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34 dem rumänischen Gouverneur zu viel und er beschwerte sich beim König. Die Königinmutter habe die Juden schützen wollen, doch Marschall Antonescu und der deutsche Baron Killinger hätten in Bukarest gemacht, was sie wollten, sagt Herr Z. Über dem Friedhof steigt hie und da Rauch auf, frühherbstliches Laub wird abgebrannt. Ein weißes Pferd zieht einen Karren über den Hauptweg, wo auf der linken Seite Eliezer Steinberg begraben liegt. Wie ein orientalischer Teppich nimmt sich der einzige bunte Grabstein auf diesem Friedhof aus, so farbenprächtig und bewegt wie eines seiner berühmten Märchen. Am Abend haben sich zum Abschied in dem Restaurant hinter der riesigen armenischen Kirche, in der nie ein Gottesdienst abgehalten wurde, weile es noch vor der Einweihung einen Todesfall in ihr gab, auch zwei alte Damen eingefunden. Rosa und Lydia sind seit über siebzig Jahren miteinander befreundet und die letzten Hüterinnen eines geschliffenen Czernowitzer Deutsch. Ob Rosa, die mit Nachnamen Roth-Zuckermann heißt, etwas von der Existenz des amerikanischen Schriftstellers Philip Roth weiß, dessen berühmtester Held Herr Zuckermann ist? Sie verlor ihre gesamte Familie im Krieg, doch ist ihr der Lebensmut bis heute nicht abhanden gekommen. Über ihren Sohn aus zweiter Ehe, der keine Absichten hat, das Land zu verlassen, meint sie: „„Er ist ein Wurm, der sich im Rettich eingefressen hat und denkt, dies sei das Paradies, obwohl es bitter ist.“ Lydia hat keine Kinder und blüht unter den jugendlichen Czernowitzern, denen sie Nachhilfe in verschiedenen Sprachen erteilt, förmlich auf. Ihre Lieblingsschriftsteller waren einst Thomas Mann und Rainer Maria Rilke, die las man auf der Habsburghöhe. Sie spricht von dem Geist des Zusammenlebens der verschiedenen Volksgruppen — bis zum Jahr 1940. ,,Und dann verschwanden alle diese Menschen, und es verschwand auch dieser Geist.“ Lydia ist in Sereth geboren und verschmitzt erklärt sie uns, daß sie inzwischen mit dem Schriftsteller Edgar Hilsenrath Kontakt aufgenommen hat und jetzt dreißig Briefe im Monat schreibt: ‚‚Aber einen Schriftsteller kennen Sie ganz gewiß nicht, er stammte so wie ich aus Sereth und hieß Leo Katz.“ Welche Freude, ihr mitteilen zu können, daß von Leo Katz der Roman ‚‚Brennende Dörfer“ vor kurzem in Wien erschienen ist. In der Sprache der Mörder Der Katalog der 1993 vom Literaturhaus Berlin und mittlerweile schon an vielen Orten gezeigten Wanderausstellung bietet den bis dato besten Zugang zur deutschsprachigen Literatur der Bukowina am Vorabend der Vertreibung, Deportation und Ermordung (1941-44) jener Minderheit, die auch unter rumänischer Herrschaft am Gebrauch der deutschen Sprache festhielt. Vorangestellt ist dem Buch Alfred Gongs großes Gedicht „Topographie“, dessen Beschreibung Czernowitz’ in der die Tragödie resümierenden Strophe endet: So ging das halbwegs geruhsam bis 1940: Da kamen die Sowjets friedlich zu Tank und „befreiten“ die nördliche Bukowina. Die Rumänen zogen ohne Schamade ordentlich ab in kleinere Grenzen. Die Volksdeutschen zogen reichheimwärts. Die Juden — bodenständiger als die andern — blieben (:die eine Hälfte verreckte in Novosibirsk, später die andere in Antonescus Kazets). Die Steppe zog ein und affichierte ihre Kultura. Die Graber blieben unangetastet bis auf weiteren Ukas. Historisch falsch und nur aus einer in den 50er Jahren grassierenden Totalitarismustheorie verständlich ist die Gleichsetzung der Judenverfolgung in Rumänien und in der Sowjetunion. Der Unterschied ist ein qualitativer und ein quantitativer; seltsam rührt es auch an, daß Gong die Rolle der deutschen Schutzherren Antonescus nicht einmal andeutet. Ich erwähne dies der Richtigkeit halber, aber auch als Hindeutung auf die Schwierigkeit, die ich mit dem von mir bewunderten Lyriker Alfred Gong seit jeher hatte. Von manchen brennenden Menschheitsfragen hat er sich allzuschnell, des trüben Ausgangs offenbar bewußt, abgewandt. Da mag er weise gewesen sein, doch entfernte ihn diese Weisheit, gepaart mit der Isolation im New Yorker Exil, zu weit von der praktischen Tätigkeit der Menschen seiner Zeit; die Praxis wurde ihm nichtig und die Erinnerung herrschend. Wo ihn die Erinnerung entließ, fand er sich einem unverbindlichen Erleben ausgeliefert, das er in Einem beklagte und ausagierte. So wurde der Lyriker, der die Vergeblichkeit unseres 20. Jahrhunderts einsah, am Ende zum Spielball modischer kulturpessimistischer Ideologeme. Zurück zum Katalog, dessen Herausgeber abschließend die Namen und Werke bedauern, die ,,noch zu nennen gewesen“ wären, unter ihnen Leo Katz und Joseph Gregor. Letzteren Namen vernimmt man nicht ohne eine kleine Irritation: Gesellte sich der Verfasser des NS-konformen Buches „Das Theater des Volkes in der Ostmark“ (Wien 1943) nicht eher den Mördern, in deren Sprache Rose Ausländer, Paul Celan, Alfred Margul-Sperber schrieben? So instruktiv der Katalog ist (eine wahre Fundgrube), mit dem Fall Joseph Gregor stellt sich die Frage des Konzepts: Wollte man die Literatur der Verfolgten und Widerstehenden (weil es ist ja nicht nur um die Beflissenheit zu tun, Literarisches in deutscher Sprache zu Papier zu bringen) darstellen, oder wollte man, landschaftskundlich, die Literatur einer untergegangenen deutschen Sprachprovinz erörtern? Abgesehen davon, daß mit den nichtjüdischen ‚deutschen’ Schriftstellern der Bukowina ohnehin kein Staat zu machen ist, gilt die Sympathie der Herausgeber den Verfolgten — das steht fest. K.K. Ernest Wiechner, Herbert Wiesner: In der Sprache der Mörder. Eine Literatur aus Czernowitz, Bukowina. Ausstellungsbuch. Berlin: Literaturhaus Berlin 1993. 276 S. (Texte aus dem Literaturhaus Berlin. 9).