OCR
26 frönt Bobby dem mondänen Leben, macht Spielschulden und versetzt nach und nach zur Aufbesserung des Familienetats die geretteten Schmuckstücke. Da er es jedoch unter seiner Würde findet, sich selber die Hände mit solchen Geschäften schmutzig zu machen, vertraut er die Botengänge dem im selben Haus wohnenden Kassenboten Mäusle an, der so bitter arm und dumm ist, daß er über dem Verdacht etwaiger Unehrlichkeit steht. Bobbys Befremden angesichts des Zustands der Hofwohnungen in dem herrschaftlichen Haus, deren Existenz er bis dahin nicht zur Kenntnis genommen hatte, schlägt bald in Zufriedenheit mit Mäusles um. Für Mäusle bedeuten die Botengänge eine Aufbesserung seines schmalen Einkommens. Als Bobby von einem Tag auf den anderen unter Drohung des Ehrverlusts Geld für seine Spielschulden auftreiben muß und Mäusle gerade den Monatslohn der Fabriksarbeiter zuhause liegen hat, den er am nächsten Tag überbringen soll, tritt die Katastrophe ein. Widerstandslos läßt Mäusle Bobby das versiegelte Kuvert erbrechen und mit dem bis zur Nacht geborgten Geld verschwinden. Während Mäusle verzweifelt die Nacht durchwartet, landet Bobby nach Rückzahlung seiner alten Spielschulden und Anhäufung neuer mit seinen Spielkumpanen bei „schicken Damen“. Mäusle liefert einen unvollständigen Betrag ab, wird zur Rede gestellt und beteuert nur immer seine persönliche Unschuld, gibt aber den Namen Bobbys nicht preis. Letztendlich verliert er seinen Posten, Bobbys versprochene Hilfe bleibt aus, und die Familie Mäusle stürzt in die Misere. Die Hausbewohner kommentieren diese Geschichte zwar mitleidig, beugen sich aber nach wie vor grüßend vor der Macht des Geldes der Familie Prokop. Ljubka wird hin und wieder mit kleinen Almosen zu Mäusles hinuntergeschickt, sie selbst entwendet oft mehr, um helfen zu können. Mäusle bringt sich, nach längerer Krankheit wieder zu Hause, in einem Anfall von Hellsichtigkeit über seine Lage in der Küche mit Gas um. Am Tage der Hochzeit Tamaras treffen die beiden Welten unverhüllt aufeinander. Als die Braut vor dem Haustor dem Wagen entsteigt, in der Hand einen Strauß Rosen, kommt ihr der Sarg des kleinen Mädchens der Mäusles entgegen. Nach kurzem Erschrecken schickt sie Ljubka mit den weißen Rosen hin; zögernd legt Ljubka die Rosen auf den kleinen Sarg. Wer annimmt, Veza Magd hätte dieses „Material“ in Form einer herzerweichenden sozialen Anklage gestaltet, irrt. Aber der harte satirische Grundton der Erzählung, der bewußte Verzicht auf einen formulierten Konsens zwischen Leser und Erzählerin, lösen einen Erkenntnisschock aus, der schon konzentriert die Anklage enthält. Die negativen Figuren sind knapp in wesentlichen Zügen gezeichnet, die man bei aller Vorsicht vor Etikettierungen expressionistisch nennen könnte. Um einen Typus herauszuarbeiten, nimmt Veza Magd oft Anleihen bei Tierphysiognomien und wertet damit indirekt. Der Vergleich mit Ödön von Horvath wird ihr in mehrerer Hinsicht nicht gerecht, da sie das sich selbst entlarvende Klischee zwar einsetzt, in ihren satirischen Mitteln jedoch weit darüber hinausgreift. Ihre Parteinahme ist um vieles direkter, nicht nur was die Klasse betrifft, derihre Sympathien gehören, sondern auch, das sei an dieser Stelle vorweggenommen, in Bezug auf das eigene Geschlecht. Die männliche Logik der Haupt- und Nebenwidersprüche, die es auch innerhalb der sozialistischen Bewegung im weiteren Sinn immer wieder geschafft hat, durch Hierarchisierung von Problemen die Frauen auf die Wartelisten der Geschichte zu setzen, hebt