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hier wirksam sein: zunächst einmal — aber das ist nichts Spezifisches — die nationalsozialistische Vergangenheit der Disziplin: was der Kindermann für die Theaterwissenschaft, der Nadler für die Germanistik, ist der Schenk für die Musikwissenschaft. Zum anderen die antimodernistische Ausrichtung des ganzen Wiener Musiklebens, die erst in den letzten Jahren überwunden wurde. Und die bedeutendsten Kompositionen des Exils stehen nun einmal in der Tradition der Zweiten Wiener Schule. Zum Dritten die Ausrichtung der Musikforschung auf absolute Musik und immanente Analyse. Und es gibt wohl noch einige andere Faktoren. In Deutschland ist die Lage seit einiger Zeit schon verändert: die Forschungen von Albrecht Dümling HannsWerner Heister, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen, Martin Zenck und einiger anderer sind allesamt von großer Bedeutung und übertreffen an Präzision und theoretischer Durchdringung meiner Ansicht nach die deutsche Exilforschung auf dem Gebiet der Literatur oder des Theaters bei weitem. So wundert es auch nicht, daß die große Monographie über Ernst Krenek nicht von einem österreichischen Forscher oder einer österreichischen Forscherin verfaßt wurde, sondern von Claudia Maurer Zenck. Hierzulande ist das Terrain — mit wenigen Ausnahmen, zu denen etwa Walter Paß zu zählen ist und die Bemühungen im Rahmen der Österreichischen Musikzeitschrift — von der Peripherie aus sondiert worden: Zeitgeschichter, Politologen, Literatur- und Theaterwissenschaftler, mehr oder weniger verhinderte Musiker aller Art, wie Gert Kerschbaumer, Karl Müller, Oliver Rathkolb oder auch Wilhelm Svoboda und ich haben begonnen, das Thema zu erforschen — und dadurch sind natürlich auch neue Fragestellungen mit hereingekommen, die der Analyse von Musik nur gut tun können. MdZ; Wie beurteilst Du das besondere Profil der österreichischen Musik-Emigration? Fällt es überhaupt gegenüber der Masse der „Daheimgebliebenen“ ins Gewicht? Und ist Österreich nicht ungebrochen ein klassisches Musikland? G.S.: Das Profil der Musik-Emigration ist ziemlich scharf ausgeprägt, doch gegenüber den ‚„Daheimgebliebenen“ fiel es nicht ins Gewicht, weil es nämlich keine Gelegenheit bekam, sich hier zu zeigen. Darum blieb Österreich ein ungebrochen klassisches Musikland. Nur so kann ich mir mitismus des grünen Faschismus und den mörderisch marschierenden in Nazideutschland. Und während seine Schlagertexte heute vergessen sind, haben sich seine Satiren in ihrer Ironie und ihrem aggressiven Schwung ihre Schlagkraft bewahrt. Sie entsprachen ganz dem besten Geist des ABC, der Kleinkunstbühne, die mehr als alle anderen das Mißfallen des Zensors erregte. Hier war Jura Soyfer „Hausdichter“, und Berg wurde der ihm kongenialste Komponist. Er vertonte dessen Lieder in Weltuntergang, Astoria, Broadway-Melodie 1492. Auch im ABC war nicht alles, was man zu hören. bekam, subversiv. Andererseits waren nicht alle Schlager jener Jahre gleich leere Traumfabrikate. Teams wie Peter Herz und Hermann Leopoldi, Hanns Haller, Fritz Spielmann und Stephan Weiss schrieben Lieder, die in einer Mischung von Humor, Realismus und Sentimentalität das Wien der kleinen Leute besangen, deren Träume nichts kosten durften, ‚in einem kleinen Cafe in Hernals“ geträumt wurden oder unerfüllt blieben, weil das „Mäderl aus Mödling “ war und der ,,Bursch aus St. Veit“ kein Geld für die