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Literatur der ‚Inneren Emigration“ aus Österreich Vom 9. - 11. November 1995 veranstaltet die Theodor Kramer Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Institut für Germanistik an der Universität Salzburg die wissenschaftliche Tagung ‚Literatur der ’Inneren Emigration’ aus Österreich“. Tagungsort ist das Bildungshaus St. Virgil in Salzburg. Das Symposium wird von Univ.Doz. Dr. Karl Müller (Institut für Germanistik, A-5020 Salzburg, Akademiestr.20, Tel. 0662 8044/4369 oder 4350, Fax 612) in Zusammenarbeit mit Univ.Doz. Johann Holzner (Vorsitzender der Theodor Kramer Gesellschaft, Universität Innsbruck) vorbereitet. (Anmeldungen, Anfragen bitte an Karl Müller). Es ist dies die erste wissenschaftliche Tagung in Österreich zu diesem sowohl für die NS-Zeit als auch für die Nachkriegszeit wichtigen und heiklen Thema. Nicht allein dominierte das Syndrom ,,Innere Emigration“ bis in die 60er Jahren den Diskurs über Literatur und ihre Wirkungsmöglichkeiten, es spielten darüber hinaus Repräsentanten der ‚„‚Inneren Emigration“ führende Rollen im literarischen Leben. Dazu stellen Johann Holzner, Karl Müller und Karlheinz Rossbacher in einem ersten Arbeitspapier die Fragen: Haben denn nicht alle, die während der NS-Zeit publizieren und künstlerisch arbeiten konnten, an der Stabilisierung, wenn nicht gar Verherrlichung des rassistischen und imperialistischen Regimes mitgewirkt, das Österreich zumindest von der Landkarte löschte? Waren nicht Zensur, Kontrolle und Gleichschaltung total? Oder gab es doch Nischen und Freiräume, in denen man geistig überleben konnte und die eine Voraussetzung für oppositionelle Botschaften darstellten? Welche Zugeständnisse, Täuschungsmanöver und Verschlüsselungen waren geboten, um die Macht zu düpieren und Gewissenszeichen zu setzen? Haben sich nicht viele der ehemals mit den Nationalsozialisten verbundenen Kulturschaffenden im nachhinein als heimliche Widerständler oder zumindest als innerlich Abseitsstehende geriert und auf ,,Befehlsnotstand“ berufen? ... Gab es tiberhaupt eine „Emigration“ der Daheimgebliebenen? ... Läßt sich die Welt so einfach in Diensteifrigkeit auf der einen, Widerständigkeit auf der anderen Seite trennen? Bei der ersten österreichischen Tagung zu dem Thema geht es um die in Österreich jüdischen Geschichten kommt es zutage: er mußte sich einige Eigenschaften und einen Lebensstil zulegen, die ihn in der feindlichen Welt überleben ließen. Und ich frage mich oft, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen es waren, die uns Überlebenden der Emigration und der Konzentrationslager geholfen haben, die extrem harten Bedingungen zu bestehen? (Abgesehen davon, daß man physische Kraft und viel Glück haben mußte!) - Im KZ herrschten im Grunde die gleichen Rangordnungen und menschlichen Beziehungen - oder der Mangel daran - wie in der Welt außerhalb des Stacheldrahts, nur eben verzerrt und äußerst verschärft, sodaß ein Fehlverhalten, eine falsche Einschätzung der Situation oft für Leben und Tod entscheidend waren. Die erste Regel hieß nicht auffallen! Bleib im Hintergrund! Was schon dem Wesen des Schlemihl sehr nahekommt, der seine Ohnmacht kennt. Sich hervortun und jede Art Beflissenheit, es den Herrschenden, den Kapos und den SS-Männern recht zu machen, konnte gefährlich werden. Also ein Tölpel bleiben, aber auch als Tölpel nicht auffallen! Regel Nummer zwei: „Widerstandslos ausweichen!