sie, avantgardistisch für ihre Zeit, in ihrer Dichtung auf. Die Wahl ihres am häufigsten gebrauchten Pseudonyms, Veza Magd, weist auf ihr Selbstverständnis hin, demzufolge sie die am meisten ausgebeuteten Frauen als ungebrochene Subjekte und Hoffnungsträgerinnen einer anderen Zukunft ins Zentrum ihrer Arbeiten stellt. Das geschieht aber nie mit dem pseudokämpferischen Gestus der Verklärung, sondern oft genug in der Schilderung gering anmutender Lernprozesse der ‚„‚Heldinnen“, die plötzlich ein Zipfelchen jenes schweren Vorhangs der Unterdrukung lüpfen können, der ihnen die Sicht raubt. Diese kleinen Einsichten aber genügen dann oft, daß in ihnen ein neues, ironisch distanziertes Selbstverständnis entsteht, denn die Tatsache, daß die Barriere irgendwo ein bißchen durchlässig ist, gibt ja berechtigten Anlaß zur Hoffnung, sie könnte irgendwann ganz fallen. Außerdem stellen diese Einbrüche von Erkenntnis die etablierte Ordnung schon insofern auf den Kopf, als die armen, meist ungebildeten Frauen den Status quo, in dem Wissen, und somit auch Macht, nur den herrschenden Klassen zusteht, ja als gegeben und gottgewollt ansehen sollten. “Geduld bringt Rosen“’ weist sich dadurch als frühes Werk von Veza Magd aus, als das grausame Gesellschaftsspiel in dieser Erzählung fast total wehrlose Opfer fordert. Frau Mäusle läßt sich zwar nicht wie ihr Mann in den Tod treiben, da sie an ihre Kinder denkt, und Ljubka ist die menschliche Geste über den Abgrund hinweg vorbehalten, der die Welten von ebener Erde und erstem Stock trennt, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Texten von Veza Magd wird der Impetus zur Veränderung der Zustände nicht einmal ansatzweise in eine der Figuren verlegt, sondern ganz in die Wirkung der Satire auf den Leser ausgelagert. Der Nestroy’sche Titel Zu ebener Erde und im ersten Stock, oder: Die Launen des Glücks hätte sich wohl, selbst bei satirischem Gebrauch, zur Verdeutlichung der sozialen Architektur in der Erzählung angeboten, aber das Sprichwort ‚„‚Geduld bringt Rosen“ verweist auf den wahren Schmerzpunkt, von dem aus, an scheinbar gar nicht so zentraler Textstelle, die Agitation, der Aufruf zur Rebellion ausgeht: ‚‚Kassenbote Mäusle brachte jede Woche dreißig Schilling Lohn nach Hause und übergab das Geld seiner Frau. Es reichte für Kost und Wohnung, denn das Kabinett war vermietet. Frau Mäusle besaß zwar keinen Hut und trug Winter und Sommer denselben gelbbraunen Mantel, aber das Ehepaar begnügte sich. Es begnügte sich, weil niemand sich fand, der ihm klar machte: daß das Schicksal es nicht leiden kann, wenn man sich begnügt. Es nimmt und nimmt bis zum letzten Faden des Begnügsamen, bis nichts mehr zu nehmen ist. Die Anspruchsvollen aber nehmen den Kampf auf, und je skrupelloser ihre Mittel, umso stärker sind sie.“? Das Stilmerkmal der Wiederholung eines kurzen Satzes und dessen Weiterführung (“... aber das Ehepaar begnügte sich. Es begnügte sich, weil niemand sich fand, der ihm klar machte: daß das Schicksal es nicht leiden kann, wenn man sich begnügt.“) zieht sich durch das gesamte (bekannte) Werk der Autorin, und mit dieser Charakteristik ist zugleich ein Hinweis auf eine Tradition gegeben, in der sie steht, die der jüdischen, zum Teil von der chassidischen Erzähltradition inspirierten Literatur. Mit jüdisch meine ich hier nicht unbedingt jiddische Texte, wenngleich sie nicht auszuschließen sind, sondern Literatur, die aus dem kulturellen Reichtum des Judentums schöpft, wie die des jüdischen Russen Isaak Babel. Bei Babel, dem Zeitgenossen