Straßenbahn hatte. Die Autoren und Komponisten dieser Volksschlager im besten Sinne des Wortes wurden 1938 vertrieben, weil sie als ‚‚volksfremd‘“ galten. Einer von jenen, die im KZ umkamen, war Walter Lindenbaum, dessen Gedicht ,,Im Vorstadtpark“ Berg vertont hatte; diese bittere Idylle einer in arm und reich geteilten Welt war Teil eines ABC-Programms 1935. Nach der Vorstellung kam ein Mann auf die Bühne und fragte, von wem das Lied sei. Er lernte auch den Komponisten kennen und bot ihm seine Hilfe an, sollte er je nach Amerika kommen wollen. Der Mann hieß Otto Fisenschiml?, war mit jungen Jahren aus Österreich ausgewandert und in den Staaten reich geworden. 1938 war Berg der erste von hundertfünfzig Personen, denen Eisenschiml ein Affidavit ausstellte. Wer kennt seinen Namen? Nach Aufenthalten in Zürich und London landete Berg im November 1938 in New York. Ein paar Wochen später nahm er an einem Radioprogramm teil, bei dem ihn der New Yorker Bürgermeister Jimmy Walker als ‚Jimmy from Vienna“ vorstellte, und aus diesem Programm ergaben sich Tourneen durch mehrere Städte. 1939 wirkte Berg bei der Broadway-Show From Vienna mit, in der man auch Soyfers Lechner Edi in englischer Übersetzung spielte. Er schrieb den Großteil des Programms D.C. Melody, in dem Ethel Barrymore-Colt sang; es wurde 1940 unter der Ägide Eleanor Roosevelts aufgeführt. Im selben Jahr schrieb Berg mit Fred Jacobson, Frank Loesser und Fred Spielmann einen Song ftir den Paramount-Film „Hold Back the Dawn“ mit den Stars Charles Boyer, Olivia de Havilland und Paulette Goddard; das Lied ,,My boy, my boy“ war das Dankeswort eines Exilanten an das Land der Zuflucht: Der Sohn soll, wird ein glücklicher boy in freedom werden. Drei Jahre lang arbeitete Berg in Oscar Tellers und Erich Juhns jüdischem Kabarett Die Arche mit. Es ist hier nicht möglich, die vielen anderen Programme zu erwähnen, die Floor Shows, Radiosendungen, Kabarettabende, die Berg zusammenstellte oder an denen er beteiligt war, sei es als Komponist, Pianist oder als Textautor — als Verfasser von Chansons nicht nur in einer Sprache. Für ein rein amerikanisches Publikum und amerikanische Interpreten schrieb er englisch, für deutschsprachige Vortragskünstler schrieb er deutsch oder wienerisch. Schlager haben auch andere geschrieben, und Bergs scharfe politische Satiren vor 1938 gliedern sich ein in die antifaschistische Lyrik jener Jahre. Einzigartig jedoch sind seine Chansons für das jüdische Exilpublikum in New York. Sie verbinden Humor mit Ernst, Unterhaltung mit Politik, und das in einer ,,Exilsprache“, in deren humorvollem Gemisch von Deutsch und Englisch eine leichte Muse zu Wort kam, die den von Exilanten als schmerzlich empfundenen Schwebezustand zwischen Sprachverlust und zweifelhaftem Sprachgewinn in komischer Selbstironie tiberwand. Bergs Texte sind Dokumente einer heute in dieser Form nicht mehr bestehenden Exilenklave, einer spezifischen Exilkultur und -literatur, einer solidarischen Uberlebenskunst. Trude Berg, Jimmys Witwe, schreibt: “Jimmys Tatigkeit bestand in erster Linie aus der Stellungnahme zu unserem Leben hier in New York. Auf seine, eigentlich wienerische Art verstand er es, unsere Eindrücke, Erlebnisse, Probleme auf humoristische Weise in seinen Liedern festzuhalten. In seinem unverwiistlichen Optimismus gelang es ihm auch immer, das Publikum aufzuheitern und zum Lachen zu bringen. Das war am Anfang gar nicht so leicht, da