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Robert Schindel Rede auf Elisabeth Reichart Jemand sagte einmal, die Kriegsgeneration hätte ihren Kindern jene Melancholie vererbt, zu der sie selbst keine Zeit und Gelegenheit hatte. Man kann sich das auch so vorstellen: Der aus Rußland zurückgekehrte Mann, seiner Jugendideale beraubt, mit gräßlichen Erlebnissen für Führer, Volk und Vaterland auf immer verwoben, beugt sich im Nachkrieg gelegentlich über die Wiege des Nachwuchses. All sein vergebliches, zerschundenes Leben, das Zugrundegegangensein eingefleischter Werte verwest nun in ihm und gibt der Neigung zum Wickelkind ein eigenes Fluidum. Eine schweigende oder schleppende Körpersprache, tiefe und doch an der Oberfläche bleibende Blicke (man hat genug gesehen), an andere Automatismen orientierte Körperbewegungen verfremden diese Zuneigung, und all dies sickert ein in den Nachwuchs, läßt dort Kapseln entstehen, aus denen nach jeweiliger Platzung (wenn sie reif sind) das Melancholische strömt. Die Temperatur zu messen, die Entfremdung von Zuneigung und die Schübe der Entfremdung sichtbar zu machen, das leistet Elisabeth Reichart. Eine Zeugin im Hintennach, deren Sprache jeweils der gehetzten Atmung adäquat ist oder der verhaltenen, selten der gleichmäßigen, denn Ruhe war nirgends, freies Ausschreiten und Bemächtigwerden der Möglichkeiten geglückter Vorgänge war nirgends, und die Versuche dazu liefen gewiß nicht ohne Monstrositäten ab. Ich könnte nun als Lobredner für Elisabeth mich im Sprachanalytischen, auch im Poetologischen ergehen, die unterschiedlichen Vorgangsweisen preisen, mit welchen Reichart sich den unterschiedlichen Gegenständen nähert. Ich könnte das Wort angemessen dafür wählen und erstaunt konstatieren, daß jegliche Manier fehlt, etwas seltenes in Österreich. Doch das sollen und werden andere machen. Gestattet, das ich als Schriftsteller und jüdischer Österreicher hier sprache. Als Schriftsteller hab ich in Gebürtig - wie Elisabeth in Februarschatten - versucht zu zeigen, wie die Vergangenheit der Gegenwart in den Schritt fährt. Als jüdischer Österreicher bin ich ein knappes Jahr vor den Ereignissen des Februarschattens unweit von dort und auch in der engeren Heimat des Führers geboren. Ich habe zu untersuchen versucht, wie Täter bzw. Mitläuferkinder und Opferkinder selbst beide Opferkinder jener barbarischen Zeit sind. Doch als Kind von Juden, als Übriggebliebener, ist es vergleichsweise leichter, seine Totenklage zu literarisieren. Die große Klage hob nach dem Krieg an, unzählige Berichte wurden veröffentlicht, viele, wenn auch zu wenige, haben Zeugnis abgelegt. An diese Wiederholung von Geschehen durch Geschichte und Geschichten - blasser zwar und für Spätere bizarr und unglaublich - brauchte ich bloß meine Sprache anzudocken. Ich mußte bloß meine eigenen Einfleischungen, welche durch die Zuneigungen meiner Davongekommenen entstanden sind, diese Angstflaxen, die nächtlichen Schreiorgien sukzessive auf den poetischen Begriff bringen, der Sehnsucht nach Normalität gegenüberstellen, um in diesem Unterschied die Gegenwart zu entdecken. Was tut man aber, wenn geschwiegen wird, daß einem die Ohren abspringen. Am buckligen Land gegenübergestellt dem brüllenden und sirrenden Schweigen der Blutbuchen neben dem Stadel? Und keiner redet? Die Archäologie des Schweigens als Literatur, das ist meines Erachtens die Untat der Elisabeth Reichart, Untat in dem Sinne, daß Adorno jedes Kunstwerk für eine abgedungene Untat hält. Doch anders als beim geschätzten Meister Gerhard Roth ist dies bei Elisabeth ein Kampf um Atem, eine Erarbeitung freier Atmung, eine kulturelle Therapie am schweigenden Körper Österreich. Ein Beispiel genügt: Die Mühlviertler Hasenjagd ist schon beschrieben worden, doku Elisabeth Reichart, geboren 1953 in Steyregg (Oberösterreich). Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Salzburg. Seit 1982 lebt sie in Wien. 1980 und 1982 Förderungsstipendium in Rauris, 1983 erhält sie das Gstereichische Nachwuchsstipendium fiir Literatur. Erste Buchveröffentlichung „Februarschatten“ (1984). 1992 leitet sie das erste AutorInnenlabor in der Alten Schmiede (Wien). 1993 erhält Elisabeth Reichart den Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst. 1988 sagte Elisabeth Reichart bei der Tagung der Theodor Kramer Gesellschaft „Theodor Kramer und die Nachkriegsliteratur “ in Niederhollabrunn-Haselbach: ..eine Zeile wie ‘Für die, die ohne Stimme sind‘, hätte eher als Widmung in ‘Komm über den See‘ gepaßt. Und wenn bei Kramer in dem Zyklus ‘Verbannt aus Österreich‘die Frauen zu stillen Begleiterinnen der Männer werden, zu denjenigen, die die Ängste der politisch gefährdeten Männer teilen, dann könnten sie in Dialog treten mit meinen Figuren und Fragen an den Widerstand der Frauen stellen - was war ihr eigener Anteil, was war ihre Hilfe für den Widerstand der Männer - was natürlich oft nicht zu trennen ist, aber manchmal doch.|...] Die Stimme einer Toten meldet sich, ein Schatten an der Wand verdeckt sie, die Stimme stellt sich vor als Zeugin, daß die Frauen nicht nur gegen die Faschisten, sondern manchmal auch gegen die ’eigenen’ Männer Widerstand leisten mußten. Ja, über SIE wolle sie erzählen ...