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14 Sommer und Karl Hans Strobl, Friedrich Schreyvogl und Leo Fischmann oder auch das Drama ,,Bocksgesang“ von Franz Werfel. Indem Achberger tiber solche Werke räsonniert, kann er die These, die Literatur der Ersten Republik ‚‚erschöpfe sich in mehr oder minder wehmütiger Rückschau“, überzeugend entkräften. Auch „Das Salzburger Große Welttheater‘“ Hofmannsthals beschäftigt ihn weniger als religiöses, mehr als politisches ’Besserungsstück’: als ein Stück, das zeitgenössischen Konflikten mit einer Strategie begegnet, die Reformtendenzen zwar anzeigt, aber lieber auffängt statt sie zu unterstützen. Ob er „Die Standarte“ von Alexander LernetHolenia, Hermann Brochs Novelle „Eine leichte Enttäuschung“ oder Heimito v. Doderers frühe Prosa bespricht, Achberger geht es jedes Mal in erster Linie um die Bezüge zwischen der Zeitgeschichte und der Literatur und um deren Signale an das zeitgenössische Publikum. Ästhetische Fragen treten demgegenüber eher in den Hintergrund; am wenigsten bemerkenswerterweise in der Konfrontation der beiden Antipoden Kramer und Weinheber, in der sich Achberger durch umsichtige Analysen ausgewählter Gedichte eine solide Textbasis erarbeitet, um dann erst zu Grundsätzlichem über die Situation der österreichischen Lyrik in der Zwischenkriegszeit zu kommen. Hätte Achberger sein Projekt noch selbst zu Ende geführt, dann hätte er wohl wenigstens eine Festlegung aus seinem großen Essay über ‚Die letzten Tage der Menschheit“ zuletzt eliminiert. Nämlich die, daß dieses Werk in den Zusammenhang der österreichischen Literatur sich einreihe „wie ein Minusfaktor in eine lange Multiplikation: das einzige negative Vorzeichen genügt, um die Wertigkeit der gesamten Kette in ihr Gegenteil zu verkehren.“ Derartiges, darf man annehmen, ist stehen geblieben, weil das Ganze unvollendet geblieben ist. Achbergers Arbeit bleibt trotzdem eine der markantesten Säulen der österreichischen Literaturgeschichtsschreibung. Johann Holzner Friedrich Achberger: Fluchtpunkt 1938. Essays zur Österreichischen Literatur zwischen 1918 und 1938. Hg. von Gerhard Scheit und mit einem Vorwort von Wendelin Schmidt-Dengler. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1994. 205 S. OS 228,- (Antifaschistische Literatur und Exilliteratur Studien und Texte. 12). hier bewußt Schreiber und Leser zusammen, da ja das Nachdenken und Sich-in-denanderen-Versetzen bei beiden geschieht und bei beiden radikale Folgen haben kann. ... Aufschreiben der Erinnerungen ist eine Art Rettungsaktion, so wie man seit Jahrhunderten Venedig immer wieder ’gerettet’ hat... .. Ich lese mit großem Interesse Autoren, die die Verlustrechnung des technisch-kommerziellen Fortschritts aufzeigen; z.B. eine Amerikanerin namens Harriette Arnouw, die etwa eine Übersiedlung von einer Kentucky-Farm in die Rüstungsindustrie von Detroit in den 30er/40er Jahren verfolgt und dabei Punkt für Punkt, Familienmitglied für Familienmitglied greifbar macht, wie sich die Fülle des Lebens vermindert. Aber auch die Buddenbrocks zeigen ja nicht bloß den ,, Verfall einer Familie“ von den Höhen des Reichtums herab — dieser Roman zeichnet ja auch mit aller Schärfe die Verluste an Menschlichkeit, die auf dem Wege zu Reichtum und Ansehen eingehandelt werden. ... In Briefen an mich äußert er sich verschiedentlich über die Mühe des Schreibens. Häufig heißt es da „‚am Schreibtisch zerquält“, ‚‚der Schreibtisch ist eine entsetzliche Quälerei. Ich schreibe unter entsetzlichen Ängsten, mit Hemmnissen, aber immer mit der Hoffnung, daß es mit der Zeit leichter wird und besser.“ Über das Fortschreiten des Buches zur österreichischen Literatur schreibt er mir in einem Brief vom Dezember 1982: ‚Vorarbeiten weit gediehen, aber das Zusammenfügen einer so großen Struktur, wie sie ein Buch eben darstellt, bedeutet erstaunlich viel Anstrengung. ’Im Grunde sind das alles Gemeinheiten’, sagt Doderer über das Schreiben und meint damit das Festnageln, das Bewerten, das Aufdecken, das Entblößen, ohne das man nicht schreiben kann. Und für die sogenannte Sekundärliteratur, die ich produziere, trifft das ja ganz ähnlich zu.“ In Friedls Charakter war eine starke mütterliche Komponente: Sammeln und Bewahren, liebevolle aufmerksame Zuwendung, behutsamer Umgang mit Menschen und Dingen waren wesentliche Züge. Die österreichische Heimat war in den USA sehr wichtig, ebenso der familiäre Halt. In einem Brief schreibt er: „,... Innerlich fühle ich mich in den USA immer noch so ausgesetzt, daß Familienschutz unerläßlich ist. Erika“ (seine kleine Tochter) ‚‚nicht nur in der hiesigen Wildnis, sondern auch unter den Fittichen unserer Generation und der ihrer Cousins und Cousinen aufwachsen zu lassen, bedeutet mir viel ... Mir ist auch in Amerika bewußt geworden, was Du aus eigener Erfahrung längst weißt, nämlich daß die stützende Verbindung innerhalb der Familie oft echt lebensspendend wirkt.“ In einem Brief an mich heißt es: „„Heimat ist nicht etwas, das man bekommt, sondern etwas, das zu erwerben ist, das der aktiven und bewußten Hinwendung bedarf. Genauso wie Liebe ja auch Arbeit ist und nicht etwa ein Geschick, das uns von außen regiert ...“ Seine Mitmenschlichkeit spricht nicht nur aus seinen Texten; eine kleine Episode während eines Forschungsaufenthaltes 1976 in Wien ist erwähnenswert. Ein sehr Junger, wohnsitzloser Mann sprach ihn an, ob er ihm helfen könne - er hat ihn dann für eine Nacht beherbergt und verköstigt, ihn aber auch am anderen Tag wieder in die eigene Verantwortung geschickt. Antifaschistische und Exil-Literatur waren ihm ein großes Anliegen. Seine jetzt publizierten Arbeiten passen gut in die Reihe dieses Namens. Auch hätte es ihn gefreut, in derselben Reihe wie Felix Pollak, mit dem er befreundet war, publiziert zu sein. (Bereits 1992 sind in der Reihe ‚‚Antifaschistische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“ Felix Pollaks Aphorismen und Marginalien unter dem Titel ,, Lebenszeichen“ Ich bin glücklich, daß Friedls Arbeiten leben dürfen, und ich wünsche dem Buch, daß es vielen Menschen Anregung gibt zu neuen Leseerfahrungen. Ich danke nochmals ganz herzlich Gerhard Scheit für seine liebevolle Rettungsaktion, sie wird nicht vergeblich gewesen sein.