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17. September 1933. „Wiener Konferenz“ im großen Saal der Bildungszentrale der Partei. Bauer referiert über die Lage. Gereizte Stimmung. Die Übergriffe der Regierung sind immer dreister geworden. Bauers Rede wird durch erregte Zwischenrufe unterbrochen: „Schluß mit der Verzögerungstaktik. Es ist fünf nach zwölf.“ Bauer kann sich dem stürmischen Drängen nicht erwehren, ruft beschwörend in den Saal: „Genossen, ich wäre der erste, der den Befehl zum Widerstand gibt, wenn wir Kanonen hätten!“ Ein Sturm der Entrüstung bricht los. Die Proteste konzentrieren sich in der Formel: „Daß wir keine Kanonen haben, wissen wir schon seit 1918. Wozu also das ganze Theater mit Schutzbund und Linzer Programm? Dieses Eingeständnis bedeutet die Bankrotterklärung der bisherigen Politik!“ Die Versammlung teilt sich in zwei ungleiche Lager. Rufe: „Abstimmen über den Beginn des Kampfes! Sofortige Abstimmung!“ Bauer und einige andere schreien: „Darüber entscheidet ausschließlich die Parteiexekutive und:sonst niemand.“ — „Dann haben wir hier nichts mehr verloren!“ brüllen die anderen und verlassen, die Internationale singend, den Saal. Mit ihnen Heinz Roscher und Karl Brenner. 11. Februar 1934. Geheimsitzung der Schutzbundführer von Floridsdorf, einberufen von Heinz Roscher. Eingeladen ist auch die politische Führung des Bezirks (Weber und Jonas). Brenner bringt die Nachricht, daß sie eine Teilnahme abgelehnt haben. Roscher: „Es wird ihnen auch nichts helfen.“ Dann gibt er bekannt, daß Emil Fey (Heimwehrführer und Vizekanzler) am Nachmittag bei einer Feier an einem Kriegerdenkmal in Langenzersdorf gesagt hat: „Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten.“ In die eingetretene Sülle ruft Roscher: „Es geht los, Genossen. Heute nacht müssen die Waffen überall aus den Verstecken heraus. Befehlszentrale ist die Tramwayremise.“ — „Und was ist mit der Bezirksleitung?“ - „Die haben zwar von der Idee gelebt, wollen aber für die Idee nicht sterben.“ Die Anwesenden gehen nacheinander einzeln weg. 12. Februar 1934. Karl Brenner kommt aufgeregt nach Hause. Die Stadt ist voll von Gerüchten. In Linz soll bereits gekämpft werden. Die Tramway steht, es gibt keinen Strom, kein Gas. Das Signal zum Generalstreik ist gegeben. Das Radio verkündet die Verhängung des Standrechts. „Ich muß zu meiner Einheit in die Remise.“ - „Mußt du unbedingt auch dabei sein, Karl“, fragt die Mutter zaghaft. „Wenn alle Frauen und Mütter von Sozialisten so reden wie du, dann wäre es um die Freiheit in Österreich traurig bestellt. Es muß sein!“ Sie schüttelt den Kopf wie ein Mensch, dem etwas nicht und nicht eingehen will. Beim Mittagessen fällt kein Wort. Karl verabschiedet sich: „Macht es gut, gebt acht aufeinander. Vergeßt nicht, die Meisen zu füttern.“ — ,, Wirst du zum Nachtmahl wieder da sein?“ - „Ich fürchte, es wird spät werden, Mutter. Vielleicht...“ Karl küßt die Mutter und schüttelt dem Vater die Hand. „Geh schon“, drängt der Vater. Hedwig Brenner legt den Kopf auf die Tischplatte, weint. „Heut werd ich nicht schlafen können. Der Bub, wenn ihm nur nichts zustößt.“ Friedrich Brenner streichelt ihr mit der rechten Hand langsam die Haare. Es wird dunkler. Ein peitschenartiger Knall und Splittern von Glas. Die beiden Brenner, die am Tisch eingeschlafen sind, reißt es hoch. Der Vater: „Das war die Gaslaterne vor dem Fenster. Es hat begonnen.“ Die Mutter: „Ich kann mir Karl nicht vorstellen mit einem Gewehr in der Hand. Daß Österreicher jetzt auf Österreicher schießen.“ Der Vater: „Mach das Frühstück, Hedwig.“ Ein Maschinengewehr tackt, ein zweites antwortet. Die Nachbarin kommt, kreidebleich im Gesicht, erzählt, daß sich auf der Viererstiege jemand vom obersten Gangfenster heruntergestürzt hat. Niemand getraut sich zu ihm hin. Friedrich Brenner: „Das hätt er noch immer haben können. Nur nicht vorzeitig aufgeben.“ Dumpfe, schwere Einschlage. Die Fensterscheiben klirren. ,, Jetzt schieBen sie wirklich mit Kanonen auf Wohnhäuser, die Patentchristen.“ Hedwig Brenner hält sich die Ohren: „Ich halte das nicht mehr aus, ich halte das nicht aus.“ - „Geh Presse“, gefolgt von „Kronen Zeitung“ und „täglich Alles“, die Berichterstattung „über ein geplantes Bürgerkriegsspektakel auf Kosten der Steuerzahler“Innen. Offensichtlich waren der Presse aus dem Zusammenhang gerissene Stellen aus dem alten Konzept zugespielt worden. Vom Klubobmann der Wiener OVP, Johannes Prochaska, wurde das „Megawahljahr“ ins Treffen geführt, in dem keine unnötigen Konfrontationen stattfinden sollten; dieses Argument ist in der Zwischenzeit von der Kärntner ÖVP düpiert worden. Die geplanten Aktionen zum Februar 1934 mußten abgesagt werden. Ein folgenschweres Ereignis für alle Österreicher bleibt weiterhin fest in den Händen der politischen Lager. Die Nachfolgepartei der Christlich-Sozialen läßt eine Messe lesen und die Genossen von damals und heute sind unter sich. Siglinde Bolbecher Gequälte Zeit Eingestellt wurde mit der 4. Nummer des 14. Jahrgangs die Zeitschrift „Aufrisse“, die, herausgegeben vom „Verein Kritische Sozialwissenschaft ind Politische Bildung“ im Wiener Verlag für Gesellschaftskritik erschien und als Amphibie zwischen Kultur, politischer Aufklärung und kritischer Sozialwissenschaft existierte. Da sie keine deklarierte Fachzeitschrift war, erhielt sie kaum Förderungen und wurde praktisch durch die unentgeltliche Arbeit der Redaktion am Leben erhalten. Zur finanziellen Misere trugen ungeklärte Verantwortlichkeiten im Verlag das Ihrige bei. Ein Ausweg hätte gefunden werden müssen. Als die Zusammenlegung mit einer von der KPÖ finanzierten Lehrerzeitung drohte und einige RedakteurInnen daher ihren Rücktritt erklärten, sah sich der Herausgeber-Verein, der die „Aufrisse“ schon länger als ein weggelegtes Kind behandelt hatte, veranlaßt, die Zeitschrift in der „bisherigen Form“ einzustellen. Sie wird als Verlagspostille weitergeführt. — Viele der ,Schwerpunktnummern’ der „Aufrisse“ werden noch lange unentbehrlich bleiben, man denke nur an die Hefte über neuen Irra