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damals vorbereitete. Diese Texte — „Das erste vorfabrizierte Haus“ und ,,Befreier von überflüssiger Arbeit“ — sind dann 1990 in dem Band ,,Adolf Loos: Alle Architekten sind Verbrecher!“ erschienen: ein Titel so recht nach dem Geschmack Matejkas, der bereits 1961 über Loos geschrieben hatte: \ Von seiner universellen Theorie zehren viele, von seinen frühzeitigen Anregungen und Impulsen lebt mehr als eine Generation. Als in der ganzen Welt noch völlig unschöpferisch, ja sklavisch kopiert wurde, legte er in unermüdlicher und unbedankter Arbeit den Grund für die Baurevolution des Jahrhunderts, ja für wesentliche Partien einer befreiten Lebensformung ... An der Fackel eines Adolf Loos könnte sich die Jugend entzünden. Haben die kunsthistorischen Professoren der Universitäten, technischen und Kunst-Hochschulen schon angefangen, die diesbezüglichen Forschungen durchzuführen, anzuregen, zu koordinieren? Das wäre eine nationale Tat für Österreich, ein wichtiger Baustein für das österreichische Nationalbewußtsein. 1991 machte ich einen Film über Carry Hauser (1895-1985), ‚Immer sich erheben — das heißt leben!“, in dem ein Statement Viktor Matejkas über den verstorbenen Freund zu hören und zu sehen ist; dazu auch eine Archivfilmaufnahme von Carry Hauser, ganz kurz vor seinem Tod, in der er ausspricht, daß Viktor Matejka, der Kommunist, der ‚einzige Christ“ gewesen sei, den er damals — eben aus der würdelosen Emigration zurückgekehrt — in Wien angetroffen habe... Das letzte Mal sah ich Viktor Matejka am 28. Mai 1991, bei der Präsentation seines Buches im Wiener Rathaus. Niemand, der bei dieser Veranstaltung war, wird sie wohl je vergessen: der Gefeierte, im Rollstuhl in den Saal geführt, aber nach wie vor von ungebrocheneer Vitalität und überschäumendem Temprament, hielt sich nicht an den bei einer solchen Veranstaltung üblichen und meist recht stereotypen Ablauf - er unterbrach die Festredner nach Lust und Laune, warf Bonmots um sich, war einfach nicht mehr zu bremsen. Ich ging durch den Vortragssaal in den Nebenraum, wo das Buffet bereits eröffnet war und holte ein Glas Rotwein, das ich dem Verleger des Buches, der dort bereits herumstolzierte, demonstrativ ins Gesicht schütten wollte. Jener hatte sich am Morgen dieses Tages beim Wiener Handelsgericht - wo er geladen war, um sich wegen des Raubdruckes dreier Loos-Bücher zu verantworten — wieder einmal um seine Vernehmung gedrückt, diesmal mittels eines ärztlichen Attestes, das ihm eine schwere Erkrankung bescheinigte. Ich folgte ihm, das Glas in der Hand — da erspähte mich der scharfsichtige Viktor Matejka — der gerade für eine Reihe von Bewunderern sein Buch signierte —, als ich an der Verbindungstür vorbeikam. Ich weiß nicht, ob er mein Vorhaben geahnt hat — aber er rief mich sofort zu sich und stellte mich den Leuten geradezu überschwenglich als Herausgeber der Loos-Schriften vor, erklärte ihnen die Bedeutung von Loos etc. etc. Er war wieder bei seinem Lieblingsthema angelangt. Ich habe das Glas Wein daraufhin natürlich auf sein Wohl getrunken. Besuch bei Stella Rotenberg in Leeds Kulinarisches und Biographisches steht am Speiseplan für ein ,,dinner for three“ bei Stella Rotenberg in Alwoodley, Leeds. Gut werde es nicht sein, schickt die bescheidene Autorin voraus, „‚aber Sie werden satt werden.