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Aber dann war die Tschechoslowakei kein „Bruderland“ mehr. Die Kontingente wurden abgezogen. Minh und Carmen hätten einander nie wiedergesehen. Zuerst floh er nach Österreich, kam gut herüber, stellte den Asylantrag und wurde in „Bundesbetreuung“ genommen. Er schrieb ihr, daß sie nachkommen solle. Der Brief wurde abgefangen; der Kontingentführer las ihn dem Kollektiv vor, beschimpfte sie, drohte ihr mit Gefängnis. Sie floh. Beim Grenzübertritt wurde sie von den österreichischen Zöllnern ertappt. Drei Monate Schubhaft, obwohl sie versuchte, einen Asylantrag zu stellen, obwohl Minh in Bundesbetreuung war und seine Pensionswirtin einen Brief schrieb, daß bei ihr auch für Carmen noch Platz sei. Nach drei Monaten (länger durfte die Schubhaft nicht erstreckt werden, heute sind es schon sechs Monate!) wurde Carmen entlassen, mit keinem gültigen Papier außer dem Aufenthaltsverbot. Zufällig kam sie in meine Beratungsstelle. Ich schrieb eine Berufung und einen neuen Asylantrag. Mit zehn Asylwerbern aus Vietnam wartete sie in der evangelischen Kirche von Traiskirchen - erst als es mir gelang, das Fernsehen hinzubringen, ließ man sie ins Flüchtlingslager hinein. Und danach zu Minh, in die Pension. Ihr Asylantrag wurde, wie immer, in erster Instanz abgelehnt. Ich schrieb die Berufung, schließlich wurde Carmen als Flüchtling anerkannt. Ein Happy end: Carmen und Minh heirateten, fanden eine Wohnung. Ein kleiner Sieg im Kampf mit der Behörde; ein Sieg, der damals noch möglich war. Kein Fluchtgrund: Folter - Frau T. und ihre Kinder Inzwischen wurden die Gesetze verschärft. Der Flughafen-Sozialdienst hat keinen Zutritt zum Transitraum mehr. Die berüchtigte „Drittlandklausel“ wurde Gesetz: Kein Asyl erhält, wer „bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war“ (§ 2 Abs.2 Z.3). Frau T. kam im Dezember 1992 mit ihren vier Kindern aus der Türkei nach Wien. Sie ist Kurdin. Ihr Mann lebt schon seit zwei Jahren als Gastarbeiter in Wien. Der Schwager, Aktivist einer Widerstandsgruppe, wurde verhaftet und gefoltert. Polizisten führten ihn durchs Dorf; er mußte zeigen, wo Verwandte von Widerstandskämpfern wohnten. Frau T. wurde dreimal verhaftet, verhört, bewußtlosgeschlagen, mit dem Umbringen der Kinder bedroht. „Früher wohnten hier Armenier“, sagte der Polizeioffizier, „ihr wißt, was mit ihnen geschah.“ Frau T. hat das Vieh und ihren Besitz verkauft, um den Schlepper zu bezahlen. In einem Bus versteckt, fuhr sie mit den Kindern in 28 Stunden nach Wien. Ich stellte für sie einen Asylantrag. Er wurde in erster Instanz sofort abgelehnt: Sie hätte in Ungarn aussteigen und einen Asylantrag stellen können. Dort wäre sie sicher gewesen! In der Berufungsschrift legte ich viele Beweise dafür vor, daß Ungarn nicht sicher sei. Ungarn hat die Flüchtlingskonvention nur mit regionalem Vorbehalt unterschrieben, das heißt: nur für Flüchtlinge aus europäischen Staaten! Flüchtlinge aus der Dritten Welt werden in das berüchtigte „Deportation Camp“ Kerepestarcsa gesperrt und turnusweise in die Herkunftsländer abgeschoben. Frau T. und ihre Kinder wurden natürlich nicht in die „Bundesbetreuung“ übernommen. Wir haben sie in der ehemaligen Wielandschule in Wien untergebracht. Dort wohnt die Familie zu sechst in einem Zimmer. Die zwei älteren Kinder gehen in Favoriten zur Schule. Das große Mädchen spricht schon recht gut Deutsch. Die Lehrerin kümmert sich um die Familie, sammelt Kleider und Geld, hat einen Kühlschrank aufgetrieben. Das ist das andere, das solidarische Wien. Zuversichtlich war eine sozialistische Abgeordnete, die ich bat, für Frau T. und ihre Kinder im Innenministerium zu intervenieren. Doch hatte sie keinen Erfolg. In dem Bescheid, der meine Berufung abwies, kommt das „Drittland“ Ungarn nicht mehr vor. Die Beamten des Ministeriums haben sich nun eine bessere Begründung ausgedacht: Wenn Frau T. von der türkischen Polizei „bewußt geschlagen“ wurde, so „aber zahlte, blieben, Bailer zufolge, gering, selbst wenn die gesamte Geldsumme, deren sich offizielle Stellen immer wieder riihmen, eine sehr hohe war. Die Autorin widmet ihre „Arbeit allen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung, den Männern und Frauen des österreichischen Widerstandes, insbesondere aber der Abgeordneten a.D. Rosa Jochmann, die unermüdlich für die Anliegen und Wünsche der Opfer eintrat, ungeachtet tagespolitischer Opportunitäten oder Anfeindungen“. Ihre tiefempfundene Solidarität mit den Opfern ist in jeder Zeile spürbar und hat sie veranlaßt, „die Mängel und Mißstände im Bereich der Opferfürsorge klar und deutlich herauszuarbeiten“. Genauso wie sie die positive Grundeinstellung des Gesetzes an sich würdigt, kritisiert sie die Unwilligkeit der Beamten und der Bürokratie, die die praktische Erledigung der Anträge oft erschwerte. Das Buch ist der bisher wichtigste wissenschaftliche Beitrag zum gestellten Thema, auch wenn die Autorin nicht alle verfügbaren Quellen, etwa aus dem Bereich der jüdischen Organisationen, verwertete, was Raum für weitere in Zukunft notwendige Untersuchungen läßt. Evelyn Adunka Brigitte Bailer: Wiedergutmachung kein Thema. Österreich und die Opfer des Nationalsozialismus. Wien: Löcker Verlag 1993. 309 S., 6S 380,Uber Gertrud Kolmar spricht die österreichische Lyrikerin Waltraud Seidlihofer im Salzburger Literaturhaus Eizenbergerhof am 31. Jänner 1994, 20 Uhr (in einer Veranstaltungsreihe des „Vereins Autoren und Leser“). Die Österreichische Nationalbibliothek zeigte vom 24.9, — 15.11. 1993 eine von dem Nachlaßbetreuer Volker Kaukoreit zusammengestellte Erich FriedAusstellung. U.a. wurde demonstriert, in welcher Weise der sehr umfangreiche Fried-Nachlaß aufgearbeitet wird. Der Nachlaß erschließt Zugänge zu Fried selbst und vielen seiner Zeit- und Exilgenossen.