“ (Ein Satz, den ich in einer Anleitung zum Schwertkampf gefunden habe: „ZEN in der Kunst des Bogenschießens“ von Eugen Herrigel). Ich war höchst verblüfft, als ich den Satz las: „Die in ein System gebrachte Selbstverteidigung, welche den Gegner dadurch zum Fall bringt, daß man seinem Angriff unvermutet und ohne jeden Kraftaufwand elastisch nachgibt!“ Genau das war die Verhaltensweise (offenbar seitdem die Welt besteht), die man bei Strafe des Untergangs lernen mußte: Der Lebensstil des Paria und des Schlemihl, wenn man so will. Welche Eigenschaften dir also geholfen haben, die Hölle des KZ zu überstehen, frage ich mich selbst. Keineswegs heroische Attribute. Eher solche des Rückzugs und der Gelassenheit, der Vorsicht und des Schweigens. Und noch etwas, das sich kaum erklären läßt ... Dein Leben annchmen, so wic cs ist. Und cs in den verbleibenden Stunden auskosten bis zur Neige, mit offenen Augen. Verweigere dir jeden sentimentalen Blick zurück. Schreibe deine Verluste ab ... Ich glaube, daß es ein Zustand ist, der dich deine Mitte fühlen läßt, das was dich im Innern bewegt. Ich habe einen ähnlichen Zustand - den Zustand des instinktmäßigen Gleichgewichts - bei den zum Tode verurteilten Widerstandskämpfern gefunden, deren letzte Briefe uns erhalten sind. Darin spürst du eine große Ruhe und Abgeklärtheit. Kein Selbstmitleid. Sie haben ihr Leben angenommen, wie ihren Tod. Das Loskommen vor sich selbst - sich zurücknehmen. An die anderen denken, die überleben werden. Innere Bewegungslosigkeit gewinnen. Und Liebe - sie ist stärker als der Tod! Nocheinmal zum Schlemihl - er ist weltfremd, kann aber manchmal aus seiner Ungeschicklichkeit - wie wir eben gehört haben - eine Waffe machen, die ihn am Leben erhält. Er ist auch nichts als ‚einer, der guten Willens ist‘‘ (Kafka), und im Grunde nur das fordert, was ihm als Mensch zusteht. Meist besitzt er Humor und sogar Selbstironie, die besten Eigenschaften, die aus dem Leiden kommen. Vielleicht ist er ein verborgener Weiser? Ungewöhnliche Menschenkenntnisse - die Augen offen halten, die anderen beobachten und jede Situation daraufhin deuten, ob sie ihm gefährlich werden könnte. Mit dem Schnorrer ist es ähnlich, er ist zu stolz, nur bettelnd von Dorf zu Dorf zu gehen. Er verkauft eine Ware, erzählt Anekdoten (und so ist ein Stück Weltliteratur entstanden!) erzählt die neuesten Schwänke der Schlemihle und auch der Parvenüs, von denen es in jedem Dorf welche gibt. Der Schnorrer schuf ein Nachrichtensystem, auf das kein Dorfbewohner verzichten wollte, und sogar eine geheime und intime Chronik der verschiedenen Familien und Sippen der Umgebung. So gesehen sind diese jüdischen Volksfiguren im dichterischen Werk jüdischer Autoren äußerst wandlungsfähig und variabel, und jeder wiederum voll von Geschichten. Um das Verständnis für eines der Geheimnisse der Diaspora zu ergänzen, möchte ich auf eine Anekdote hinweisen: In dem Dorf Ljublja bei Kishinjow, in der Ukraine, wurden 1892 (nach der Ermordung des Zar Alexander II.) über sechzig jüdische Menschen während eines Pogroms von Kosaken grausam getötet. Und wer hat überlebt? Überlebt haben eine Hand voll Leute, der Schadchen, der Heiratsvermittler, zwei Schnorrer und drei Pferdehändler, die zur Zeit des Pogroms gerade in Kishinjow auf dem Viehmarkt weilten. - Der Flucht und der Diaspora verdankt das jüdische Volk das Überleben in zwei Jahrtausenden der Verfolgung. Aber die großen Wanderungen haben nicht nur die Juden, auch die Menschheit überleben lassen!