Rosanna Vitale
Die Exilschriftstellerin Paula Ludwig
In einem unveröffentlichen Brief an Wilhelm Sternfeld vom 14.3. 1961 faßt die
in Österreich geborene Dichterin Paula Ludwig ihren Werdegang in einigen
Worten zusammen und weist auf die Problematik ihrer Exilzeit hin:
In der Emigrantenliteratur konnte ich niemals einen Platz einnehmen - da ich
weder englisch noch französisch und auch nicht portugiesisch gelernt habe. Leider.
In dem von Sternfeld beilgelegten Fragebogen für sein geplantes Buch gab sie
weiters an:
Leider gab es im Ausland keine Möglichkeit - meine Schriften erscheinen zu
lassen. Um mich hat sich niemand gekümmert. Mit meiner Malerei mußte ich mein
Leben fristen.!
Das Sprach- und Publikationsproblem teilte sie mit den meisten exilierten
SchriftstellerInnen. Intellektuelle wie Erika und Klaus Mann, die mit Paula
Ludwig befreundet waren und in Englisch schreiben lernten, waren Ausnahmen.
Die zweite Aussage erscheint mir aufschlußreicher für das Leben Paula Ludwigs
zu sein. Immer wieder beklagte sie sich, daß sie allein gelassen wurde. Sie sah
sich als „vergessene Autorin“. Das ist einmal sicherlich auf die schweren Zeiten
zurückzuführen, in denen die Dichterin lebte. Das allein reicht jedoch nicht zur
Klärung aus. Obwohl sie viele „Prominente“ kannte und bereits in den 20er
Jahren eine anerkannte Dichterin war, hat ihre Einsamkeit mit ihrer besonderen
Lebensgeschichte sowie mit ihrer Lebenseinstellung zu tun.
Paula Ludwig wurde in Voralberg am 5. Januar 1900 geboren”. Ihr Vater Paul
chen und Störschneiderin. Ihr Vater war ein überzeugter Sozialist, was ihm auch
Probleme mit der Polizei einbrachte, und ein Träumer, dem es schwer fiel, an
einen Ort gebunden zu sein. Er hatte eine „Wanderseele“. Er wollte seine drei
Kinder - Marthe, Paula und Alfred - zu freien sozialistischen Menschen erzie¬
hen, die Mutter hingegen zu Katholiken. Als Paula 14 Jahre alt war, zog sie mit
ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Linz und der Vater mit Marthe zurück nach
Breslau, nachdem sich die Eltern nach Jahren unharmonischer Ehe scheiden
ließen. Dies war vermutlich die Schlüsselerfahrung, wo sie das Gefühl des
„Verlassenseins“ stark entwikelte. War die finanzielle Situation der Familie
schon immer prekär, so trat die Armut nun noch stärker ins Lebens der jungen
Paula, die, anstatt ihrer literarischen Begabung folgen zu können, eine Berufs¬
schule besuchen mußte. Wenn die Arbeit und ihre krankgewordene Mutter ihr
Zeit ließen, verfaßte sie Gedichte oder las die deutschen Klassiker. Noch im
gleichen Jahr zog sie nach Breslau, wo sie als Dienstmädchen arbeitete, aber
gleichzeitig besuchte sie die Breslauer Dichterschule, entgegen der Legende von
der spontanen und unausgebildeten Dichterin. In der Dichterschule kam sie das
erste Mal mit anderen jungen Schriftstellern aus dem Boh&me-Milieu in Berüh¬
rung. Sie fing an, ihr Geld als Malermodell zu verdienen. 1917 bekam sie ihren
Sohn Siegfried, genannt Friedel. Der Vater, ein preußischer Offizier, Walter
Rose, heiratete sie nicht. Mitihrem Kind zog Paula Ludwig im gleichen Jahr nach
München, wo sie anerkannte Schriftsteller und Intellektuelle kennenlernte, wie
Else Lasker-Schiiler — als deren „jüngste Schwester“ Paula Ludwig auch be¬
zeichnet wurde, sowie Erika und Klaus Mann. Ihre treueste Freundin wurde
Nina Engelhardt, die spätere Frau von Magnus Hennings, dem Pianisten des
Kabaretts „Die Pfeffermühle“ von Erika Mann.
In München veröffentlichte sie mit 19 Jahren im Roland Verlag ihren ersten
Gedichtband, „Die selige Spur“. Um Liebe, Einsamkeit, Enttäuschung ¬
grundlegende Erfahrungen aus ihrer Kindheit - zentriert sich ihre Lyrik. Die
Gedichte sind meistens sehr kurz und schildern eine Situation oder.einen Ge¬
fühlszustand. Manche sind an jemanden adressiert oder enthalten direkt auto¬
biographische Züge.
Hermann Kasack, der das Vorwort zu dem Gedichtband verfaßt hatte, schrieb
1927, als der zweite Gedichtband „Der himmlische Spiegel“* herauskam:
Paula Ludwig (1900 - 1974), geboren in
Altenstadt (heute ein Stadtteil von Feld¬
kirch), Vorarlberg. Nach ihrem Vater
Paul hatte sie die deutsche Staatsbürger¬
schaft. Nach der Trennung der Eltern
wohnte sie ab 1909 bei ihrer Mutter in
Linz, wo sie die Volksschule besuchte.
1914 (Tod der Mutter) zog sie zu ihrem
Vater nach Breslau, Schlesien. Dort ar¬
beitete sie als Dienstmädchen, besuchte
eine Berufsschule und gleichzeitig die
Breslauer Dichterschule. Nach der
Geburt ihres Sohnes übersiedelte sie
nach München, wo sie ihren ersten
Gedichtband „Die selige Spur“ veröf¬
fentlichte. Ihren Lebensunterhalt ver¬
dient sie als Malmodell, Souffleuse und
Statistin in den Kammerspielen und
beginnt selbst Aquarelle zu malen. 1923¬
1933 Berlin; sie lernt viele Schriftsteller
und Intellektuelle kennen, Tucholsky,
Brecht, Döblin, Benn, Ringelnatz, Zuck¬
mayer u.a, als „arme Schriftstellerin“
lebte sie vom Verkauf ihrer Aquarelle.
1930 begann ihre Beziehung zu Iwan
Goll, dem sie ihren Lyrikband „Dem
dunklen Gott“ widmete. 1934 Übersied¬
Freundin Nina Engelhardt. Im März
1938 Flucht über die Schweiz nach Paris.
Kurz vor dem Einmarsch der deutschen
Armee schwer erkrankt, gelangte sie
nach kurzem Aufenthalt im Internie¬