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ernähren. Oder mir eine anständige Füllfeder kaufen. Ich weiss, dass es in Oesterreich sehr arg zugeht. Aber wenn Kultur wirklich für den Wiederaufbau benötigt wird, wie man ja vorgibt, so müsste man miteinem Lyriker, derim Ausland lebt und stets kränkelt, nach nun mehr als 3 Jahren doch wohl eine Ausnahme machen und Gnade für Recht ergehen lassen und ihm einen Teil der nach 1945 in Oesterreich verdienten Honorare überweisen. Im Sommer 1947 verlieh mir zwar die österreichische Liage [sic] für die Vereinigten Nationen den Preis für Literatur - ich hatte mich darum natürlich keineswegs beworben -, aber bisher hab ich nicht einmal den Ring bekommen können, der mir verliehen wurde.'® In London verkehrte ich viel mit dem jungen österreichischen Lyriker Erich Fried!’, aber er ist jetzt in einer Krise, und ich hab ihn seit Monaten nicht gesehen. Robert Neumann hat, so lange [sic] er die nun aufgelöste Austrian Group des Penclub in London leitete, dies mit sehr grosser Umsicht getan und mich, ohne dass ich ihn darum bat, immer wieder und wieder gefördert.'? Ohne ihn hätte ich kaum die Stellung hier bekommen, die mich ja doch (viel mehr schlecht als recht) ernährt und die an und für sich interessant ist. Ich gehöre längst wieder ins Bett. Auf andere literarische Dinge bin ich nicht eingegangen, da die Zeit zu kurz ist und dies auch nach einer Pause von so viel Jahren sehr schwer möglich ist.!? Ich hoffe nochmals, dass Sie an keinem langwierigen Uebel leiden. Mit den besten Grüssen Ihr Theodor Kramer Theodor Kramer, 21, Margaret Road, Guildford, England. 18.11.1948 Mr. Frederick Brainin, Ward 8D. Bed 4. U.S. Veterans Administration Hospital, 130, West Kingsbridge Rd. Bronx 63, New York. Lieber Fritz Brainin! Ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 13.d.M., den ich leider nur kurz beantworten kann. Ich muss Ihnen gestehen, ich war sicher, dass Sie mit den ‚‚Nerven“ zu schaffen haben würden und zwar in einer organischen Weise. Ich hoffe, dass die Operation rasch und gut verheilt. Dass Sie eine kleine Pension haben, ist erfreulich, und ich wünsche Ihnen, dass Sie auf Staatskosten studieren und arbeiten können.” Ihre anderen Mitteilungen haben mich sehr interessiert. Selbstverständlich weiss ich, dass Sie seinerzeit stark amerikanisiert waren, und in /hrem Fall verstehe ich die Entwicklung und vermag sie durchaus zu billigen. Der Inhalt Ihres Briefes und unsere früheren Beziehungen?! scheinen mir ein Recht zu geben, diese unerbetene Feststellung zu machen; ich bin sonst in solchen Dingen sehr zurückhaltend. Fritz Hochwälder ist ein berühmter und auch ein bedeutender Dramatiker geworden.” Vor drei Jahren kam ich mit ihm in rege Korrespondenz, und ich sah ihn auch etwa vor einem Jahr flüchtig in London. Seit dem Frühsommer aber hat er aufgehört, mir zu schreiben, hält sich irgendwo in Italien auf. Ich habe seine Adresse nicht, kann also einstweilen ihm keine Grüsse von Ihnen bestellen. Ich bin sicher, dass Sie anders übersetzen würden als die famose, von mir erwähnte Anthologie. Bevor ich Ihnen aber etwas schicke, möchte ich zwei Bedingungen stellen, und ich weiss nicht, ob Sie sie annehmen wollen. Die erste ist, dass ich eine Übersetzung [sic], oder auch Nachdichtung, billigen muss, bevor Sie sie veröffentlichen dürfen. Die zweite ist, dass nichts von mir gratis veröffentlicht werden darf. In dieser Beziehung hab ich meine strikten Ansichten, ich habe auch in England die Emigrantenblätter dazu verhalten, und nur mit der Austro American Tribune vergass ich dies abzumachen.”° Ich würde vorschlagen, das etwaige Hororar zu gleichen Hälften zu teilen, da Sie ausser der Arbeit auch die Mühe, etwas zum Druck zu bringen, haben würden. Dieser Schlüssel ist aber natürlich ziemlich nebensächlich. 19 Anmerkungen zu Brainin/Kramer Die vorliegenden drei Briefe Theodor Kramers an Fritz Brainin aus dem Jahre 1948 (plus Übersetzungen ins Englische) wurden mir, Jörg Thunecke, vom Empfänger zwecks Veröffentlichung im Anhang von Love in London (Riverside: 1994) zur Verfügung gestellt, konnten jedoch dort lediglich auszugsweise zitiert werden. Die Originale scheinen allerdings verloren gegangen zu sein, da sie sich nicht im BraininNachlaß (Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien) befinden. Ich möchte an dieser Stelle Erwin Chvojka meinen Dank aussprechen für die Genehmigung des Abdrucks in MdZ und die Hilfe bei Klärung einiger unklarer Passagen in den Briefen. 1 Robert Lee Frost (1875 - 1963), einer der bedeutendsten und volkstümlichsten amerikanischen Lyriker, war während der ersten Jahre des Exils in den USA Brainins dichterisches Vorbild. 2 Vgl. War Poems of the United Nations, hrsg. v. Joy Davidman (New York: Dial Press 1943). 3 Von Theodor Kramer wurden dort - in englischer Übersetzung! - fünf Gedichte unter dem Generaltitel ’Hitler Over Vienna’ abgedruckt (S.11-14) [fiir diesen bibliographischen Hinweis bin ich Frederick Betz (Carbondale) zu Dank verpflichtet], von welchen drei (II, IV u. V) veröffentlicht vorliegen ("Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan’ [vom 13.7.38; Ges. G I, 352]; "Jetzt führ ich Schaufel, Tuch und Besen’ [vom 26.5.38, ebd., 344]; "Wer läutet draußen an der Tür’ [vom 18.6.38; ebd., 294]); bei den beiden unveröffentlichten, im Kramerschen Nachlaß befindlichen Gedichten (I u. II) handelt es um: ’ Wie viele sind es...’ (vom 13.6.38) sowie ’Schon nicht hier’ (vom 5.8.38/diesen Hinweis verdanke ich Erwin Chvojka/Wien); von Brainin erschienen im gleichen Band die Gedichte ’ Folksong [From Nazi-Poland]’, ’Refugees’ Testament’ u. Words’ (S.4-7). 4 Inge Halberstam (1894-1969). 5 Ilse Scholley unbekannt und nicht eruierbar. 6 Engl. ’domestic permit’: im Unterschied zum allg. "work permit’ berechtigte diese Art von Arbeitserlaubnis die jeweiligen Antragsteller/innen lediglich zur Beschaftigung in Haushalten. 7 Kramer wurde im Mai 1941 interniert und war u.a. im sogen. Douglas-Camp auf der Insel Man zwischen Wales und Irland. 8 Wolverhampton: engl. Provinzstadt nordwestl. von Birmingham. 9 Engl. colitis’ = Dickdarmentziindung. 10 Kramer kehrte erst im September 1957 nach Wien zuriick, starb allerdings bereits am 3. April 1958.