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Anna Mitgutsch Die Morde von Oberwart und unsere Demokratie Das Entsetzen über die Morde an den vier Roma in Oberwart war in weiten Kreisen der Bevölkerung wahrscheinlich echt. Allerdings, daß es einige Tage dauerte, bevor der Anschlag als das erkannt wurde, was er war — ein neonazistischer, rassistischer Anschlag — war typisch, nicht nur für die Exekutive sondern auch für das bis heute andauernde politische Klima. „Zigeuner“ sind eben im allgemeinen Verständnis eine etwas dubiose Volksgruppe, in der Stammesfehden, Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind, assoziativ irgendwie mit Rotlichtmilieu und Unterwelt verbunden. In anderen Kreisen hätte man wohl nicht erst bei den Opfern Razzien veranstaltet, und die Attentäter hätten nicht mit zielführender Sicherheit annehmen dürfen, daß es die anvisierten Opfer sein würden, die die Tafel abmontieren würden: Sie durften davon ausgehen, daß niemanden sonst die Provokation stören würde. Nachher in salbungsvollen Reden zu behaupten, dies sei ein Angriff auf die Demokratie, die Republik, ja alle Österreicher gewesen, ist scheinheilig. Der Staatsform nach leben wir in einer Demokratie. Aber eine Demokratie wird erst als solche wirklich funktionieren, wenn sie das der Gesellschaft zugrundeliegende Idealbild darstellt, d.h., daß sie diese Richtung auch dann nehmen würde, wenn man die Zügel der Demokratie losließe. Der Richtung nach, die sich zur Zeit im politischen Kräftespiel andeutet, ist das Idealbild unserer Gesellschaft keineswegs die Demokratie, sondern nach wie vor ein autoritärer Führerstaat, in dem jene Gruppen ausgegrenzt werden, die auch im Dritten Reich zu den Opfern zählten. Daran sind wir selber schuld — durch die seit 50 Jahren anhaltende Verdrängung jener sieben Jahre, in denen es zwar Österreich nicht gab, dafür aber umso mehr Österreicher, die sich am Massenmord mitschuldig machten. Jahrzehntelang wurde die NS-Zeit im Geschichtsunterricht unterschlagen, im öffentlichen Diskurs verschwiegen, wurden die Täter in ihren Ämtern belassen und die Überlebenden daran gehindert, wieder Fuß zu fassen. Vierzig Jahre lang wurde der Mythos von Österreich als dem ersten Opfer Hitlers gepflegt, bevor überhaupt Bedenken über diese Geschichtslüge aufkamen. Die Täter wurden durch Datenschutz und Sperrfristen vor der Aufdeckung geschützt, und die Opfer wurden in ihrem Opferstatus belassen, so als sei es normal für Minderheiten und Schwächere, Opfer zu sein, und als wären sie dafür zur Dankbarkeit verpflichtet, daß sie nun wieder am Leben gelassen wurden. Bei Feierstunden und zu Festakten werden die Ausgegrenzten von Zeit zu Zeit gönnerhaft und symbolisch umarmt und als „‚unsere lieben Mitbürger“ angesprochen, Am Abend des 4. Februar 1995 wurden in Oberwart (Burgenland) vier Roma bei einem Bombenanschlag getötet. Sie hatten versucht, eine Tafel mit der Aufschrift „Roma heim nach Indien“ zu entfernen. Im Ständer der Tafel war ein Sprengsatz verborgen gewesen, der beim Wegrücken der Tafel explodierte. Die Mörder von Oberwart sind bis heute nicht ausgeforscht. Die meisten AsylbewerberInnen, die in den letzten Jahren aus osteuropäischen Staaten nach Österreich kamen, waren RumänInnen, unter ihnen vor allem rumänische Roma (ihre Gesamtzahl wird auf 2-3 Millionen geschätzt), gegen die nach dem Sturz der Ceaucescu-Diktatur eine unbeschreibliche Hetze eingesetzt hat. So kam es im Sommer 1990 auch zu progromartigen Ausschreitungen gegen Roma in Bukarest. Fast alle tschechischen Roma wurden in der Zeit der NS-Herrschaft ermordet. Die heutige Roma-Bevölkerung von etwa 100.000 ist, amtlichen Angaben zufolge, erst nach 1945 vor allem aus der Slowakei (wo mehr als 200.000 Roma leben) zugezogen. Lange wurde eine Zwangsintegration betrieben; „Zigeuner“ wurden nicht als nationale Minderheit anerkannt. Erst mit dem Prager Frühling durften sie überhaupt eine eigene Organisation aufbauen. Heute herrscht in Teilen der Bevölkerung eine zigeunerfeindliche Stimmung; Überfälle von Skinheads auf ,,Zigeuner“ werden von der Polizei kaum verfolgt.