einmal mit folgenden gewichtigen Worten die Sache auf den Punkt: „Deutsch ist unsere Muttersprache —- Österreich ist unser Vaterland.“ Wenn sich jedoch das von Raab angesprochene Vaterland innerhalb immer noch völkerrechtskräftiger Grenzen befindet und sich dessen Bewohner in ihrer Mehrheit schon längst als selbständige Nation verstehen, so ist seine die Grenzen überschreitende Hochsprache auch dann noch seine eigene, wenn in einem benachbarten Staat dieselbe Hochsprache gesprochen wird. Man sagt, wenn A gleich B ist, so ist logischerweise B gleich A. Wenn aber zwei souveräne Staaten nebeneinander ihr Eigenleben führen, so verliert besagte Formel ihre Gültigkeit. Sie können gute Nachbarn sein, sie können miteinander Handel treiben, auch kulturellen Austausch pflegen, ja sie können sogar Sympathie füreinander empfinden, doch wehe, wenn gewisse Kreise (z.B. im Bildungs- und Unterrichtswesen) in diesen Nationen vergessen, daß sie zwei sind und nicht ein- und dasselbe. Die Amerikaner beispielsweise sprechen Englisch, doch keinem würde es einfallen, sich für einen Engländer zu halten, die deutschsprachigen Schweizer sprechen Deutsch, aber keinem von ihnen käme es in den Sinn, sich als Deutsche zu bezeichnen. Und kein Deutscher würde es sich gefallen lassen, als Österreicher apostrophiert zu werden, und ließe es sich schon gar nicht gefallen, wenn sein Staat plötzlich Österreich genannt würde. Wie schon gesagt, ich bin Patriot, ein sehr kritischer Patriot, und gerade als solcher kehre ich zunächst vor der eigenen Tür. Jedoch ich distanziere mich auf das allerschärfste von jenen österreichischen Autoren, die ihr Vaterland beschimpfen und lächerlich machen, um im Ausland dafür Applaus zu ernten. Solche Autoren bereiten eine Kolonisation vor. Wie das vor sich geht, ist bekannt: Zuerst Kommen die Missionare und verändern das Weltbild, dann kommen die Kaufleute und korrumpieren die Stammeshäuptlinge durch mehr oder weniger kostbare Geschenke, und schließlich kommen die Annexionstruppen und hissen die fremde Fahne. Ich habe viele bittere Tage erlebt, jedoch der bitterste war derjenige im März 1938, als es hieß, Österreich habe aufgehört zu existieren. Und damals habe ich mir versprochen, nichts - auch nicht das Geringste für das sogenannte Dritte Reich und dessen gewalttätiges Regime zu tun. Andere österreichische Autoren (und ich zitiere jetzt nur solche, die von der Stiftung ebenfalls ausgezeichnet wurden) haben dieses haarsträubende Ereignis völlig anders empfunden, zum Beispiel so: 27 Gewaltiger Mann, wie können wir Dir danken! Wenn wir von nun an eins sind, ohne Wanken Oder so: Betend wallt’ ihm entgegen freudeweinendes Volk, sich selbst als Gabe zu bringen, gewillt zu größtem Bekenntnis. Sollte der Preis unter Respektierung der Grenze, die zwischen zwei autonomen Staaten und zwei ähnlichen und doch verschiedenen Nationen verläuft, lediglich der Sprachkunst dienen, um welche ich immer bemüht war, dann habe ich die großzügige Ehrung vom Ausland als anderer Ausländer, als der ich mich verstanden wissen möchte, empfangen. Sollten Sie jedoch meine Person, mein Leben, meine Gesinnung ausgezeichnet haben, so ist Ihnen leider das Mißgeschick widerfahren, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben, und das investierte Geld ist dahin. Denn ich war von jeher ein Feind des sogenannten Dritten Reiches und bin noch heute der Feind derjenigen, die diesem Reich wie einem goldenen Zeitalter nachträumen oder gar nachtrauern. „Österreich hat aufgehört zu existieren.“ Diese Worte haben sich mir für alle Zeit als Brandmal eingeprägt. Ebenso der Schluß jener kurzen Rede, mit der sich der letzte Bundeskanzler der Ersten Republik, der glücklose Dr. Kurt Schuschnigg, offenbar bereits in Todesangst , von seinem Volk verabschiedete: „Und so schließe ich mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich.“ Gott hat Österreich nicht geschützt, das deutsche Wort blieb ungehört oder wurde mißverstanden. Ich beschwöre Euch daher, habt Selbstvertrauen! Schützt Eurer Land selbst! * Anmerkung von Hans Lebert: Dr. Kurt Schuschnigg sagte am Anfang seiner kurzen Abschiedsrede, die Regierung habe der Wehrmacht befohlen, möglichst geringen (da unterbrach er sich, offenbar von hinten gestoßen) keinen Widerstand zu leisten, um kein deutsches Blut zu vergießen. Wieso eigentlich ausgerechnet besonders kein deutsches Blut? Bismarck war 1866 nicht so zimperlich, offenbar betrachtete er Blut ganz einfach als Blut, und Blut ist ja in der Tat etwas, das keine Nationalität hat.