OCR
ren. Wenn sie beispielsweise die KZMuseumskultur kritisiert, die „vom Gegenstand weg“ zur „Sentimentalität“, zur „Selbstbespiegelung der Gefühle“ verleitet, oder wenn sie lapidar und ohne großes intellektuelles Pathos der Forderung „Adornos und co“, „man möge über, von und nach Auschwitz keine Gedichte schreiben“, widerspricht, indem sie bemerkt: „Die Forderung muß von solchen stammen, die die gebundene Sprache entbehren können, weil sie diese nie gebraucht, verwendet haben, um sich seelisch über Wasser zu halten“... „Ich hab den Verstand nicht verloren, ich hab Reime gemacht.“ Kaum zwölfjährig hatte sie prophezeit: Keiner ist mir noch entronnen, Keinen, keinen werd ich schonen. Und die mich gebaut als Grab. Schling ich selbst zuletzt hinab. Auschwitz liegt in meiner Hand. Alles, alles wird verbrannt. weiter leben, durchwegs in lockerem, unpathetischem Erzählton geschrieben, läßt in seiner Illusionslosigkeit die LeserInnen verstört und irritiert zurückläßt. Denn die Wahrheit über jene, die in den Lagern lebten, ist so komplex, daß sie oft überhaupt nur in Gegensätzen, in Brüchen mitgeteilt werden kann: „Ich hab“, schreibt Ruth Klüger, „Theresienstadt irgendwie geliebt“, ... es „hat ein soziales Wesen aus mir gemacht“, um gleich danach fortzufahren: „ich habe Theresienstadt gehaßt, ein Sumpf, eine Jauche“, um schließlich festzustellen: „Ich bin dorthin zurückgegangen und es ist wieder gewöhnlich geworden.“ Gewöhnlich geworden ist indessen nur der Ort. Zurückgeblieben ist die Todesangst, die „schlimmste Kinderkrankheit“, die sich später, in den USA, in „Todesversuchung und Depression“ verwandelt. Vater, Großmutter und Stiefbruder sind ermordet worden. „Sie alle wurden zu Gespenstern ... Weil der Tod so plötzlich kam und nichts dazwischen ist“. Auch mitihnen muß sie weiter.leben. Heute, da man in Deutschland tatenlos zusieht, wie Flüchtlingsheime in Brand gesetzt werden, wird das Credo von Ruth Klügers „deutschem Buch“ zugleich zur einzig angemessenen politischen Botschaft: „Nur an meinen Unversöhnlichkeiten erkenn ich mich, an denen halt ich mich fest.“ Ruth Klüger: weiter leben. Eine Jugend. Göttingen: Wallstein 1993. 286 S. 29 Agnes Hörtler Kanone und Papier! Vorm Almhaus ein Rundblick ins Aichfeld. Im Tiefgrün ein Schnittpunkt ist Zeltweg. Am Berghang ein Schloßbau mit Rundturm als Windfang. Vom Tauern der Pölsfluß ist kohlschwarz mit Weißschaum. Der Holzsteg ist uralt, wie Fabrik am Bachbett. Die Bahnweiche, Maulwurf, ist High Tech. Im Murwald der Murfluß ist eiskalt und glasklar. Auf Jochen die Brücke, aus Lärche, hat Tradition. Klänge vom Sinnen im Schneefall an Quelle und Delta. Ein Erbprinz bewohnt längs das Seeschloß zu Authal. Der Südwind von Obdach bei Schneematsch ist ungut. Mur ist See, dringt in Keller, verdirbt Frucht. Ab Winter 1944, der Kriegslärm gefahrvoll. Bei Glatteis und Eiswind mit Briefpost in Neufisching. Im Feber auch Bomben auf Brücke; nun Tote, Verletzte, Obdachlose! Der Horizont ist rostrot vom Ziegelstaub. Morgens, Sonne sticht die Ruinen aus Nebeln. Selbst bei Sonne gefrieren Bäume an Ufern. Im Murwald ist Exekution, Regimehaß Gefangner! Im Linder Wald Verrat, Tod der Opposition! Abtransport von Siechen, Behinderten. Zwölfmal die pfeifenden Bomben, mit Toten in Kellern. Statt Schatzberg ein Schädelberg! Der Himmel mit Wolken ohne Gnade. Im April des Nachts, die Offiziere aus England da. Tags drauf erschießt Waffen-SS Kämpfer der Ostfront! Die Fahnen aus Hellrot verbrennen, wie Rußland! Die Vögel beim Lesen, was Wind schrieb am Wasser. Die Russen mit Panzern in Trümmern, Magazin ohne Ware. Notzucht, und Schüsse Gefangner; die Fabrik nun steht. Still die deutsche Kanone, zersägt, fällt in Pölsbach. Ein Karren mit Hitlerkopf, er rollt rasch zur Presse. Bei Erbsen und Käse nun Schutträumung! Die Brücke ist Band, Dobroe utro und Morning! Per I-Ausweis nach Weißkirchen auf Glas Met! Zum Maien ist Friede, im Kirchraum das Marienlied. Im Juni am Bergkamm noch Neuschnee. Die Maschinen in Arbeit mit Volldampf. Das Volk feiert, Steiermark ist England! Am Flugplatz ist Tanz, Buffet, Damenwahl! Flüchtige, Heimkehrer, NS-Opfer, sie träumen Künftiges. Hinter hellblauen Wolken Lächelndes. Fakten teils aus 125 Jahre Eisenbahnsysteme in Zeltweg 1866 bis 1991 Wien, 11.7.1993