Motiven“ vor. War es doch wie kein
anderes für eine Lesung zu dem Thema
„Herbst 1938“ geeignet, da es in den
Herbstmonaten 1938 teils in unserer
Stadt Brünn, teils in einem Grenzdörf¬
chen des Sudetenlandes spielt: In einer
Brünner Zeitungsredaktion, wo der
Held des Dramas, ein junger, etwas
naiver jüdischer Redakteur aus reichem
Hause, gerade eingelangte Kurzmel¬
dungen liest, schneidet, klebt oder in
den Papierkorb wirft. Gleichzeitig
meldet die Stimme einer Radioansage¬
rin, daß etwa sechzig tschechische Fa¬
schisten versucht hätten, in Olmütz eine
Kaserne zu besetzen. - Unser junger
Redakteur stutzt plötzlich über eine
Zeitungsnotiz: „... Da ist schon wieder
so ein Selbstmord. »Selbstmord aus un¬
bekannten Motiven ...«... Dasistschon
der dritte Selbstmord in diesem Nest.“
Trotz eindringlicher Warnungen seiner
Kollegen begibt er sich in das abgelege¬
ne Dorf, um sich an Ort und Stelle mit
den Verhältnissen vertraut zu machen
und nach Möglichkeit zu helfen. Er ist
von der Verelendung tief betroffen, faßt
Zuneigung zu einem armen Mädchen,
der Tochter eines jener Selbstmörder,
fällt in seiner Unerfahrenheit der gerade
in den Ort einrückenden deutschen
Wehrmacht in die Hände, wird Zeuge
brutalster Behandlung eines Arbeiters,
der einen Streik angeführt haben soll,
muß selbst als Jude schwerste Erniedri¬
gungen erdulden und kann schließlich
mit Hilfe des Mädchens zurück nach
Brünn entkommen. Während im
„Großdeutschen Reich“ die Synagogen
brennen, Juden gejagt werden, schließt
er sich einem illegalen Transport nach
Palästina an. Das Mädchen, obwohl
nicht jüdisch, begleitet ihn.
Ein Nachspiel führt uns zehn Jahre
später in den Büroraum des jüdischen
Suchdienstes in Jerusalem. Die Mutter
des jungen Redakteurs erfährt vom tra¬
gischen Schicksal ihres Sohnes und
seiner Freundin. Es war die Donau hin¬
unter zum Schwarzen Meer gegangen,
und weiter durch den Bosporus, das
Marmara-Meer bis nach Rhodos. Dort
wurde der Transport auf hoher See in
einer stürmischen Nacht auf ein altes
griechisches Schiff, das ihn nach Palästi¬
na bringen sollte, umgeladen. Man
mußte vorsichtig sein, von den Englän¬
dern nicht abgefangen zu werden.
Deren Schiffe patrouillierten im Mittel¬
meer, und überall in den Häfen hatten
sie ihre Spitzel und Informanten. Bei der
Umbootung ertranken der Redakteur
und seine Freundin. So wurden sie
knapp vor dem Erreichen ihres Ziels im
schicksalhaften Herbst 1938 Opfer einer
kurzsichtigen Politik.
Über Dora Müller, Kulturreferentin des
Deutschen Kulturverbandes Region
Brünn, vergleiche MdZ Nr.2/1993, S.27f.
Von Meir Marcell Faerber, verstorben
am 17. August 1993 in Tel Aviv, erschie¬
nen in MdZ der autobiographische
Bericht „Was ich sagen wollte...
(Nr.1/1992, 7-9) und eine Information
über den „Verband deutschsprachiger
Schriftsteller in Israel“ (Nr.4/1992,
S.18f.). Der Klagenfurter Alekto Verlag
wird, in der Reihe „Mnemosyne-Schrif¬
ten“ Faerbers von ihm selbst noch fertig¬
gestelltes Werk „Österreichische Juden.
Historische Streiflichter“ im Frühjahr
1994 herausbringen. Faerbers Drama
„Aus unbekannten Motiven“ ist 1991 als
Band 1 der „Mnemosyne-Schriften“ er¬
schienen.
