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Ernst Federn Vorwort zu ,, Versuch einer Psychologie des Terrors“ Die Idee zur vorliegenden Arbeit entstand anläßlich einer Begebenheit, die sicherlich nicht besonders geeignet ist, wissenschaftliche Gedanken zu konzipieren. Es war im Jahre 1940 als, wieder einmal, eine Kompanie jüdischer Häftlinge im Lager Buchenwald, ein sogenannter ‚„‚Judenblock“, zur Strafe exerzieren mußte. Diese Übungen bestanden aus allerlei ‚Sport‘ -arten, wie Laufen, Hüpfen, Kriechen, Rollen, etc., die für junge Rekruten auf einem Sportplatz geeignet sein mögen, aber für unterernährte übermüdete Menschen und ältere Jahrgänge - nach einem schweren Arbeitstag, meistens mit schlechtem Schuhwerk versehen und von Schlägen ständig bedroht - eine unvorstellbare Tortur bedeuten, an der viele zugrunde gingen. Ein solches Strafexerzieren, also, brachte mich, während ich lief, hüpfte und andere Übungen ausführte, auf die Idee, eine ,, Psychologie des Terrors“ zu schreiben; und das kam so: Die Befehlsgewalt hatte an diesem Tag ein vielleicht 18jähriger SS-Mann mit einem symphatischen Jungengesicht. Anfangs gab er seine Befehle auch nur zögernd, offenbar zum ersten Mal und man sah ihm an, wie unsicher er sich fühlte. In der ersten Viertelstunde wunderte er sich anscheinend selbst darüber, daß er, ein so junger Bursch, durch ein einziges Wort zweihundert erwachsene Menschen zum Laufen oder Springen antreiben konnte. Ich beobachtete den jungen Peiniger und bemerkte, wie sehr seine Züge denen eines kleinen Jungen ähnlich wurden, der, voller Erstaunen, zum ersten Mal mit Lebendigem spielt. Wie ein kleiner Junge bekam auch unser Peiniger bald mehr Mut. Die Befehle wurden immer schneller und freier gegeben und jedesmal gefiel es ihm besser, die Gefangenen auf seine Befehle hin vor sich „‚herumtanzen“ zu sehen. Jeder Soldat weiß, wie unangenehm ein solches Exerzieren ist, denn auch für Rekruten ist es eine der unangenehmsten Strafarten. Unser SS-Mann wußte also sehr gut, was er uns antat, und man konnte geradezu von einem Moment zum anderen beobachten, wie er in den Sadismus hineinglitt, in dem er sich allerdings sehr wohl zu fühlen schien. Diese Beobachtung erweckte in mir den Gedanken, auch Bestialität und Terror unabhängig von ihrer moralischen Verurteilung sachlich zu betrachten, und ich konzipierte im Kopf während der noch folgenden fünf Lagerjahre die wesentlichen Punkte der vorliegenden Schrift. Als ich endlich nach siebenjähriger Haft das Lager verließ, mit Erfahrungen einziger Art bereichert und bestärkt in der Überzeugung, daß erst die Psychoanalyse Freuds ein Verständnis für die Abgründe der menschlichen Seele möglich gemacht hat, wollte ich sogleich meine Arbeit niederschreiben. Aber meine seelische Widerstandskraft war doch zu sehr verbraucht, als daß ich über all die Schrecken hätte sachlich schreiben können, die ich erlebt hatte. Es bedurfte eines Jahres in der Freiheit, um die Arbeit zu Ende zu führen. Doch in den Jahren die auf den Sturz der Nazibarbarei folgten, hatte die politische Entwicklung neues Unheil in den Seelen der Menschen angerichtet und meine Arbeit verlor das aktuelle Interesse, das vielleicht unmittelbar nach dem Sturz Hitlers vorhanden gewesen wäre. Wenn ich diese unerfreuliche Lektüre der Öffentlichkeit trotzdem vorlege und so der zahlreichen Literatur über dieses Thema eine weitere Arbeit hinzufüge, habe ich dafür mehrere Gründe. Statt dem deutschen Volk zu helfen, die schreckliche Geistesverwirrung zu überwinden, in die es die politische Entwicklung gestürzt hatte, begnügte sich die Mehrzahl der Journalisten und Politiker mit der bequemen Erklärung, an dem Hitlergreuel sei es allein schuld und nur die Deutschen wären einer solchen Entwicklung fähig gewesen. Autoren, die diese Thesen von der Gesamtschuld des deutschen Volkes vertraten, il bewußte Konflikte, die über das Über-Ich und Ich ausgelöst werden können. Die Heilung dieser Ich-Erkrankungen liegt nicht nur in der Macht der Medizin, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sozial-therapeuten müssen auch Sozialarbeiter sein, und parallel darf die Gesellschaft die ich-gestörten und psychotischen Menschen nicht nur in medizinische Anstalten oder in den Strafvollzug abschieben. Eine umfassendere Betreuung und Behandlung ist natürlich kostenintensiver, aber in der Verteilung ihres Reichtums muß sich die Humanität einer Gesellschaft erweisen. E.F. entwickelt in den 60er Jahren die Idee von sozialtherapeutisch orientierten ‚‚dropin-centers“ für Drogensüchtige. Mit H. Nunberg gibt er 1962-75 die ihm von seinem Vater hinterlassenen Protokolle (1600 Seiten) der psychoanalytischen Mittwochgesellschaften (1902-18) in der Wohnung Sigmund Freuds in englischer Übersetzung heraus. Sie erscheinen erst 1976-81 auch auf Deutsch. 1972 Rückkehr nach Wien auf Einladung des Jugendfreundes und Justizministers Christian Broda. Mitwirkung an der Modernisierung der Bewährungshilfe und Einführung von psychoanalytisch-sozialtherapeutischer Betreuung in Österreichischen Gefängnissen. 1973-87 Sozialpsychologe in den Strafvollzugsanstalten Krems-Stein und Wien-Favoriten. E.F. ist heute noch als Supervisor im Strafvollzugssystem tätig. Er glaubt, daß die Therapie gerade bei Gefangenen Erfolgschancen hat, und verficht innovative Resozialisierungsmaßnahmen. Daneben gibt er in zahlreichen Vorträgen seine Kenntnisse auf den Gebieten der psychoanalytischen Pädagogik und Sozialarbeit, sowie der Geschichte der Psychoanalyse weiter. Bernhard Kuschey Einige Werke Ernst Federns: Essai sur la psychologie de la terreur. In: Synthéses 7, 8. Bruxelles 1946. The Terror as a System: The Concentration Camp. Buchenwald as it was. In: Psychiatric Quarterly Supplement Vol.22. New York 1948. Drogenmißbrauch bei Jugendlichen aus einer sozialpädagogischen Sicht. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 20/6, 1971.