“ Zur Vorspeise gibt es Erinnerungen an die Kindheit, beim Gedanken an eine Lesung von Thomas Mann beginnen ihre Augen zu strahlen, die Bronzefigur einer Stickerin hinter dem Eßtisch erinnert an Wien. Als Hauptgang serviert Stella Rotenberg dann eine Anekdote aus ihrem literarischen Leben. Ein zunächst unbekannter Österreicher bittet sie um ein paar Gedichte, die er in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift publizieren möchte. Er bekommt sie, bedankt sich in einem zweiten Brief, legt die Zeitschrift bei, bittet um weitere Gedichte. Erst das Impressum läßt Stella Rotenberg stutzig werden: Strafanstalt Stein. In England weiß man wenig über den Absender Jack Unterweger. Schließlich gibt es dann zum Dessert nicht nur köstliches Selbstgebackenes. Stella Rotenberg erzählt von ihrem jetzigen Leben. Reisen, ob nach Edinburgh oder ins Wuppertal und nicht zuletzt nach Österreich sind Lebensspender. Seit dem Tod ihres Mannes ist der Bungalow groß, die Entfernung zur Stadt zu weit geworden. Bei einem Einbruch wurde das Häuschen durchwühlt, der Porzellanarzt, Erinnerung an den Ehemann, verlor seine Nadel. Birgit Holzner 19 bens am Balkan durcharbeitet: Wir töten uns gegenseitig, aber auch das wird ein Ende haben. (Aleksandar Baljak) Diese Schriftsteller haben und geben keinen Anlaß zur Hoffnung, es verwundert nicht, daß Selbstmord häufig zum Thema wird. Ein noch eher ‚harmloses‘ Beispiel: Ich bin vom Selbstmord abgekommen. Ich kann nicht zulassen, daß ein Serbe einen Serben umbringt. (Momcilo Mihajlovic) In unserem Land wird ,,der Serbe“ — zumindest die männliche Form ist korrekt — entweder als völkermörderischer Teufel gezeichnet. Anknüpfend an ein altes Feind- . bild neuerer österreichischer Geschichte, wird eigenes geschichtliches Verschulden auf das damalige Opfer projiziert. Oder man blickt in betulicher Äquidistanz über alle Balkanesen hinweg, die ja ohne Unterschied gleichen Anteil an der Katastrophe hätten. Weil es in Österreich mörderische politische Kräfte gab, die mit „Serbien muß sterbien“ in diesem Jahrhundert den Balkan schon zweimal verwüstet haben, darf man hierorts, scheint es, eine ursupatorische Clique in Serbien nicht mehr beim Namen nennen. Von Schriftstellern soll nicht unbedingt eine politische oder ,,wissenschaftliche“ Analyse erwartet werden, aber ihr klarer Blick auf die serbischen Machthaber kann auch unsere Sicht befreien: Das ist weder Faschismus noch Nationalsozialismus noch Stalinismus. Wir haben von jedem System das beste übernommen. (Momcilo Mihajlovic) Das Recht auf Sezession haben alle Vélker, außer denen, die sich trennen wollen. (Milivoje Rodavanovic) Wir haben die Welt gegen uns aufgebracht. Wir wollen wissen, auf welcher Seite sie sich befindet. (Goran Gace$a) Freiheit und Kultur sind gegen Barbaren zu verteidigen. Wenn sich die „westliche Zivilisation“ weiterhin nur abschottet und Kameras über ihre Grenzwälle hängt, braucht sie sich über ihren fortschreitenden Niedergang nicht zu wundern: Interessieren Sie sich für eine Direktübertragung des Krieges oder wollen Sie nur die Volltreffer sehen? (Slobodan Simic). Bernhard Kuschey Irren ist menschlich. Und patriotisch. Serbische Aphorismen aus dem Krieg. Hg. und übertragen von Milo Dor. Salzburg, Wien: Otto Müller Verlag 1994. 87 S. (Edition Literatur und Kritik. Hg. von K.-M. Gauß. Ba.l).