Zu den nach wie vor lesenswerten und
aufschluBreichen Einblicken in eine von
„lag zu Tag grauenhaftere“ Zeit zählen
die Briefe F. T. Csokors aus den Jahren
1933 bis 1946, Briefe an Freunde und
Weggefährten, allen voran Ödön von
Horväth, Ferdinand Bruckner und Lina
Loos. „Teils nach Originaltexten, teils
rekonstruiert...“ wie der Autor im
Vorwort freimütig einbekennt, hat
Csokor diesen Bestand erstmals 1964
unter dem bezeichnenden Titel „Zeuge
einer Zeit“ vorgelegt. Nach dem Erin¬
nerungsband Auf fremden Straßen
(1955) bildeten diese Briefe einen wich¬
tigen Baustein in der Auseinanderset¬
zung mit der stickigen Atmosphäre des
Austrofaschismus und mit der Exiler¬
fahrung, und zwar zu einem Zeitpunkt,
als diese in Österreich ausgesprochene
Tabuthemen waren. Dem Ephelant¬
Verlag und seinem Leiter FR. Reiter
verdanken wir nun einen Reprint dieses
Briefbestandes, ergänzt um eine eben¬
falls unveränderte (dritte) Neuauflage
des Exillyrik-Zyklus „Das schwarze
Schiff“, dessen erste beiden Auflagen
1945 bzw. 1947 im Verlag von Willy
Verkauf erschienen sind. Wir können
wieder nachlesen, wie der mitunter als
Bonvivant und als behäbig gehandelte
Csokor — Hermann Hakel hat ihn be¬
kanntlich als ‚Bernhardiner‘ mit Wolfs¬
gelüsten karikiert - die Zeichen der Zeit
erkannt und in visionärer oder illusions¬
loser Perspektivik kommentiert hatte.
Nach der Uraufführung von Bruckners
„Rasssen“ am 30.11. 1933 schrieb er u.a.
an Horväth, künftig werde man „nicht
so billig davon [kommen] mit einer Aus¬
reise nach Palästina...“, und in der
Schweiz werde es nur „die erste Zu¬
flucht geben, ehe wir uns über die Welt
zerstreuen...“ (37). Daß literarisches
Arbeiten ab 1933 hieß, sich völlig verän¬
derten Bedingungen und Aufgaben
stellen zu müssen, ist zudem eine der
Achsen, um die die Briefe kreisen,
Briefe, die sich als Plädoyers für die sub¬
versive Kraft der Literatur verstehen.
„Wir leben heute keiner mehr privat für
uns, aber wir haben das gerade jetzt, was
wir uns insgeheim schon immer wünsch¬
ten: Durch unsere Arbeit wollen wir
helfen, die Welt wieder ins rechte Lot zu
bringen! Und dort, wo wir das tun
dürfen, dort wird auch künftig unsere
Heimat sein!“ (25.3. 1938; 169) Der
emphatische Gestus, der manches Vor¬
haben begleitet, im Kontrast zu den
eher knappen Antworten Horväthsz.B.,
mag heute befremden. Dazu zählen Pro¬
jekte wie eine „fliegende österreichi¬
sche Universität der freien Wissenschaf¬
ten“ (179) unter dem Protektorat von
Werfel, Polgar und Thomas Mann un¬
mittelbar nach dem Anschluß, Projekte,
die im Hinblick auf die realen Gegeben¬
heiten nach 1938 als Ausdruck bitteren
Aufbäumens zu sehen sind. Stellt man
freilich Csokors geradezu manisches
Vertrauen in die Kraft des Geistes in
jenen Jahren in Rechnung, auch noch
1939/40, dann klingen Projekte wie
dieses so abwegig nicht. Zu bedenken ist
freilich auch: der reale Quellenwert der
Briefe läßt sich bedauerlicherweise
nach wie vor nicht genau bestimmen;
manches ist später dazugekommen, um¬
gewichtet worden und stimmt mit den