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die meisten von uns um das tägliche Brot kämpfen mußten und Tag und Nacht mit der Sorge um unsere Lieben, die nicht bei uns sein konnten, beschäftigt waren.“ Hatte Berg auch in einem seiner ersten New Yorker Couplets mit dem goldenen Wiener Herz seiner frühen Schlager abgerechnet — ‚Hei, wie es schlägt, das goldne Wiener Herz. Wenn die Nazi einmarschieren...“, — so versuchte er in anderen Texten sich und seinen Zuhörern, das ihnen vertraute, nun im Terror untergegangene Wien ins Exil hinüberzuretten — ,,Von der Ringstraße in die 72nd Street“ , wie eines seiner Programme hieß. Ein Wiener Typ ging ins Exil — „Die Sopherl vom Naschmarkt“ wurde ein „Grünzeuggreenhorn am Broadway“, ein amerikanischer Typ entpuppte sich als Ottakringer ,,dead end kid“. Man klagte, ,, wenn die Cafeteria nur ein Kafeehaus wär“, und fand in der Fremde doch die Heimat wieder: Die Waiter, die kommen gemütlich gelatscht. Ihr Englisch, das klingt zwar ein bißchen verhatscht, They are from Vienna, genau wie die Gäst In a small Cafe near Central Park West. „Man stellt sich um“ — so formulierte Berg das harte Gesetz, dem sich alle Exilanten beugen mußten — mehr oder weniger willig, in großen und kleinen Dingen. Auch Berg und sein Publikum litten an der ,,Inselhitze von Manhattan“, die Ernst Waldinger an „der Bauernstuben Kühle einer fernen Ferienzeit“ denken ließ, aber Jimmy reagierte kabarettistisch: Am Abend rinnt vom Haupt der Schweiß, Man träumt an Soda Fountains Nur von den Catskill Mountains. The heat is not so bad, you see. It’ s only the humidity. Die Unsicherheit in der fremden Riesenstadt wurde in Pechvogel-Chansons zum Humor; man lobte das Leben der Amerikaner, war aber doch nicht ganz Teil davon und bieb ,,ein Yankee — doch mit Vorbehalt“. Immer wieder erinnerte die Sprache daran, daß man nicht ganz zu Hause war: „Mir scheint, mein Englisch ist noch nicht perfekt“ hieß ein Chanson und ein anderes: ‚‚T’ m in a hell ofa fix, weil ich Englisch mit Deutsch stets vermix.“ Man bedauerte, daß es im Englischen kein Du gibt, und fragte sich schließlich „Warum hab ich Englisch gelernt“, wenn man im melting pot New York immer in einer anderen Sprache angeredet wurde. Die Sprache war nicht nur komisches Thema. Das ergreifende Lied „3 X Rosinen und Mandeln“ schilderte das Schicksal der Juden vom Städtel über die Assimilation in Wien ins amerikanische Exil und machte den erzwungenen Identitatswechel im Wandel von zwei Wörtern hörbar: Der Vater ging fort um zu „‚handlen“. Man nannte ihn ,, Pinkale Jid“, Und von Rozinkes und Mandlen Sang die Mutter den Kindern ein Lied. Drum wollte man nicht mehr verschandeln Die Sprache, die Goethe geziert, Man sprach von Rosinen und Mandeln Und man fühlte sich assimiliert. Man sieht wieder Worte sich wandeln, Das beste Deutsch ist nicht am Platz, Man sagt nicht Rosinen und Mandeln, Man sagt heute nur — RAISINS and NUTS! Bergs Chansons waren auch zeitgeschichtliche Kommentare aus der Sicht seines erklären, warum Gustav Mahlers im Innersten gebrochene Musik noch in den sechziger Jahren auf dumpfe Ablehnung stieß. (Durchgesetzt wurde sie hier ohnehin von ausländischen, nicht-deutschen Dirigenten.) Heute besteht aber die Gefahr, daß das Profil — wo es nicht mehr verdrängt werden kann - geglättet wird; eine neue Generation genießt die Gnade der ganz späten Geburt: die biologische Vergangenheitsbewältigung. (Das Problem gibt es natürlich nicht nur in der Musik.) Ein Beispiel dafür wäre das große Buch über die Wiener Philharmoniker von dem jungen Philharmoniker Clemens Hellsberg. (Der Verein hatte immer die Tendenz zur Inzucht — unter Ausschluß selbst des weiblichen Geschlechts.) Die „Belasteten“ und die Vertriebenen sind tot, jetzt also läßt sich trefflich ausgewogen über die nationalsozialistische Vergangenheit schreiben — ohne antifaschistisches Pathos, das im Kalten Krieg ohnehin immer verdächtig war. Das sieht dann so aus: Nicht nur so viele Philharmoniker irrten, als sie sich den Nazis anschlossen, auch Toscanini war nicht unfehlbar usw. MdZ: Kann es überhaupt ein antifaschistisches Engagement und ein Eindringen der Exilerfahrung im Bereich der Musik geben? Folgt nicht die Entwicklung der Musik weitestgehend immanenten Gesetzen, ästhetischen Kontinuitäten, durch die Probleme aufgeworfen und —je nach Energie auch gelöst werden? G.S.: Das ist ein weites Feld — und unser Band ist nicht mehr als ein Streifzug durch dieses Feld. Zwei Markierungen hierzu: vor 1933 schrieb Schénberg mit der Methode der Komposition mit zwölf Tönen eine Ehekomödie, eine Art Zwölfton-Musical (die erste Zwölftonoper übrigens). Er war der Ansicht, man könne mit dieser Technik Musik wie jede andere auch schreiben. Nach 1945 schrieb er mit der gleichen Technik den „Überlebenden aus Warschau“. Ich kann nur jedem empfehlen, sich die beiden Werke vergleichend anzuhören und sich dann die Frage nach der Immanenz zu stellen. MdZ: Kann man, wie es in vielen Exiltexten zur österreichischen Kultur behauptet wird, von einer ’österreichischen Musik’ sprechen? Wie weit haben sich Musiker, Komponisten im Exil als „Österreicher“ — nicht nur der Herkunft nach, sondern in ihrer musikalischen Profession — empfunden? Und wenn dies der Fall war: Ergibt